MRT-Aufnahme des Bauchraums; ein roter Pfeil zeigt die Nebenniere
Das MRT zeigt einen drei Zentimeter großen Nebennierentumor auf der rechten Seite. Drei Prozent der über 50-Jährigen und 10% der über 80-Jährigen haben Nebennieren-Zufallstumore, die meist bei einer bildgebenden Untersuchung des Bauchraums entdeckt werden.

© UKW

News • Studie zu Nebennieren-Zufallstumoren

Inzidentalom-Entfernung „heilt“ Bluthochdruck

CHIRACIC-Studie zeigt überraschend positive Ergebnisse auf den Blutdruck nach operativer Entfernung eines einseitigen Nebennieren-Zufalltumors mit leicht erhöhter Kortisolproduktion

Ein Schwerpunkt der Endokrinologie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW) sind bösartige Tumoren der Nebenniere. Für die Diagnose, Behandlung und Erforschung des seltenen, aber äußerst aggressiven Nebennierenkarzinoms hat sich das UKW als internationales Referenzzentrum etabliert. Bei eindeutig gutartigen Tumoren der Nebenniere ging es jahrelang laut Prof. Dr. Martin Fassnacht, Leiter des Würzburger Lehrstuhls für Endokrinologie und Diabetologie, vor allem darum, die wenigen Patienten herauszufiltern, die massiv unter der vom Tumor verursachten Überproduktion bestimmter Hormone leiden. „Diese Krankheitsbilder wie das Cushing- oder Conn-Syndrom oder Phäochromozytome sind aber ebenfalls sehr selten. Bei der Mehrheit der Patienten mit Nebennierentumoren ging es uns darum, niemanden unnötig krank zu machen", sagt Fassnacht mit Blick auf einen relevanten Anteil der Bevölkerung über 50 Jahre.

Dass wir in der Studie bei einem relevanten Teil der operierten Patienten, nämlich bei etwa der Hälfte, für perfekte Blutdruckwerte nun gar keine Medikamente mehr benötigen, gewissermaßen den Blutdruck geheilt haben, hat meine Sicht auf diese Krankheit entscheidend verändert

Martin Fassnacht

Denn 3% der über 50-Jährigen und 10% der über 80-Jährigen haben Nebennieren-Zufallstumore, auch Nebennieren-Inzidentalom genannt. Diese Tumoren werden per Definition zufällig bei einer bildgebenden Untersuchung des Bauchraums entdeckt, zum Beispiel bei Gallenbeschwerden, Verdacht auf Nierensteine oder Rückenschmerzen. Weniger als 10% Prozent dieser Nebennieren-Zufallstumore sind bösartig, weitere 10% führen zu einem starken Hormonüberschuss, die restlichen 80% wurden lange Zeit zur Gruppe der klinisch hormoninaktiven Tumoren gezählt. „Schon länger war allerdings bekannt, dass fast jeder Zweite aus dieser Gruppe eine leicht erhöhte Produktion des Hormons Kortisol aufweist. Ob dieser leichte Kortisolüberschuss krank macht, war unklar“, berichtet Martin Fassnacht. Der Endokrinologe schätzt, dass circa eine halbe Million Bundesbürger betroffen sein dürften. 

Dass diese leicht erhöhte Kortisolproduktion nicht so harmlos ist, wie er einst dachte, zeigte Fassnacht bereits in einer internationalen, multizentrischen Studie, die er 2014 selbst initiierte und deren überraschende Ergebnisse er im Jahr 2022 in der Fachzeitschrift The Lancet Diabetes & Endocrinology publizierte: Bei mehr als 3.500 Betroffenen mit Nebennieren-Inzidentalom war damals eine erhöhte Kortisolausschüttung mit vermehrten Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert, vor allem bei Frauen unter 65 Jahren. „Seitdem wir das wissen, achten wir natürlich verstärkt auf unsere Patienten mit gutartigen Nebennierentumoren und prüfen mit dem Dexamethason-Test, ob eine erhöhte Kortisolproduktion und damit ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes vorliegt“, sagt Fassnacht.

Prof. Martin Fassnacht und Prof. Antoine Tabarin stehen vor einer Fotowand auf einem Endokrinologie-Kongress
Prof. Martin Fassnacht (links) und Prof. Antoine Tabarin präsentierten ihre aktuelle Studie beim Gemeinsamen Kongress der European Society for Paediatric Endocrinology (ESPE) und European Society of Endocrinology (ESE) im Mai 2025 in Kopenhagen.

