News • Ausgezeichnete Forschung

Mit neuem „Genstift“ gegen Herzinsuffizienz

Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in unserer Gesellschaft. Insbesondere Menschen mit einer Herzschwäche (Herzinsuffizienz) sind betroffen.

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So starben im Jahr 2022 in Deutschland über 37.000 Menschen daran. Insgesamt leiden hierzulande rund vier Millionen Menschen an einer Herzinsuffizienz. Einen möglichen neuen therapeutischen Ansatz zur Behandlung der Herzschwäche hat Prof. Dr. Simon Lebek, Leiter der Arbeitsgruppe Experimentelle Kardiologie und Geneditierung am Universitätsklinikum Regensburg (UKR), gemeinsam mit der Arbeitsgruppe um Prof. Eric Olson der University of Texas Southwestern Medical Center (Dallas/USA) entwickelt. Der Inhaber einer Heisenberg-Professur ist in der Forschungsarbeit einen zentralen Schlüssel für das Entstehen von Herzerkrankungen angegangen: Es handelt sich um die krankhafte Überaktivierung eines spezifischen Enzyms namens „CaMKIIδ“ im Herzen. 

Die 2023 im US-Fachjournal „Circulation“ veröffentlichte Studie ist nun mit dem diesjährigen Wilhelm P. Winterstein-Preis der Deutschen Herzstiftung (Dotation: 10.000 Euro) ausgezeichnet worden. „Angesichts der nach wie vor hohen Sterblichkeit bei Herzerkrankungen – insbesondere bei der Herzinsuffizienz – haben neue Erkenntnisse zur Therapie der lebensbedrohlichen Herzkrankheiten eine enorme Bedeutung“, betont Kardiologe Prof. Dr. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. „Mit seiner Forschung über CaMKIIδ und wie man den krankheitsauslösenden Faktor ausschaltet, hat Prof. Lebek einen wichtigen Beitrag dazu geleistet.“

Bei der Systole befinden sich [bei einer krankhaften Überaktivierung von CaMKIIδ] zu wenige und bei der Diastole zu viele Kalziumionen in den Herzzellen, was die Pumpleistung des Herzens erheblich beeinträchtigt und eine Herzschwäche zur Folge hat

Simon Lebek

„Das Enzym CaMKIIδ ist deswegen so zentral, weil es verschiedene Funktionen am Herzen moduliert“, erklärt Preisträger Prof. Simon Lebek. „So reguliert es zum Beispiel das dynamische Gleichgewicht der Kalziumionen.“ Strömen Kalziumionen während der Systole in die Herzmuskelzellen ein, zieht sich das Herz zusammen. Während der Diastole, der Erschlaffungsphase des Herzens, fließen sie aus. Eine krankhafte Überaktivierung von CaMKIIδ stört unter anderem diesen Regulationsmechanismus der Kalziumionen. „Bei der Systole befinden sich zu wenige und bei der Diastole zu viele Kalziumionen in den Herzzellen, was die Pumpleistung des Herzens erheblich beeinträchtigt und eine Herzschwäche zur Folge hat“, so der Wissenschaftler und Arzt an der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II: Kardiologie, Pneumologie und Internistische Intensivmedizin am UKR. Außerdem kommt es bei einer Überaktivierung des Enzyms zu Entzündungen, zum Absterben von Herzmuskelzellen und zur Narbenbildung im Herzen. Anstelle der Herzzellen machen sich Bindegewebszellen breit. Es entwickelt sich eine Fibrose, eine krankhafte Vermehrung von Bindegewebe im Herzen, was seine Pumpfunktion ebenfalls erheblich einschränkt. 

Um die krankhafte Überaktivierung des Enzyms auszuschalten, haben Prof. Lebek und seine Kollegen einen sogenannten „Genstift“ entwickelt. Dieser kann im Erbgut das für CaMKIIδ zuständige Gen präzise „umschreiben“. Der Genstift besteht aus einer Nukleinsäure, einem Biomolekül, das die „Umschreibesubstanz“ an die richtige Stelle im Erbgut bringt und damit den Aktivierungsmechanismus außer Betrieb setzt. In einem speziellen Mausmodell konnten die Forscher nachweisen, dass ein Ausschalten der CaMKIIδ-Überaktivierung lebensverlängernd wirkte. 

Der Blick in die Gewebe der Mausherzen mit modulierter CaMKIIδ zeigt, dass mehr gesunde Herzzellen erhalten bleiben. Das Erbgut der nicht behandelten Mäuse hingegen offenbarte, dass genetische Informationen für Entzündungen, Fibrose und krankhafte bindegewebige Umbauprozesse verstärkt sind. „Und genau vor diesen krankhaften Prozessen haben wir die Mäuse, deren Erbgut mit dem Genstift umformuliert worden ist, geschützt“, sagt Prof. Lebek. 

Doch kann man auch bei humanen Herzmuskelzellen die Überaktivierung mit diesem genetischen Kunstgriff ausknipsen? Die Resultate an menschlichen Herzzellen zeigen: Eindeutig ja. Mehr noch: Der Genstift setzt präzise an der sogenannten Delta-Isoform der CaMKII an, an genau der Isoform, die das Herz krank macht. Isoformen sind Moleküle, die alle ähnlich aufgebaut sind, aber jeweils von völlig anderen Genen codiert werden. Neben der Delta-Isoform gibt es drei weitere CaMKII-Isoformen: Die Alpha- und Beta-Isoformen sind vor allem in Nervenzellen für Gedächtnis- und Lernprozesse wichtig, die Gamma-Isoform für die Funktion der Skelettmuskel. Deswegen ist es so wichtig, genau die Variante umzuschreiben, die Ursache der Herzkrankheiten ist. „Unser Genstift erzielt im Vergleich zu anderen pharmakologischen Substanzen eine substanziell verbesserte Präzision und verändert die Delta-Isoform im Vergleich zu anderen Isoformen mit einer mehr als 2000-fach gesteigerten Spezifität, was ein wichtiges Sicherheitsmerkmal bedeutet“, unterstreicht Prof. Lebek. Bis allerdings seine vielversprechenden Forschungsergebnisse zum Wohle der Patienten in der klinischen Anwendung zum Einsatz kommen könnten, ist es noch ein weiter Weg.

18.09.2024

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