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News • Transfusionsmedizin

Trotz künstlichem Blut aus dem Labor: Blutspenden weiter unverzichtbar

Menschen, die zur Behandlung von Krankheiten oder nach schweren Unfällen eine Bluttransfusion benötigen, sind bisher auf Blutspenden von gesunden Menschen angewiesen.

In Zukunft könnten rote Blutzellen (Erythrozyten) und Blutplättchen (Thrombozyten) künstlich in speziellen Produktionsanlagen, sogenannten Blutfarmen, hergestellt werden. Dadurch könnten Mangelsituationen beseitigt und Risiken vermindert werden. Die Zellen könnten zudem zur gezielten Arzneimittelgabe verwendet werden. Auch Menschen mit seltenen Blutgruppen oder Unverträglichkeiten gegen Blutplättchen könnten davon profitieren, weil es hier oft schwierig ist, passende Blutprodukte zu finden. Doch bis Blutzellen in ausreichender Menge im Labor produziert werden können, sind noch einige Hürden zu überwinden, wie Experten der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI) betonen, die derzeit intensiv zur künstlichen Herstellung des Blutes forschen. Trotz der wissenschaftlichen Fortschritte weist die DGTI darauf hin, dass eine Versorgung mit Blutprodukten ohne regelmäßige Blutspenden aus der Bevölkerung auch in Zukunft nicht möglich sei. Deshalb ruft die DGTI weiterhin zur regelmäßigen Blutspende auf.

Die im Labor hergestellten Blutprodukte können auf absehbare Zeit nicht die Mengen ersetzen, die sich aus einer Vielzahl an Blutspenden ergeben

Hubert Schrezenmeier

In Deutschland werden jedes Jahr mehr als 3 Millionen Erythrozyten- und mehr als 500.000 Thrombozyten-Konzentrate benötigt. Beide werden aus den Blutspenden der Bevölkerung gewonnen. Ein Mangel an Blutprodukten besteht vor allem bei den sehr seltenen Blutgruppen. Dazu zählt beispielsweise die Blutgruppe AB Rh-negativ, die 1% der Menschen in Deutschland haben oder die Blutgruppe B Rh-negativ, die bei 2% der Bevölkerung in Deutschland vorkommt. Auch für Menschen mit der Blutgruppe Bombay, die Antikörper gegen alle roten Blutkörperchen der Blutgruppen A, B, AB und 0 haben, ist es äußerst schwierig, passende Blutprodukte zu finden. In Europa hat nur ein einziger von 1 Million Menschen diese Blutgruppe. Bei der Transfusion von Blutprodukten kann es dann zu Problemen kommen, wenn die Empfänger Antikörper gegen die Blutbestandteile bilden. „Künstlich im Labor hergestelltes Blut könnte in diesen Fällen zukünftig helfen, passende Konzentrate in ausreichenden Mengen herzustellen“, sagt Professor Dr. Hubert Schrezenmeier, 1. Vorsitzender der DGTI. 

Erste Transfusionen von künstlichen, im Labor hergestellten roten Blutkörperchen wurden bereits vor 10 Jahren in Frankreich und kürzlich auch in England durchgeführt. „Die Menge der dort transfundierten Erythrozyten war jedoch sehr gering. Sie entsprach nur 1% des Gehalts an roten Blutkörperchen, die in einer regulären Vollblutspende enthalten sind“, ordnet Schrezenmeier ein. „Das zeigt, dass die im Labor hergestellten Blutprodukte auf absehbare Zeit nicht die Mengen ersetzen können, die sich aus einer Vielzahl an Blutspenden ergeben. Deshalb bleibt es unerlässlich, dass Menschen regelmäßig zur Blutspende gehen. Dennoch ist die Forschung in diesem Bereich sehr wichtig, denn gerade für die Versorgung von Menschen mit seltenen Blutgruppen liegt darin eine große Chance", so der Experte.

