Artikel • Round Table Session beim ECR 2023
Künstliche Intelligenz: der Hunger auf Radiologie-Daten
Künstliche Intelligenz (KI) ist auf große Mengen von Daten angewiesen. Jüngste Initiativen der EU könnten den Austausch von radiologischen Daten zwischen öffentlichen Gesundheitseinrichtungen und Privatunternehmen im Sinne der Forschung und Entwicklung befördern.
Artikel: Michael Krassnitzer
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„Um die Genauigkeit und die Leistungsfähigkeit unserer Algorithmen zu verbessern, brauchen wir große Mengen an Daten“, bekräftigt Dr. Rick Abramson, Chief Medical Officer des australischen Unternehmens Annalise.ai, ein weltweit tätiger Anbieter von KI-basierten Anwendungen im Bereich der Radiologie. Für die Entwicklung bzw. für das Training einer KI-Anwendung reichen vergleichsweise kleine Datenmengen aus. Wenn es aber um die Validierung dieser Anwendungen geht, sind riesige Datenmengen erforderlich; ebenso, wenn die Anwendung in anderen Ländern eigesetzt wird als in jenen, aus denen die zur Entwicklung verwendeten Daten stammen. Annalise zum Beispiel greift auf die Daten von über 20 Millionen radiologischen Untersuchungen zurück. Diese stammen vom I-MED Radiology Network, dem in Australien beheimateten, weltweit größten Zusammenschluss radiologischer Einrichtungen. „Datenaustausch ist für KI-Anwendungen in der Radiologie unverzichtbar“, unterstrich Abramson bei einer Round Table Session des Europäischen Radiologie-Kongresses (ECR 2023).
Diese Einschätzung teilt auch Dr. Martin J. Willemink, Geschäftsführer des US-Unternehmens Segmed, das die in einzelnen Krankenhäusern und ganzen Gesundheitssystemen gespeicherten radiologischen Daten für KI-basierte Anwendungen fit macht und diese auch zur Entwicklung eigener KI-Anwendungen nutzt. „Es müssten viel mehr Daten aus öffentlichen Gesundheitseinrichtungen verfügbar sein“, wünscht sich der ausgebildete Radiologe. Allerdings scheuen viele öffentliche Gesundheitseinrichtungen davor zurück, ihre radiologischen Daten Privatunternehmen zur Verfügung zu stellen. Zum einen ist es eine grundsätzliche Frage der Gerechtigkeit: Öffentliche Krankenhäuser sind chronisch unterdotiert – und dann sollen sie ihre Daten Privatunternehmen zur Verfügung stellen, die mit Hilfe dieser Daten Millionengewinne erzielen? Zum anderen sind es – zumal in Europa – datenschutzrechtliche Bedenken, die öffentliche Gesundheitseinrichtungen davon abhalten, ihre Daten Privatunternehmen zugänglich zu machen.
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EU-Initiativen wollen Datenschutz-Hürden verringern
Schuld daran war die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). „Die DSGVO war grundsätzlich sehr positiv, hat aber den Austausch von Daten für die medizinische Forschung stark eingeschränkt“, erklärt Prof. Dr. Laure Fournier, Radiologin am Hôpital Européen Georges Pompidou (Paris Cité University). Das könnte sich bald ändern. Denn Verbesserungen beim Austausch von medizinischen Daten sind Kernpunkt gleich mehrerer aktueller Initiativen der Europäischen Union. Dazu gehört der Europäische Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS). Dieser hat zum Ziel, das Potenzial von Austausch, Nutzung und Weiterverwendung von Gesundheitsdaten unter gesicherten Bedingungen voll auszuschöpfen. Eine weitere EU-Initiative, die dem Wunsch nach Datenaustausch in Zusammenhang mit KI entgegenkommt, ist der so genannte Koordinierte Plan zur künstlichen Intelligenz. Seine Ziele sind die Beschleunigung der Investitionen in KI, die Umsetzung von KI-Strategien und -Programmen sowie die Angleichung der KI-Politik in den Mitgliedsstaaten.
Vor allem aber die Europäische Initiative für Krebsbildgebung (European Cancer Imaging Initiative, EUCAIM) ist dazu angetan, dem Austausch radiologischer Daten neuen Schub zu verleihen. Erklärtes Ziel des Plans ist es, das Potenzial von Daten und digitalen Technologien wie KI oder High-Performance Computing (HPC) zur Krebsbekämpfung optimal zu nutzen. „Die Europäische Initiative für Krebsbildgebung ist eines der Flaggschiffe des europäischen Plans für Krebsbekämpfung (EBCP)“, erläutert Fournier. Und der EBCP steht derzeit ganz oben auf der Prioritätenliste der EU.
Dass Gesundheitseinrichtungen große finanzielle Vorteile aus der Bereitstellung ihrer Daten ziehen, ist freilich im EU-Regelwerk nicht vorgesehen. Im Europäischen Daten-Governance-Gesetz etwa ist festgeschrieben, dass etwaige finanzielle Kompensationen für die Besitzer der Daten in einem „vernünftigen“ Rahmen bleiben müssen. Für kleine bis mittelgroße Betriebe gilt: Aufwandsentschädigungen dürfen die direkten Kosten der Datenbereitstellung nicht überschreiten. Darüber schütteln selbst die Vertreter der Industrie den Kopf. „Bei uns herrscht das Prinzip, dass jene, die uns Daten zur Verfügung stellen, einen Teil des Gewinnes bekommen, den wir mit Hilfe ihrer Daten generieren“, sagt Willemink.
19.06.2023