Quelle: Shutterstock/angellodeco

Artikel • Hämatologie

Empfehlungen zur venösen Blutentnahme am Patienten

Die Präanalytik, hier insbesondere die venöse Blutentnahme, hat einen wesentlichen Einfluss auf die Qualität von labordiagnostischen Ergebnissen. Es wird geschätzt, dass bis zu 75 % aller „Laborfehler" auf präanalytische Fehler zurückzuführen sind.

Die Arbeitsgruppen für Präanalytik (WG-PRE und WG-PRE-LATAM) der European Federation of Clinical Chemistry and Laboratory Medicine (EFLM) und der Latin America Confederation of Clinical Biochemistry (COLABIOCLI) haben in einer aktuellen Publikation (Simundic A-M, Bölenius K. et al (2018), Joint EFLM-COLABIOCLI Recommendation for venous blood sampling, Clin.-Chem. Lab. Med., p. 1 - 24) genaue Angaben zur venösen Blutentnahme vorgestellt und diese einzeln auf den Einfluss auf Ergebnisfehler bewertet. Hierzu wurden 20 Einzelschritte benannt und in sechs verschiedene Empfehlungsstufen, (1A als strikte Anweisung mit hoher Qualitätsevidenz bis zu 2C als schwache Empfehlung mit geringer Evidenz eingeteilt (s. Tabelle).

Die 23 Autoren verweisen auf wichtige Punkte vor der Blutentnahme (Pre-sampling), während der Blutentnahme (sampling) und nach der Blutentnahme (Post-sampling).

Pre-sampling

Die initiale Kommunikation mit den Patienten, noch vor einer Blutabnahme, wird als wichtige Empfehlung mit schwacher Qualitätsevidenz (Klasse 1c) bewertet. Hier ist insbesondere auf die korrekte Patientenidentifikation zu achten. Für viele Laborparameter, z. B. Proteine ist die Position des Patienten für die Blutentnahme bedeutend. Deshalb sollte 15 Minuten vor der Blutentnahme keine Veränderung der Körperlage erfolgen. Dies ist für Krankenhauspatienten, die üblicherweise im Bett liegen, kein Problem, kann jedoch für ambulante Blutentnahmen, die hauptsächlich im Sitzen durchgeführt werden, von großer Wichtigkeit sein.

Weiterhin muss sichergestellt werden, dass die Blutentnahme zwischen 7.00 und 9.00 Uhr morgens erfolgt und der Patient eine 12-ständige Nahrungskarenz durchgeführt hat. Auch eine Alkoholeinnahme während der letzten 24 Stunden, Trinken von koffeinhaltigen Getränken, Rauchen und das Kauen von Kaugummi können die zu analysierenden Laborwerte deutlich verändern. Die Einhaltung dieser Bedingungen ist eine strikte Empfehlung mit einer moderaten Qualitätsevidenz. Für spezielle Fragestellungen, wie das therapeutische Drugmonitoring, gelten besondere Regeln.

Außerdem sollten für die Blutentnahme alle wichtigen Gerätschaften und Materialien zur Verfügung stehen. Die blutabnehmende Person muss sich von der Vollständigkeit überzeugen; dies ist eine schwache Empfehlung mit niedriger Qualitätsevidenz (20). Jedoch ist darauf zu achten, dass die Blutentnahmeröhrchen alle richtig beschriftet sind. Dies wird als wichtige Empfehlung mit niedriger Qualitätsevidenz bewertet (10).

Sampling

blood test tubes
Quelle: Shutterstock/Africa Studio

Von gleicher Wichtigkeit wird das Tragen von Handschuhen bei der eigentlichen Blutentnahme bewertet. Von höchster Wichtigkeit und somit eine strikte Empfehlung mit hoher Qualitätsevidenz wird das Anlegen eines Stauschlauches bewertet (1A) Zur Auswahl der Venenpunktion sind genaue anatomische Kenntnisse zum Verlauf der Armvenen notwendig. Die Autoren klassifizieren dies als strikte Empfehlung mit moderater Qualitätsevidenz. Von gleicher Wichtigkeit sehen die Autoren das exakte Reinigen der Punktionsstelle mit 70%igem Äthylalkohol oder anderen vergleichbaren Substanzen an.

Einwirkzeiten des Alkohols sowie der Umgang mit der desinfizierten Punktionsstelle sind genauestens beschrieben. Die weiteren Schritte wie Punktion der Vene mit direkter Nadel oder Butterfly sowie Befüllung der Probeentnahmeröhrchen und lösen des Stauschlauches sind strenge Empfehlungen mit einer hohen Qualitätsevidenz (1A). Die Autoren legen weiterhin hohen Wert auf die Reihenfolge der abzunehmenden Proberöhrchen. Zu allererst sind Röhrchen für die Blutkultur abzunehmen, dann folgen Röhrchen mit Citratzusatz, Röhrchen ohne oder mit Gerinnungsaktivatoren, Heparinröhrchen, Röhrchen mit EDTA-Zusatz, Röhrchen, die die Glykolyse inhibieren (NaF oder ähnliches) und andere Röhrchen. Eine weiterhin strenge Empfehlung ist das Überkopfmischen der korrekt befüllten Probeentnahmeröhrchen (1B); dies sollte 5 bis 10x erfolgen.

Das behutsame Ziehen der Punktionsnadel, sowie die korrekte Verwahrung dieser Nadel in entsprechenden Abfallbehältern bewerten die Autoren mit hoher Qualitätsevidenz und als strikte Anweisung (1A).