Bildquelle: UKW; © privat

Dennoch blieb unklar, ob der Tumor operativ entfernt werden soll oder nicht? Prof. Antoine Tabarin, Leiter der Endokrinologie am Universitätsklinikum Bordeaux in Frankreich, initiierte deshalb die Interventionsstudie CHIRACIC, in der die Auswirkungen der chirurgischen Entfernung des Inzidentaloms auf den Blutdruck untersucht wurde. 

Insgesamt wurden 78 Patienten an 17 Universitätskliniken in Frankreich, Deutschland und Italien rekrutiert, wobei das Universitätsklinikum Würzburg (UKW) nach Bordeaux das zweitgrößte Studienzentrum war. Die Studienteilnehmer mussten über einen Zeitraum von bis zu knapp zwei Jahren alle vier Wochen an fünf Tagen jeweils dreimal morgens und dreimal abends ihren Blutdruck messen. Vor der Randomisierung, also der Zuteilung zu den Studiengruppen nach dem Zufallsprinzip, wurden alle Teilnehmenden mit standardisierten Medikamenten auf einen „idealen Blutdruck“ von 125 zu 80 eingestellt. 

Dabei stellte sich heraus, dass 10% der Rekrutierten bei den Messungen daheim gar keinen Bluthochdruck hatten. „Die hätten wir völlig unnötig behandelt“, sagt Fassnacht. Das Blutdruckmanagement sei in der methodisch starken Studie ohnehin supergenau und absolut lehrreich gewesen. Insgesamt 52 Personen kamen letztendlich für die Studie in Frage. Die eine Hälfte erhielt eine Nebennierenresektion, die andere weiter die medikamentöse Therapie. 

Die geringe Probandenzahl sei sicherlich eine Schwäche dieser zeitaufwändigen Studie - die „schockierend“ eindeutigen Ergebnisse, die jetzt ebenfalls im Journal The Lancet Diabetes & Endocrinology veröffentlicht wurden, seien aber hoch signifikant und veränderten die Situation grundlegend, so Fassnacht, der auch zu Beginn dieser Studie skeptisch war und entsprechend vom Ergebnis überrascht wurde. „Aber das sind eben die wissenschaftlich interessantesten Studien“, sagt Fassnacht. 

Im Schnitt führte die Operation dazu, dass die Anzahl der Blutdruckmedikamente von 3 auf 0,8 reduziert werden konnte. Und selbst die Reduktion um ein Medikament sei für einige Betroffene ein Vorteil, zumal der Blutdruck mit zunehmendem Alter automatisch weiter ansteige und mehr Medikamente benötigt würden. Fassnacht, der sich mit Philippe Gosse die Letztautorenschaft teilt, resümiert: „Dass wir in der Studie bei einem relevanten Teil der operierten Patienten, nämlich bei etwa der Hälfte, für perfekte Blutdruckwerte nun gar keine Medikamente mehr benötigen, gewissermaßen den Blutdruck geheilt haben, hat meine Sicht auf diese Krankheit entscheidend verändert“. Das UKW bietet inzwischen allen Menschen mit gutartigem Nebennierentumor und einer Kortisolüberproduktion zumindest die Operation als potentiell sehr gute Therapieoption an. 


Quelle: Universitätsklinikum Würzburg; Text: Kirstin Linkamp / Wissenschaftskommunikation

14.05.2025

Verwandte Artikel

Photo

News • Studie vergleicht Operationsmethoden

Nierentumor-OP: Immer mehr Patienten setzen auf den Roboter

Für die Entfernung von Nierentumoren entscheiden sich immer mehr Patienten für eine Roboter-OP – zu Recht? Eine neue Studie stellte den Vergleich zwischen robotischer und offener Operation an.

Photo

News • Zervixkarzinom

Gebärmutterhalskrebs: Patientinnen profitieren von schonenderer OP

Kleine OP statt radikale Entfernung: Eine neue Studie zeigt, dass Gebärmutterhalskrebs im Frühstadium oft schonender behandelt werden kann als bisher angenommen.

Photo

Artikel •

Fortschritte in der Radiochemotherapie von Mastdarmkrebs

Bei Patienten mit fortgeschrittenem Mastdarmkrebs (Rektumkarzinom) setzen Ärzte vor der Operation des Karzinoms oft eine Radiochemotherapie ein, um den Tumor zu verkleinern. Wie ein deutsches…

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren