News • Organ- und Geweberegeneration
Heilung ohne Narben: Forscher machen wichtigen Schritt
Es ist der alte Traum der Medizin: Ein abgeschnittener Finger, der komplett wieder nachwächst – oder Gewebe, das sich nach einer Verletzung vollständig und ohne Narbenbildung regeneriert.
An diesem Punkt ist die Menschheit zwar noch lange nicht, aber Forscher aus Gießen und Bad Nauheim haben jetzt einen wichtigen Mechanismus entdeckt, über den die Narbenbildung oder die Regeneration von Geweben reguliert wird. Die Forschungsergebnisse, die wegweisend für die Therapie von Verletzungen oder auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie dem Herzinfarkt sein könnten, haben sie in der Zeitschrift „Science Advances“ publiziert.
Gewebeverletzungen führen bei Menschen typischerweise zur Ausbildung von Narben, die mit Verhärtungen einhergehen. Diese so genannten fibrotischen Vorgänge gehören zu den Hauptursachen verschiedener Erkrankungen des Menschen, allen voran solchen des Herz-Lungensystems. So führt beispielsweise eine Verletzung des Herzens durch einen Herzinfarkt oder durch chronischen Bluthochdruck zu Vernarbungen, die die Herzleistung negativ beeinflussen. Der Grund für diese Veränderung liegt in bestimmten Zelltypen – den so genannten Bindegewebszellen (Fibroblasten) bzw. den Endothelzellen unserer Blutgefäße. Diese Zelltypen verändern sich zu sogenannten Myofibroblasten, die die Bildung der Narbe steuern.
Im Gegensatz zu Säugetieren sind einige Wirbeltiere in der Lage, beschädigtes oder verlorenes Gewebe selbst nach schweren Verletzungen nahezu vollständig zu regenerieren, das verlorene Gewebe also wieder in seinen gesunden Ursprungszustand zurückzuführen. Zu diesen Arten zählen unter anderem viele Fische, allen voran die Zebrabärblinge. Diese Tiere können verlorene Flossen, Schuppen, aber auch das zentrale Nervensystem und selbst auch innere Organe inklusive dem Herzen nach Verletzung innerhalb weniger Tage bis Wochen funktional wiederherstellen. Die Bildung von Myofibroblasten ist in diesen Fällen sehr begrenzt. Um neue Therapieansätze für die regenerative Medizin entwickeln zu können, erforscht die Wissenschaft diesen Mechanismus intensiv.
Bildquelle: Allanki et al., Science Advances 2021 (CC BY 4.0)
Ein Forschungsteam der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) und des Max-Planck-Instituts für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim unter der Leitung von Dr. Sven Reischauer (JLU) konnte jetzt zeigen, dass die Unterdrückung der Narbenbildung bei Zebrafischen an den Signalweg gekoppelt ist, der über das Protein Interleukin-11 Rezeptor Alpha vermittelt wird. So fanden die Forscherinnen und Forscher heraus, dass Zebrafische, bei denen der Interleukin-11-Signalweg mittels der CRISPR-Technik ausgeschaltet wurde, genau wie Menschen und andere Säugetiere Narben bilden. „Diese Tiere zeigten keine vollständige Regeneration von verletztem Gewebe“, erklärt Srinivas Allanki, Erstautor der Studie und Doktorand in der Arbeitsgruppe von Dr. Reischauer.
Dies ist das erste Mal, dass wir einen Mechanismus, der gleichzeitig und über Gewebegrenzen hinweg vor Vernarbung schützt und die Regeneration fördert, in einem einzigen klar definierten Signalweg identifizieren konnten
Sven Reischauer
Detaillierte Untersuchungen zeigten eine unerwartete Veränderung des Verhaltens der Zellen. Anstatt ein genetisches Programm zu aktivieren, welches die Fibroblasten und Endothelzellen umprogrammiert, damit diese die Regeneration unterstützen, bilden diese in verletztem Gewebe nun Myofibroblasten – eben jene Zellen, die beim Menschen für die Fibrose verantwortlich gemacht werden. Dieses Phänomen ließ sich in bestimmten Zellen experimentell sogar wieder umpolen, so dass diese Zellen sich wieder an der Regeneration beteiligen. „Zebrabärblinge mit ausgeschalteten Interleukin-11-Signalen reagieren auf zellulärer Ebene im Grunde wie wir Menschen auf Verletzungen und aktivieren ein fibrotisches Genprogramm. Dies ist das erste Mal, dass wir einen Mechanismus, der gleichzeitig und über Gewebegrenzen hinweg vor Vernarbung schützt und die Regeneration fördert, in einem einzigen klar definierten Signalweg identifizieren konnten“, sagt Dr. Sven Reischauer von der experimentellen Kardiologie der JLU. Damit habe die Wissenschaft jetzt „einen Fuß in der Tür“. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher nun untersuchen, ob und wie auch menschliche Zellen dazu gebracht werden könnten, ein solches Zellregenerationsprogramm zu aktivieren. Mit einem tiefergehenden Verständnis für die unterschiedlichen Reaktionen von Geweben auf Verletzung ließen sich möglicherweise nicht nur neue antifibrotische Therapien entwickeln, sondern auch neue Ansätze bei der Züchtung von Geweben im Reagenzglas für therapeutische Anwendungen.
Quelle: Justus-Liebig-Universität Gießen
09.09.2021