Die anschließende Versorgung der Wunde sowie die Kompression der Punktionsstelle durch den Patienten sind ebenfalls strikte Empfehlungen jedoch mit geringer Qualitätsevidenz. Nachdem alle Probenröhrchen nochmals 4x über Kopf gemischt wurden, werden die Untersuchungshandschuhe verworfen. Dieser letzte Punkt wird von den Autoren als strikte Empfehlung mit hoher Qualitätsevidenz bewertet.

Post-sampling

Nach der Blutentnahme soll der Patient mindestens 5 Minuten ruhen oder von der blutabnehmenden Person solange beobachtet werden bis die Blutgerinnung eingesetzt hat. Die abschließende Kommunikation mit dem Patienten wird von den Autoren als ebenso wichtig angesehen und als strikte Empfehlung mit mäßiger Qualitätsevidenz bewertet. Im abschließenden Teil der genannten Publikation wird ausführlich die Einführung dieser Richtlinie beschrieben. Nationale Vorschriften und Erlasse können jedoch Hürden oder Barrieren darstellen und sollten unbedingt berücksichtigt werden.

Für eine erfolgreiche Umsetzung der vorgestellten Richtlinie über die korrekte und fehlerfreie venöse Blutentnahme sind zahlreiche Maßnahmen notwendig. Das Personal muss geschult und die erlernten Inhalte regelmäßig nachgeschult werden. Eine Zertifizierung dieser Schulung und praktischen Fähigkeiten mit regelmäßigen Überprüfungen ist hierbei sehr sinnvoll. Zwischenzeitlich sind Audits ein geeignetes Instrumentarium, um die Qualität langfristig sicher zu stellen.

In Krankenhäusern empfehlen die Autoren für die o. g. Implementierung ein Team mit einem Teamleiter. Letzterer sollte die nationalen Vorschriften, Gesetze und Empfehlungen gut kennen und bei der Implementierung der Richtlinie „Empfehlungen zur venösen Blutentnahme am Patienten" unbedingt berücksichtigen.

Venous blood sampling — the sequence of steps

Step
Strength of evidence
1. Identify the patient
1C
2. Verify patient is fasting and properly prepared
1B
3. Obtain supplies required for blood collection
2C
4. Label/identify tubes
1C
5. Put on gloves
1C
6. Apply tourniquet
1A
7. Select venipuncture site
1B
8. Clean sampling site
1B
9. Puncture the vein
1A
10. Draw first tube
1A
11. Release the tourniquet
1A
12. Gently invert the tube once (one full inversion)
1B
13. Draw additional tubes following order of draw
1B
14. Remove needle from the vein and activate safety feature
1A
15. Dispose of the needle
1A
16. Bandage the puncture site
1C
17. Tell the patient to apply a gentle pressure for 5-10 min and not to bend the arm
1C
18. Invert all tubes 4 times
1B
19. Remove gloves
-
20. Advise patient to rest for 5 min and ensure bleeding has stopped before leaving the site of venous blood collection
1B

Glossary

1A: strong recommendation, high quality evidence (benefits clearly outweigh risk and burdens or vice versa)

1B: strong recommendation, moderate quality evidence (benefits clearly outweigh risk and burdens or vice versa)

1C: strong recommendation, low quality evidence (benefits appear to outweigh risk and burdens or vice versa)

2A: weak recommendation, high quality evidence (benefits closely balanced with risks and burdens)

2B: weak recommendation, moderate quality evidence (benefits closely balanced with risk and burdens, some uncertainties in the estimates of benefits, risk and/or burdens)

2C: weak recommendation, low quality evidence (uncertainty in the estimates of benefits, risks and/or burdens; benefits may be closely balanced with risk and burdens)

Source: https://www.uptodate.com/home/grading-guide#GradingRecommendations

portrait of norbert gässler
Prof. Dr. Dr. Norbert Gässler ist Leiter des Zentrums für Labordiagnostik im St. Bernward-Krankenhaus in Hildesheim und Spezialist für patientennahe Labordiagnostik

The original publication, further relevant publications and material to support implementation (poster, presentation, video) can be found on the Working Group‘s resource/educational material page.


Profil:

Prof. Dr. Dr. Norbert Gässler ist Leiter des Zentrums für Labordiagnostik im St. Bernward-Krankenhaus in Hildesheim und Spezialist für patientennahe Labordiagnostik. Er ist nach den Richtlinien der EFLM als European Specialist in Laboratory Medicine zertifiziert. Prof. Gässler ist Mitglied in zahlreichen Fachgesellschaften, darunter die American Association for Clinical Chemistry (AACC), die Berufsvereinigung der Naturwissenschaftler in der Labordiagnostik (BNLD) sowie die Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie (DGKC). Prof. Gässler wirkte an einer Vielzahl klinischer Studien mit Schwerpunkt POCT-Diagnostik mit, in vielen Fällen als Erstautor.

26.09.2018

Mehr aktuelle Beiträge lesen

Verwandte Artikel

Photo

News • Transfusionsmedizin

Trotz künstlichem Blut aus dem Labor: Blutspenden weiter unverzichtbar

Künstlich hergestellte Erythrozyten und Thrombozyten könnten in Zukunft vielen Menschen helfen – Blutspenden werden dadurch jedoch keinesfalls überflüssig, warnen Experten.

Photo

News • Therapieprognose bei AML und CLL

Blutkrebs: Dem Goldstandard auf der Spur

Die messbare Resterkrankung (MRD) zeigt schon früh im Behandlungsverlauf an, ob eine AML- oder CLL-Leukämie auf eine Therapie anspricht. Neue Forschung will den Parameter validieren.

Photo

News • Algorithmus "Haemorasis"

KI-gestützte Zellanalyse für schnellere Diagnose von Blutkrankheiten

Wissenschaftler haben ein KI-System entwickelt, das mikroskopische Aufnahmen von Blutproben charakterisiert. Das hilft bei der Diagnose von Bluterkrankungen.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren