Ein Mann mit Bart trägt einen Kopfverband und hält sich mit der rechten Hand...

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News • Expertin zu Spätfolgen

SHT & Co.: Kopfverletzungen im Sport lieber nicht unterschätzen

In Deutschland erleiden im Schnitt 44.000 Menschen jährlich eine Kopfverletzung im Sport. Trotz ärztlicher Checklisten werden beispielsweise Gehirnerschütterungen häufig übersehen.

So gibt es unter anderem viele Beispiele von Fußballern, die nach Zusammenstößen im Kopfball-Duell im Spiel blieben, sich gut fühlten und hinterher keine Erinnerung mehr an das Spiel hatten. Ob Gehirnerschütterung, Schädelprellung oder schwerere Schädel-Hirn-Traumen (SHT) – es gilt unverzüglich eine adäquate Behandlung einzuleiten, da mögliche Spätfolgen gravierend sein können. Welche Folgen das sind, darüber referiert Neurologin und Sportmedizinerin Prof. Dr. Iris Reuter, Oberärztin am Universitätsklinikum Gießen, auf dem 16. Zeulenrodaer Kongress für Orthopädie und Sportorthopädie (ZKOS). 

Auch der Athlet, der nicht bewusstlos war, kann eine Schädigung des Gehirns erlitten haben

Iris Reuter

Verletzungen am Kopf sind besonders häufig in den Kontaktsportarten, wie zum Beispiel Fußball, Handball, Volleyball, aber auch im American Football und beim Reiten. Bei Letzterem vor allem im Cross-Country, wenn der Reiter über den Pferdehals stürzen runtergeht. Rund 17% der Eishockey-Spieler erleiden einmal in ihrer Sport-Karriere eine Kopfverletzung und immerhin noch rund 9% der Basketballer und 6% der Sportler im Fuß- und Handball. „Schädel-Hirn-Traumen werden heute in 3 Schweregrade eingeteilt“, so Prof. Iris Reuter, „Grad eins entspricht der Gehirnerschütterung, Grad 2 wurde früher Gehirnprellung genannt und Grad 3 wird auch als Gehirnquetschung bezeichnet.“ 

Die Einteilung erfolgt nach dem „Glasgow Coma Score“, einem klinischem Bewertungsschema für Bewusstseins- und Hirnfunktionsstörungen. „Hiermit wird die Bedeutung der klinischen Untersuchung des Verletzten in den Vordergrund gestellt. Beim Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades muss entgegen der landläufigen Meinung keine Bewusstlosigkeit vorliegen. Auch der Athlet, der nicht bewusstlos war, kann eine Schädigung des Gehirns erlitten haben. Tritt eine Bewusstlosigkeit ein, so hält sie maximal ca. 5 Minuten an. Bei einem schwereren Schädel-Hirn-Trauma ist die initiale Bewusstlosigkeit länger und auch die strukturelle Schädigung des Gehirns ausgeprägter bis hin zu Gewebszerreißungen, Blutungen und Hirnödem“, so Reuter. 

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Auch bei einem leichten SHT kommt es zur Wasseransammlung, zu Entzündungsprozessen, einer Störung der Ionenkanäle und der Energiegewinnung der Zellen. All dies führt zu einer Funktionsstörung der Nervenzellen. Diese Störungen halten bis zu zehn Tage an. Aus diesem Grund sollte man zehn Tage nach einer Schädel-Verletzung zum Beispiel auch keine Prüfung schreiben. Und auch Sportler – selbst, wenn sie sagen, es sei alles in Ordnung – sollten pausieren. Denn durch das erkrankte Gehirn ist auch die Koordination gestört, wodurch sich Sportler bei schnellem Wiedereinstieg häufiger an Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken verletzen. 

Beim Bergsteigen sorgen immer wieder Steinschläge für schwere Gehirn-Verletzungen. Selbst kleine Steine entwickeln eine riesige Wucht, wenn sie aus mehreren Hundert Metern Höhe herabfallen. Sehr oft endet ein Steinschlag gegen den Kopf – selbst mit Helm – tödlich, wie zuletzt bei der weltbekannten Biathletin und erfahrenen Bergkletterin Laura Dahlmeier. 

Von den meisten typischen Schädel-Hirn-Traumata (75% leichte SHT) erholen sich Betroffene innerhalb von 2-3 Wochen. 10%-16% der Patienten jedoch entwickeln das sogenannte „Post-Concussion Syndrom“ und haben noch über vier Wochen hinaus mit Übelkeit, Schwindel, Schlaf-Beeinträchtigungen und Kopfschmerzen zu tun. Das Syndrom äußert sich zusätzlich in herabgesetzter Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit, Betroffene können Dinge nicht genau genug oder nicht in der richtigen Reihenfolge ausführen. Einige Patienten haben auch einem Jahr nach einem leichten Schädel-Hirn-Trauma noch Symptome. Bei schweren Schädel-Hirn-Traumata sind Rehabilitationsprozesse über mehrere Monate eher die Regel, teilweise kommt es zu irreversiblen Funktionsausfällen. Kognitiv schneiden diese Personen im Schnitt schlechter ab als Vergleichsgruppen. 

Bei wiederholten Kopfverletzungen, wie sie beispielsweise bei Kontaktsportarten auftreten können, kann es zur chronisch traumatischen Enzephalopathie kommen. Sie geht mit einer Schädigung und fortschreitender Degeneration von Nervenzellen einher. Zusätzlich können sich Tau-Proteine im Gehirn einlagern.

Angehörige, Freunde und Arbeitskollegen bemerken bei Patienten mit verzögerter Erholung nach einem Schädel-Hirn-Trauma häufig emotionale Veränderungen, eine verminderte Belastbarkeit, Ängste und Depressionen, Schlafstörungen und ein Sich-nicht-konzentrieren-können

Iris Reuter

Im MRT sind auch geringe Veränderungen des Gehirns nach einem SHT meistens eindeutig zu sehen. „Auch bei leichten Schädel-Hirn-Traumen kann man im MRT mit einer speziellen Aufnahmetechnik, der Tensor-Imaging-Technik, feine Veränderungen der Nervenzellausläufer sichtbar machen“, sagt die Expertin. Durch diese Technik können die sogenannten diffusen axonalen Verletzungen, die auch beim leichten Schädel-Hirn-Trauma vorkommen und für den Verlauf entscheidend sind, diagnostiziert werden. Die Veränderungen im MRT zeigen sich häufig länger, als klinisch vermutet und zeigen noch eine gewisse Vulnerabilität an. 

Reuter: „Angehörige, Freunde und Arbeitskollegen bemerken bei Patienten mit verzögerter Erholung nach einem Schädel-Hirn-Trauma häufig emotionale Veränderungen, eine verminderte Belastbarkeit, Ängste und Depressionen, Schlafstörungen und ein Sich-nicht-konzentrieren-können. Einst starke Menschen werden mitunter weinerlich, sind völlig aus dem Leben gerissen.“ In diesem Falle sollte wiederholt eine Diagnostik mit dem MRT erfolgen, die Person muss komplett aus der Belastung genommen werden oder auch psychologisch betreut werden. 

Bei Vorschädigungen wirken Kopfverletzungen umso schlimmer. Hierbei sind bei rund 30% der Betroffenen nach vier Monaten immer noch Auffälligkeiten im MRT zu sehen. 

Es muss aber nicht immer nur der aktive Sport sein, der zu Schädel-Hirn-Traumata führt. Besonders häufig sehen Frau Prof. Reuter und ihre Kollegen Kopfverletzungen bei Radfahrern. Da ist es egal, ob sportlich mit dem Rennrad oder einfach nur mit dem Holland-Rad zur Arbeit: wer kopfüber über den Lenker fällt, hat hohe Risiken für eine Gehirnverletzung. Diese muss, um Folgeschäden zu vermeiden, immer genügend Zeit haben, auszuheilen, betont die Expertin. 


Quelle: Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin 

18.08.2025

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