Artikel • Hygiene allein reicht nicht

Maßgeschneiderte Infektionsprävention im Kampf gegen Krankenhauskeime

Die Krankenhausinfektionsraten sind in Deutschland während der Covid-19-Pandemie vergleichsweise konstant geblieben, anders als etwa in den USA oder in England. Auch die Infektionen mit multiresistenten Erregern (MRSA) nehmen in den letzten Jahren stetig ab. Dennoch ist Prof. Dr. Petra Gastmeier davon überzeugt, dass sich die Krankenhaushygiene in den kommenden zehn Jahren deutlich verändern wird und muss. In unserem Interview spricht die Direktorin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin über aktuelle Herausforderungen und künftige Trends.

Interview: Sonja Buske

HiE: Frau Prof. Gastmeier, welche Erreger lösen aktuell am häufigsten Krankenhausinfektionen aus?

portrait of petra gastmeier
Prof. Dr. Petra Gastmeier

Gastmeier: Im Grunde sind es immer die gleichen Erreger: E. coli-Bakterien und Enterokokken, die überwiegend im Darm vorkommen, Staphylococcus aureus, ein Bakterium, das in der Nase und auf der Haut lebt sowie Pseudomonas aeruginosa, ein Bakterium, dass sich in Feuchtbereichen wie Waschbecken oder Toiletten wohl fühlt. Das hat sich in den vergangenen Jahren auch nicht verändert.

In Ländern wie den USA und England sind die Infektionsraten während der Covid-19-Pandemie angestiegen, in Deutschland aber konstant geblieben. Auch bei den Infektionszahlen mit Methicillin resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) lässt sich in Deutschland seit längerem ein Abwärtstrend erkennen. Wie erklären Sie sich das? 

In England und in den USA existieren sehr viel weniger Intensivbetten pro 100.000 Einwohnern als in Deutschland. Zudem war die Inzidenzrate bei uns deutlich geringer. Das könnte den Unterschied erklären. Die Frage nach dem Rückgang der MRSA-Fälle ist dagegen nicht so leicht zu beantworten. Es gibt Kollegen, die Infektionspräventionsmaßnahmen dafür verantwortlich machen. Ich glaube das eher nicht, denn daran hat sich in den letzten zehn Jahren nicht viel verändert. Der Trend ist allerdings eindeutig und ich gehe nicht davon aus, dass er sich in absehbarer Zeit wieder umkehrt.

Auf der letzten Jahrestagung der DGHM wurde die Compliance bei der Händedesinfektion mit rund 75% angegeben. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass jede vierte notwendige Händedesinfektion nicht durchgeführt wurde. Damit sind Sie vermutlich nicht zufrieden?

Nein. Allerdings sehe ich trotzdem einen Fortschritt. Es geht voran, wenn auch langsam. In den vergangenen 12 Jahren hat sich der Verbrauch der Händedesinfektionsmittel in Krankenhäusern verdoppelt und ich gehe fest davon aus, dass die Zahl weiter steigt. Zu meiner Studienzeit war das Thema einfach noch nicht so präsent und die Vorbildfunktion der Chefärzte ließ zu wünschen übrig. Den Pflegekräften und Ärzten muss die Händedesinfektion von Anfang an in Fleisch und Blut übergehen – und dafür braucht es Zeit.

Was ist Ihrer Meinung nach aktuell die beste Strategie, um gegen Resistenzen vorzugehen?

Inzwischen beschäftigen fast alle Krankenhäuser zusätzliche Mitarbeiter, die sich ausschließlich um Antibiotic Stewardship kümmern, in großen Häusern sind es sogar ganze Teams

Petra Gastmeier

Die Kombination aus Hygiene und Antibiotic Stewardship wird am Ende zum Ziel führen. Vor 15 Jahren hat man noch geglaubt, dass sich multiresistente Erreger allein durch bessere Hygiene zurückdrängen lassen, doch dem ist nicht so. Nur durch kluge Antibiotikaanwendung erreicht man, dass es im Körper nicht zur Selektion von multiresistenten Erregern kommt. Inzwischen beschäftigen fast alle Krankenhäuser zusätzliche Mitarbeiter, die sich ausschließlich um Antibiotic Stewardship kümmern, in großen Häusern sind es sogar ganze Teams.

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Nach einer neuen Studie sterben in Deutschland mehr Menschen durch Infektionen als bei Verkehrsunfällen. Die erschreckenden Mortalitätsraten werden nicht nur durch nosokomiale Keime, sondern auch Infektionskrankheiten verursacht, die in Europa eigentlich als besiegt galten, wie Masern, TBC und neuerdings Syphilis. Das bedeutet neben steigenden Patientenzahlen auch finanzielle Millionenschäden.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Womit müssen wir in den kommenden Jahren mit Blick auf die Verbreitung von Krankenhausinfektionen rechnen, und was wünschen Sie sich?

Werfen wir doch erstmal einen Blick zurück: In den letzten 100 Jahren haben wir Krankenhaushygiene nach dem Motto „One size fits all“ praktiziert. Für jeden Patienten wurden die gleichen Hygienemaßnahmen getroffen. In Zukunft brauchen wir dagegen mehr maßgeschneiderte Infektionsprävention. Dank Biomarkern können wir feststellen, ob ein Patient besonders anfällig für Krankenhausinfektionen ist. Dann müssen zum Beispiel Dekolonisationsmaßnahmen ergriffen werden, und zwar am besten schon vor dem Krankenhausaufenthalt im ambulanten Bereich. Durch Vorab-Untersuchungen können Erreger wie Staphylococcus aureus detektiert werden. So ist bewiesen, dass durch die Dekolonisierung der Nasenschleimhäute die Wundinfektionsrate deutlich niedriger ist. 

Zudem würde ich mir eine Präventionssprechstunde für Patienten wünschen, die eine große Operation am Herzen oder Darm vor sich haben. Denn Patienten können selbst Präventionsmaßnahmen unterstützen, zum Beispiel durch Vorbeugung von Auskühlung, die unter anderem eine Wundinfektion begünstigt. Auch beim Verbandswechsel können sie darauf achten, dass hygienisch gearbeitet wird, wofür sie allerdings aufgeklärt sein müssen.

Könnte auch künstliche Intelligenz (KI) ein hilfreicher Faktor bei der Bekämpfung von Krankenhausinfektionen sein?

Definitiv. Mit KI kann ein höheres Risiko für Infektionen schneller entdeckt werden. Daraus können dann weitere Maßnahmen resultieren, wie zum Beispiel die Gabe von Probiotics vor bestimmten Eingriffen oder bei einer hämatologisch-onkologischen Therapie, um die Darmflora zu ertüchtigen. Das alles gilt zwar nur für bestimmte Patientengruppen, aber es sind auch genau die Gruppen, die in der Regel schwere Infektionen davontragen. Aktuell ist die Digitalisierung noch nicht so weit fortgeschritten, dass wir KI schon einsetzen können. Wir brauchen dafür alle verfügbaren Daten eines Patienten und müssen diese auch nutzen dürfen. In etwa zehn Jahren dürften wir so weit sein. 


Profil:

Prof. Dr. Petra Gastmeier studierte Medizin in Halle/Salle und Berlin und ist seit 1988 als Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin tätig. Nach ihrer Habilitation an der Freien Universität Berlin im Jahr 1999 erhielt sie ein Jahr später eine C3-Professur für Krankenhaushygiene an der Medizinischen Hochschule Hannover. Seit 2008 leitet sie das Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, das als Nationales Referenzzentrum für die Surveillance von nosokomialen Infektionen fungiert.

15.11.2021

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