Heinz Nixdorf Recall Studie liefert immer neue Erkenntnisse

Mit der 1999 initiierten Heinz Nixdorf Recall Studie konnten Wissenschaftler am Universitätsklinikum Essen erstmals in Europa den Zusammenhang zwischen der koronaren Verkalkung und dem Herzinfarktrisiko in der Allgemeinbevölkerung nachweisen. Damit ist das Potential der 4.814 Probandendaten jedoch noch lange nicht erschöpft. Zunächst noch bis 2013 wird das Projekt weiter gefördert, der Koronarkalk weiter unter die Lupe genommen und weitere Aspekte beleuchtet.

Prof. Raimund Erbel
Prof. Raimund Erbel

Im Gespräch mit EUROPEAN HOSPITAL (EH) berichteten Prof. Dr. Raimund Erbel (RE), Direktor des Westdeutschen Herzzentrums, Prof. Karl-Heinz Jöckel (K.-H. J.), Direktor des Institutes für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie am Universitätsklinikum Essen und Dr. Susanne Moebus (SM), Projektkoordinatorin der Heinz Nixdorf Recall Studie über die neuesten Ergebnisse und die Sinnhaftigkeit eines Herzinfarkt-Screening-Programms.

Welche Auswirkungen hatten die Erkenntnisse über den prädiktiven Wert des Kalk-Scores, der Heinz Nixdorf Recall Studie auf die kardiologische Fachwelt?

RE: Für die Fachwelt bedeuteten die Ergebnisse natürlich ein Umdenken und das ist immer mit einem Lernprozess verbunden. Plötzlich gilt es, zur Risikobestimmung nicht nur den Cholesterinspiegel oder den Blutdruck zu ermitteln, sondern in einer zusätzlichen CT-Untersuchung den Kalzium Score zu bestimmen, wenn die Voruntersuchung ein mittelhohes Herzinfarktrisiko erkennen lässt. Hinzu kommt die politische Komponente, dass das CT in der Hand der Radiologen ist, was eine Implementierung der Ergebnisse ebenfalls erschwerte und – zumindest in Deutschland – eine Diskussion mit den Krankenkassen über die Erstattung auslösen wird. Heute haben wir jedoch viele dieser Schwierigkeiten hinter uns gelassen.

Der zweite Schritt ist nun zu hinterfragen, wie wir diese Erkenntnisse für die Prävention nutzen können. Denn wenn wir die Belastung der Herzkranzgefäße schon kennen und damit auch das Risiko für den jeweiligen Patienten aufgrund der anderen Parameter ziemlich genau bestimmen können, ist die natürliche Konsequenz eine entsprechende Prävention einzuleiten. Unser Ziel ist es, Empfehlungen auszusprechen und die Menschen mittels Medikation oder Lebensstiländerung vor dem Infarkt zu schützen.

Um dieses Ziel konsequent umzusetzen und um das Risiko der breiten Bevölkerung zu eruieren, wäre eventuell auch ein Screening denkbar?

SM: Natürlich können wir nicht alle Leute – wir sprechen hier von gesunden Menschen, bei denen noch kein Ereignis vorliegt – durch ein CT schicken und einer Strahlenexposition aussetzen. Das wäre auch viel zu kostspielig.
Es ist jedoch so, dass wir aufgrund der bisherigen Risikobewertung basierend auf den Framingham-Kriterien häufig einen mittleren Bereich herausfiltern, bei dem unklar ist, ob eine medikamentöse Behandlung notwendig ist oder nicht. In dieser Gruppe hat sich die Kalkmessung als extrem wertvoll erwiesen und zu etlichen Reklassifizierungen geführt.

Welche Fragestellungen verfolgen Sie aktuell?

K.-H.J.: Ein Forschungsschwerpunkt liegt derzeit darauf, den Zusammenhang zwischen der Kalklast und anderen Erkrankungen wie beispielsweise Krebs zu erkennen. Es gibt Hinweise, dass die Kalklast generell ein Indiz für eine ungesunde Lebensweise, aber auch für ungünstige Umweltbedingungen und genetische Faktoren ist.
Außerdem werden wir versuchen, die Risikobewertung noch zu verbessern. Das heißt, wir haben alle Probanden erneut untersucht. Als Fragen haben wir formuliert: Wie ändert sich das Ausmaß der Verkalkung? Wie wirkt sich eine Progression oder möglicherweise Regression des Koronarkalks auf das Risiko für das Auftreten eines Herzinfarktes oder des plötzlichen Herztodes aus?

RE: Außerdem erwarten wir mit Spannung die Ergebnisse, die der Vergleich der Heinz Nixdorf Recall Studie mit der amerikanischen Schwesterstudie MESA bringen wird. Wir haben beide Kollektive nebeneinandergestellt und bereits erkannt, dass diese sehr unterschiedlich sind. Wir sprechen da von einem transatlantischen Paradoxon: Obwohl der BMI in beiden Gruppen etwa gleich ist, haben die Amerikaner durchschnittlich einen deutlich geringeren Cholesterinspiegel und höhere Blutdruckwerte. Doppelt so viele Menschen werden zum Beispiel mit Statinen behandelt. Ist nun die Sterblichkeit unterschiedlich in beiden Kollektiven? . Eine spannende Analyse, die von großer Relevanz für die Kardiologie sein wird.

Bei einer Probandenkohorte wie die der Heinz Nixdorf Recall Studie ergeben sich ständig neue wissenschaftliche Fragestellungen, darum wird die Studie so schnell auch nicht aussterben und der Wissenschaft auch in den nächsten Jahrzehneten noch wichtige Erkenntnisse liefern.

 Wir danken für das Gespräch.
 

20.08.2010

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