Helm bringt Hoffnung für Schlaganfall-Patienten

Artikel • Forschungsprojekt "ConnectToBrain"

Helm bringt Hoffnung für Schlaganfall-Patienten

Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Erkrankung, die zum Tod führt, und die häufigste Erkrankung im Erwachsenenalter, die eine bleibende Behinderung nach sich zieht. Bisher ist es Medizinern und Forschern nicht gelungen, eine Therapie zu entwickeln, die eine vollständige Rehabilitation nach einem Schlaganfall ermöglicht. Das möchte Prof. Dr. Ulf Ziemann ändern.

Bericht: Sonja Buske

Mit einem Konsortium von Wissenschaftlern aus drei Ländern steckt der Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie des Universitätsklinikums Tübingen mitten in der Entwicklung eines Helms, der die bisherigen Therapieversuche revolutionieren soll.

portrait of Ulf Ziemann
Prof. Dr. Ulf Ziemann

Das Projekt mit dem Namen „ConnectToBrain“ wird vom Europäischen Forschungsrat (ERC) noch bis 2025 gefördert. Die drei beteiligten Partner sind neben dem Universitätsklinikum Tübingen die Aalto Universität in Espoo, Finnland sowie die Universität Chieti-Pescara „Gabriele d’Annunzio“ in Italien. Die klinische Motivation für das Projekt kommt aus Tübingen. „Die bisherigen Therapiemöglichkeiten, um Schlaganfallfolgen wie Lähmungen oder Sprachstörungen zu beheben, reichen einfach nicht aus“, sagt Ziemann. „Die Patienten erholen sich oft nur unvollständig und haben bleibende Defizite.“

Vor fast 30 Jahren hat der Neurologe bereits die transkranielle Magnetstimulation (TMS) in der neurowissenschaftlichen Forschung eingesetzt. Diese nicht invasive, schmerzfreie Stimulation des Gehirns durch wiederholte Impulse soll in Kombination mit Physio- und Ergotherapie Erholungsprozesse fördern. „Bis dato wird die TMS jedoch nur als Open-Loop-Protokoll eingesetzt“, erklärt Ziemann. „Dabei wird ein vordefiniertes Protokoll an einer festgelegten Stelle des Gehirns appliziert. Die Wirksamkeit dieses Open-Loop-Ansatzes ist sehr begrenzt und die Erfolge sind überschaubar.“ Dieser Ansatz soll mithilfe der in der klinischen Routine bereits seit Jahrzehnten etablierten Elektroenzephalografie (EEG) jetzt verbessert werden. „Wir wissen aus der Forschung, dass das Gehirn nicht immer gleich auf Impulse reagiert“, so Ziemann. „Die Gehirnzustände wechseln ständig. Mit der EEG können wir diese auf den Punkt genau in Echtzeit auslesen und wissen so, wann das Gehirn am ehesten für die Stimulation bereit ist. Wir stimulieren also nicht mehr eine „Black Box“, sondern können den Zustand des Gehirns in Echtzeit beurteilen und den richtigen Moment für die Stimulation entsprechend auswählen.“

TMS-Reizspulen stimulieren die gesamte Hirnrinde

Wir stehen in den Startlöchern und möchten mit einer Studie an gesunden Probanden beginnen, um dann im nächsten Schritt mit Schlaganfallpatienten zu arbeiten.

Ulf Ziemann

Derzeit kann die TMS-Technologie allerdings nur einen Punkt stimulieren. Zur Behandlung von Netzwerkerkrankungen wie Schlaganfall oder auch Depressionen müssten mehrere über das ganze Gehirn verteilte Knotenpunkte eines Netzwerkes stimuliert werden. Hier setzt das Projekt „ConnectToBrain“ an. In dem Helm, der von Physikern der Aalto Universität derzeit entwickelt wird, sitzen zahlreiche TMS-Reizspulen, um die gesamte Hirnrinde abzudecken. „Jede dieser Spulen kann stimulieren. Somit erreichen wir jeden Ort auf der Hirnrinde“, zeigt sich Ziemann begeistert. Technisch ist die Fertigung des Helms eine Herausforderung, die in mehreren Schritten erfolgt. Zunächst wurde eine 5-Kanal-Spule hergestellt, die die Stimulation von erst einmal einem Teil einer Hirnhälfte ermöglicht. Erste Studien werden damit bereits durchgeführt. Nach Deutschland kommt der Prototyp im ersten Quartal 2021. Ziemann: „Wir stehen in den Startlöchern und möchten mit einer Studie an gesunden Probanden beginnen, um dann im nächsten Schritt mit Schlaganfallpatienten zu arbeiten.“ Schon jetzt gibt es in Tübingen eine TMS-Ambulanz, in der täglich Schlaganfallpatienten mit der Magnetstimulation behandelt werden. „Das ist bundesweit einmalig in der universitären Neurologie“, weiß Ziemann.

Das Projekt endet 2025. Dann soll der erste Helm in einer Klinik eingesetzt werden. Ziemann ist sehr zuversichtlich, dass dieser Zeitplan auch funktionieren wird. In einer späteren Projektphase ist ebenfalls vorgesehen, Lösungen für die Serienproduktion des Helms zu finden. „Ob wir dafür einen externen Partner suchen oder sogar selbst eine Firma gründen, wird sich dann zeigen“, so Ziemann. „Auf jeden Fall werden wir die TMS-Therapie des Schlaganfalls revolutionieren.“


Profil:

Prof. Dr. Ulf Ziemann ist Ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt vaskuläre Neurologie des Universitätsklinikums Tübingen sowie Direktor am Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung. Seine klinischen Schwerpunkte sind neurovaskuläre Erkrankungen (interdisziplinäre Akuttherapie des Schlaganfalls), die neurologische Intensivmedizin, Multiple Sklerose und Klinische Neurophysiologie. Er ist unter anderem Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft.

29.10.2020

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