Eine Ärztin und ihre Patientin sitzen an einem Tisch und unterhalten sich im...
Die Aufklärung von Patienten über die Teilnahme bei klinischen Studien gehört zu den Hauptaufgaben im Kompetenzzentrum Klinische Studien, wie Leiterin Sabine Embacher-Aichhorn (rechts) im Interview schildert.

Bildquelle: Medizinische Universität Innsbruck; Foto: D. Bullock

Interview • Patientenkommunikation

Klinische Forschung: Fortschritt durch Vertrauen schaffen

Sabine Embacher-Aichhorn leitet das Kompetenzzentrum Klinische Studien (KKS) an der Medizinischen Universität Innsbruck. Im Interview anlässlich des internationalen Tags der klinischen Forschung am 20. Mai spricht sie über rechtliche Rahmenbedingungen bei der Durchführung von klinischen Studien und die große Rolle, die das Vertrauen zwischen Ärzten, Studienkoordinatoren und Patienten spielt.

Was ist eine klinische Studie?

Sabine Embacher-Aichhorn: Wir sprechen von klinischen Studien, immer wenn eine Studie an einem Menschen durchgeführt wird – also dann, wenn an Menschen direkt oder indirekt an Probenmaterial oder im weiteren Sinne mit Gesundheitsdaten von Menschen geforscht wird. Da gibt es viele unterschiedliche Gesetze. In Österreich haben wir, wie in vielen anderen Ländern auch, kein alles umfassende Forschungsgesetz. In der Schweiz gibt es das sehr wohl.

Wie ist das in Österreich im Unterschied zur Schweiz geregelt?

Ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zwischen den Ärzten und den Patienten [...] ist nicht nur eine Pflicht, das ist auch die Kür

Sabine Embacher-Aichhorn

In der Schweiz gilt das Humane Forschungsgesetz, das wirklich alles von der Befruchtungsforschung bis zur Forschung mit Proben bzw. Daten von Verstorbenen in einem einzigen Gesetzestext regelt. Bei uns in Österreich, bzw. in der EU gibt es kein allumfassendes Gesetz, sondern z.B. separate Verordnungen zu Arzneimitteln und Medizinprodukten. Diese vielen Verordnungen sind direkt geltendes Europäisches Recht und kommen in jedem EU-Mitgliedstaat direkt zur Anwendung. Wenn man eine multinationale Studie mit einem Arzneimittel oder einem Medizinprodukt in der Europäischen Union macht, dann gelten EU-weit die gleichen Regelungen. 

Im Allgemeinen ist der Arzneimittel- und Medizinproduktebereich in der EU sehr gut geregelt. Es ist etwa möglich, auch Personen, die einen Erwachsenenvertreter haben, die Teilnahme an einer klinischen Studie mit Arzneimitteln oder Medizinprodukten anzubieten.

Welche Vorteile bietet der gesetzliche Rahmen der Schweiz?

Bei allem, was nicht Arzneimittel und nicht Medizinprodukte betrifft, haben wir in Österreich größere Fragezeichen. Das gilt etwa für biomedizinische Forschungsvorhaben. Es gibt markante Unterschiede bei den Rahmenbedingungen, je nachdem ob zum Beispiel eine Forscherin von einer Patientin Blut abnehmen und es dann untersuchen will, oder einen Patienten auf der Intensivstation beobachten und schauen möchte, ob und wann er Fieber entwickelt. Oder auch im Fall einer Fragebogenstudie. 

Portraitfoto von Sabine Embacher-Aichhorn
Sabine Embacher-Aichhorn

Bildquelle: Medizinische Universität Innsbruck; Foto: D. Bullock

Eine Beobachtungsstudie auf der Intensivstation bei der der Patient ausschließlich beobachtet wird und keinerlei über die Regelversorgung hinausgehende Behandlungen gemacht werden und der Forscher ausschließlich Daten für eine Auswertung erfassen möchte, ist nach dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch verboten. Selbst wenn die Angehörigen damit einverstanden wären und der Patient immer schon gesagt hat, dass er Forschung wichtig und unterstützenswert findet, ist das nicht möglich. Der Grund: Eine mündliche und schriftliche Aufklärung ist nicht durchführbar. Bei einem Patienen, der Demenz hat und selbst nicht mehr entscheidungsfähig ist und daher einen Erwachsenenvertreter hat, darf ein Forscher auch keine Blutabnahmen machen und diese nicht untersuchen, ob es z.B. einen Biomarker gibt, der den weiteren Krankheitsverlauf vorhersagen lässt, um damit etwa Behandlungen zu entwickeln, weil der betreffende Patient selbst in dem Fall keinen unmittelbaren persönlichen Nutzen daraus hat. 

Natürlich gibt es hier zwei Seiten: Einerseits ist sichergestellt, dass keine Forschung an Personen stattfinden kann, die nicht aufgeklärt wurden und explizit zugestimmt haben. Andererseits finde ich, dass dadurch der Beitrag der exzellenten ForscherInnen in Österreich zum weltweiten Fortschritt in der Medizin eingeschränkt wird. Diese Projekte können wir momentan in Österreich – im Vergleich zu anderen Ländern innerhalb der EU bzw. weltweit – so nicht machen. 

Alle Studien mit Menschen, die entscheidungsfähig sind, sind ethikkommissionspflichtig und der Patient muss nach erfolgter Aufklärung der Teilnahme zustimmen.

Was ist Ihre Aufgabe bei klinischen Studien?

Wir bereiten gemeinsam mit den Forschern die Unterlagen vor, damit die Ethikkommission bzw. die Behörden dann prüfen können, ob das Vorhaben wissenschaftlich-ethisch gerechtfertigt und durchführbar ist und ob die Qualifikation der Ärzte und Wissenschafter gegeben ist. Wir begleiten bei multinationalen, multizentrischen Studien das gesamte Projektmanagement. Wir unterstützen bei der Organisation, um das Prüfpräparat – das entsprechende Arzneimittel oder Medizinprodukt – zu beschaffen und bei der inhaltlichen, nicht rechtlichen, Überprüfung von Verträgen.

Sie bündeln in der Abteilung viel Knowhow.

Ja, sehr viel. Wir sind auch in der Umsetzung der Studienprotokolle aktiv beteiligt. Studienkoordinatoren unterstützen die Studienärzte am Studienzentrum, die Projekte durchzuführen. Sie vereinbaren die Termine mit den Patienten, helfen ihnen beim Ausfüllen der Fragebögen, bereiten die Unterlagen vor, nach denen die Ärzte die standardisierten Untersuchungen machen müssen, damit sie genauso gemacht werden, wie es das Studienprotokoll vorsieht und alles lückenlos protokolliert werden kann. Für diese Aufgaben sind inzwischen mehr als 50 Mitarbeiter am KKS angestellt.  

Für welche Studien findet man leicht TeilnehmerInnen, bei welchen ist es schwieriger?

Es ist ganz wichtig, dass es ein sehr gutes Vertrauensverhältnis zwischen den Ärzten und den Patienten gibt. Die Aufklärung bzw. Offenheit, worum es geht, sowie die Zeit, die man sich dafür nimmt, sind essentiell. Das ist nicht nur eine Pflicht, das ist auch die Kür. Dann findet man immer Studienteilnehmer. Je besser man aufklärt, je informierter Patienten sind, desto eher sind sie bereit, an Studien teilzunehmen. Und desto eher bleiben sie dann auch in den Studien drin. Patienten haben ja jederzeit das Recht, ohne Angabe von Gründen die Zustimmung zur Teilnahme zurückzuziehen und aus der Studie auszuscheiden. Wenn man in den Kinderbereich schaut, kann man sagen, dass österreichweit bei den onkologischen Erkrankungen mehr als 80% der Kinder in Studien eingeschlossen sind. Das hat auch dazu geführt, dass die Überlebensraten in den letzten Jahrzehnten von 20% auf über 70% in Europa und in Österreich auf über 80% gestiegen sind. Das geht nur, wenn zwischen Eltern, Kindern und den behandelnden Ärzten großes Vertrauen besteht.

Es gibt auch viele Fachbegriffe im Studienbereich, die nicht für alle verständlich sind und verunsichern.

Es ist manchmal sehr schwierig, Patienten zu erklären, wie eine Studie abläuft. Wir versuchen daher bei Studien, die von der Medizinischen Universität Innsbruck selbst geplant werden, vieles grafisch zu lösen. Beispielsweise stellen wir in den Patienten-Einverständniserklärungen für die Studienteilnahme die Termine und was jeweils untersucht wird auch bildlich dar. Da sind wir Vorreiter. An dem Tag, an dem etwa ein Medikament zum allerersten Mal verabreicht wird, ist noch ein kleines Bild dabei, damit man sofort sieht: „Da bekomme ich das erste Mal ein Medikament." Die Patienten wissen so immer, was wann passiert und können sich das bildlich einprägen. Das schafft Vertrauen. Manchmal geht es nicht ohne Fremdwörter, dann fügen wir ein Glossar bei, in dem die Begriffe erklärt werden. Es ist auch wichtig, Fremdwörter zu benutzen – und dann zu erklären –, damit sich die Patienten auskennen, wenn sie dieses Wort hören.

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Gibt es denn einen Überblick für PatientInnen, welche Studien gerade laufen?

Es gibt einen öffentlichen Teil in unserem Studienregister. Die Sponsoren, also diejenigen, die als Firmen oder auch akademische Einrichtungen Studien durchführen, dürfen entscheiden, ob sie das veröffentlichen wollen. Es gibt mittlerweile auch Apps, wie z.B. Probando, die Studienzentren mit Patienten verknüpfen wollen. Bei den meisten Studien erfolgt die direkte Ansprache der Patienten durch die behandelnden Ärzte.

Müssen Patienten von jeder Studie einen persönlichen Nutzen haben?

Es ist nicht einfach, diesen persönlichen Nutzen zu definieren. Wenn Sie an eine Placebokontrollierte Studie denken, sind die Probanden, die das Placebo erhalten, nicht unbedingt diejenigen, die einen direkten Nutzen durch den neuen Wirkstoff haben. Sie bekommen in der Studie nicht das neue Medikament verabreicht, das aber gegebenenfalls auch mit einem Risiko verbunden ist. Dennoch glaube ich, dass es auch für sie ein Vorteil ist, dass sie zusätzlich zu der hervorragenden medizinischen Betreuung, die man in der Routine ohnehin erhält, noch mehr direkte, persönliche Betreuung z.B. durch die Studienkoordinatoren bekommen und auch engmaschiger kontrolliert werden.

Werden Patienten über die Ergebnisse der Studie immer informiert?

Wenn der Patient das möchte, ist das nachdem die Studie an allen Studienzentren beendet und alle Daten ausgewertet wurden sogar verpflichtend. 


Quelle: Medizinische Universität Innsbruck

17.05.2025

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