Bildquelle: Tscherpel et al., Brain 2020 (CC BY-NC 4.0)

News • Hirnnetzwerke und Neurorehabilitation

Wie das Gehirn einen Schlaganfall überwinden kann

Der Schlaganfall gehört weltweit zu den häufigsten Ursachen für eine erworbene Behinderung. Zu den Spätfolgen zählen Sprachstörungen oder halbseitige Lähmungen. Neue und immer bessere Behandlungsmöglichkeiten wie Thrombolyse und Thrombektomie haben die Behandlung des akuten Schlaganfalls in den letzten Jahren revolutioniert.

Jenseits der akuten Phase beschränkt sich das therapeutische Repertoire jedoch weitgehend auf spezielle Trainingsmaßnahmen – mit mäßigem Erfolg. Um die begrenzten therapeutischen Möglichkeiten zur Regeneration zu verbessern, wird derzeit die Anwendung einer nicht invasiven Hirnstimulation über die Transkranielle Magnetstimulation (TMS) bei Schlaganfall-Patienten untersucht. Diese hat das Potenzial, betroffene Hirnnetzwerke nach Schlaganfall zu modulieren und deren neurologische Störungen über den Effekt von Trainingsmethoden hinaus abzumildern. „Ich bin zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren die Hirnstimulation als festen Bestandteil der Schlaganfall-Therapie etablieren werden“, so die Einschätzung von Prof. Dr. Christian Grefkes-Hermann, 1. Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) e.V. Die aktuellen Erkenntnisse in diesem Bereich fasste er auf einer Pressekonferenz anlässlich des Kongresses für Klinische Neurowissenschaften DGKN23 in Hamburg zusammen.

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Läsionsüberlappung und Voxel Lesion Symptom-Mapping (VLSM): (A) Schlaganfallpatienten zeigten die größte Überlappung auf der Ebene der Basalganglien, einschließlich des Crus posterius der Capsula interna, des Putamen und Teilen des Thalamus. (B) Läsionen, die mit einer erhöhten frühen EEG-Aktivität verbunden sind, die durch TMS-Reaktionen (transkranielle magnetische Stimulation) hervorgerufen wird. (C) Läsionen, die mit einer Verschlechterung der Anzahl der Ausschläge der TMS-EEG-Reaktionen einhergehen. (D) Das untere Feld zeigt Läsionen, die mit Veränderungen der Eigenfrequenzen einhergehen. Die Farbbalken stellen die entsprechenden t-Werte der VLSM-Analyse dar.

Bildquelle: Tscherpel et al., Brain 2020 (CC BY-NC 4.0)

Grefkes-Hermann, Direktor der Klinik für Neurologie am Universitätsklinikum Frankfurt, forscht seit 15 Jahren systematisch an der Entwicklung innovativer Therapiemethoden zur Reduktion von Schlaganfall-Defiziten. Mit seiner Arbeitsgruppe konnte er zeigen, welche Hirnregionen nach einem Schlaganfall aktiv werden und wie sich diese Änderungen der Netzwerkaktivität des Gehirns auf die motorische Funktionserholung auswirken. „Der wichtigste Faktor für die funktionelle Erholung nach einem Schlaganfall ist die neuronale Reorganisation“, so Grefkes-Hermann. Diese ist von Faktoren sowohl auf zellulärer Ebene als auch auf Netzwerk-Ebene abhängig. Welche Strategien zur Förderung der Wiederherstellung der Funktion beitragen bzw. den Erholungsprozess unterstützen, untersuchte Grefkes-Hermann systematisch anhand der Neurostimulation mit Transkranieller Magnetstimulation (TMS)1,2. Die Kombination aus Neuroimaging-Verfahren und Neurostimulationstechniken wie TMS lieferte die bisher besten Ergebnisse zur Reorganisation neuronaler Netze. „Die strukturelle Bildgebung mit MRT oder die Elektroenzephalographie (EEG) machen diejenigen Hirnareale sichtbar, die am meisten von einer Neurostimulation mit TMS profitieren können“, erläuterte Grefkes-Hermann1,2

Nach fokaler Schädigung reorganisieren zerebrale Netzwerke ihre strukturelle und funktionelle Anatomie, um sowohl die Läsion selbst als auch Fernwirkungen zu kompensieren. Die Analyse von Neuroimaging-Daten ermöglichte es, in vivo die spezifischen Beiträge einzelner Hirnareale zu diesem Prozess zu bewerten. „Mithilfe von Konnektivitätsanalysen können wir die Auswirkungen des Schlaganfalls auf zerebrale Netzwerke untersuchen und verstehen, warum sich einige Patientinnen und Patienten besser erholen als andere“, so Grefkes-Hermann. Solche Konnektivitätsanalysen können dazu beitragen, die Behandlungsmethoden individuell zu optimieren3.

Auch der Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) könnte in Zukunft maßgeblich dazu beitragen, die Behandlungsergebnisse nach einem Schlaganfall zu verbessern. Die strategische Nutzung einer stetig wachsenden Menge an patientenbezogenen Daten kann dabei helfen, Algorithmen-basierte Ergebnisvorhersagen zum individuellen Verlauf bei einzelnen Schlaganfall-Patienten zu berechnen, sowohl im akuten als auch im chronischen Stadium. KI-Ansätze werden immer präziser und legen Faktoren offen, die eine schnelle Regeneration oder einen komplizierten Verlauf begünstigen können. „Mit diesen Informationen besteht das große Potenzial, die Therapien individuell anzupassen und somit die Rehabilitationszeit zu verkürzen, ohne Abstriche bei den Behandlungsergebnissen machen zu müssen“, erläuterte Grefkes-Hermann die Vorteile4. Die aktuellen Erkenntnisse aus klinischer Forschung und KI kommen der Versorgung von Schlaganfall-Patienten zugute. „Der Sprung in die Präzisionsmedizin mit maximal individualisierten Therapieansätzen steht bevor“, prognostiziert Grefkes-Hermann. 

Literatur: 

  1. Grefkes C, Fink GR. Recovery from stroke: current concepts and future perspectives. Neurol Res Pract. 2020;2:17. Published 2020 Jun 16
  2. Tscherpel C, Dern S, Hensel L, Ziemann U, Fink GR, Grefkes C. Brain responsivity provides an individual readout for motor recovery after stroke. Brain. 2020;143(6):1873-1888
  3. Grefkes C, Fink GR. Connectivity-based approaches in stroke and recovery of function. Lancet Neurol. 2014 Feb; 13(2):206-16. 
  4. Bonkhoff AK, Grefkes C. Precision medicine in stroke: towards personalized outcome predictions using artificial intelligence. Brain. 2022;145(2):457-475.


Quelle: Universitätsklinikum Frankfurt

02.03.2023

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