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Rote Blutkörperchen werden von bestimmten Stammzellen im Knochenmark gebildet. Um also künstliches Blut im Labor herzustellen, benötigen die Wissenschaftler Stammzellen. Mittlerweile ist es möglich, jede beliebige Körperzelle genetisch zu einer Stammzelle umzuprogrammieren. Die notwendige Massenproduktion scheitert derzeit jedoch daran, dass die roten Blutkörperchen einen langen Reifungsprozess bei ihrer Bildung im Knochenmark durchlaufen, bevor sie ins Blut abgegeben werden. „Derzeit erforschen wir, wie sich dieser Prozess beschleunigen lässt“, erklärt Professor Dr. Dr. Torsten Tonn vom Institut für Transfusionsmedizin in Dresden. Die Hoffnung des Wissenschaftlers liegt dabei auf sogenannten Vorläufer-Zellen, die in der Lage sind, größere Mengen von Erythrozyten zu produzieren. „Außerdem ist es mithilfe einer Genschere gelungen, aus dem Erbgut der Vorläuferzellen die Gene von 5 Proteinen zu entfernen, die für die meisten Blutgruppen-Antigene verantwortlich sind. Damit hat die Forschung einen wichtigen Schritt in Richtung einer universellen Blutgruppe gemacht, die auch bei seltenen Blutgruppen eingesetzt werden könnte“, so Tonn. 

Die Forschung macht auf dem Gebiet [des Blood Pharming] wichtige Fortschritte, die in Zukunft insbesondere bei der Versorgung von Menschen mit seltenen Blutgruppen eine wichtige Rolle spielen werden

Hubert Schrezenmeier

Ein Team um Professor Dr. Rainer Blasczyk und Professorin Dr. Constança Figueiredo vom Institut für Transfusionsmedizin und Transplantat Engineering der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat bereits Blutplättchen im Labor erzeugt. Die Thrombozyten werden natürlicherweise von den Megakaryozyten produziert, welche sich im Knochenmark befinden. Diese blutbildenden Zellen haben die Forschenden aus induzierten Stammzellen hergestellt und anschließend in Zellkulturen vermehrt. „Die Stammzellen wurden gentechnisch so modifiziert, dass sie später nicht als Fremdblut vom Immunsystem des Empfängers erkannt werden“, erläutert Blasczyk. Die Zellen eignen sich zudem besonders gut, um als eine Art Arzneimittel-Fähre zur gezielten Arzneimittelgabe verwendet werden zu können. Die MHH-Experten konnten bereits in Mäusen zeigen, dass die menschlichen Megakaryozyten aus dem Labor in der Lage sind, Blutplättchen in ausreichender Menge zu produzieren. In Zukunft sollen Bioreaktoren diese Aufgabe übernehmen. „Alternativ ist es auch denkbar, dass Megakaryozyten statt Thrombozyten infundiert werden, aus denen sich dann in vivo, also im lebendigen Organismus, die wirksamen Thrombozyten bilden“, erklärt Figueiredo. Die für eine Anwendung am Menschen erforderlichen Zellmengen können schon jetzt in Bioreaktoren erzeugt werden. 

„Das sogenannte Blood Pharming befindet sich noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium“, sagt Professor Dr. Hubert Schrezenmeier, Leiter des Instituts für Transfusionsmedizin am Universitätsklinikum Ulm. „Bis Erythrozyten und Thrombozyten in genügenden Mengen in Blutfarmen produziert werden können, werden noch einige Jahre vergehen. Solche Präparate werden auf absehbare Zeit keine Alternative zu Blutprodukten aus Spenderblut sein. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Menschen weiterhin regelmäßig zur Blutspende gehen“, so Schrezenmeier. Danach müssten zunächst die Sicherheit und Wirksamkeit sorgfältig überprüft werden. „Dass Blood Pharming einmal die Blutspenden vollständig ersetzen wird, ist derzeit kaum vorstellbar. Dennoch macht die Forschung auf diesem Gebiet wichtige Fortschritte, die in Zukunft insbesondere bei der Versorgung von Menschen mit seltenen Blutgruppen eine wichtige Rolle spielen werden“, so Schrezenmeier. Trotz aller Fortschritte der Wissenschaft wäre die Versorgung der Patienten ohne regelmäßige Blutspenden der Bevölkerung gefährdet. Deshalb sei es auch gerade mit Blick auf die bevorstehenden Feiertage wichtig, regelmäßig zur Blutspende zu gehen, sind sich die Experten einig. 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie

21.12.2022

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