Artikel • Enzyme Extended Spectrum Beta Lactamase

ESBL – Eine größere Gefahr als MRSA?

MRSA gilt als Staatsfeind Nr. 1 in der Krankenhaushygiene. Aufgrund des weltweiten Anstiegs von nosokomialen Infektionen geriet der so genannte „Superbug“ vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit. Aber nicht nur antibiotikaresistente Staphylokokken, auch andere resistente Keime befinden sich auf dem Vormarsch.

Bericht: Karoline Laarmann

Bild: Aktion Meditech

In den letzten zehn Jahren nahmen z. B. gramnegative Enterobakterien, die die Enzyme Extended Spectrum Beta Lactamasen (ESBL) bilden, deutlich zu. Diese gebildeten Enzyme zerstören selbst die Antibiotika, die beim Kampf gegen MRSA wirksam sind.

portrait of chrstian ruef
Prof. Dr. Christian Ruef ist Leiter der Spitalhygiene an der Klinik für Infektionskrankheiten & Spitalhygiene, Universitätsspital Zürich.

Prof. Dr. Christian Ruef, Leiter der Spitalhygiene an der Klinik für Infektionskrankheiten & Spitalhygiene, Universitätsspital Zürich, Schweiz, spricht sogar von einer zukünftigen Prävalenzverschiebung: „MRSA wird nie ganz verschwinden, aber die ESBL-Problematik wird uns in vielen europäischen Ländern sowie in den USA, Australien und Japan, wo diese erweiterte Resistenz bereits verbreitet auftritt, verstärkt beschäftigen.“ Ebenso wie bei MRSA liegen die Ursachen für die Multiresistenz hauptsächlich im Übergebrauch von Antibiotika und einem ungenügenden Hygienemanagement, allen voran bei der Handdesinfektion. Verschärft wird die Lage dadurch, dass ESBL-Erreger sehr viel öfter als MRSA ambulant in der Bevölkerung (community-aquired) vorkommen. Ebenso wie bei MRSA lässt sich hier ein geographisches Nord-Süd-Gefälle erkennen.

Im internationalen Vergleich ist die MRSA-Lage in der Schweiz relativ stabil. Mit einer Rate von 5 % liegt die Prävalenz ähnlich niedrig wie in Skandinavien und den Niederlanden. „Ich glaube nicht, dass unsere guten Prävalenzzahlen daher rühren, dass wir in punkto Hygienestandards besser aufgestellt sind als beispielsweise unsere Nachbarländer Deutschland oder Frankreich“, meint Prof. Ruef. „Ich denke eher, dass wir in der Schweiz noch verschont geblieben sind: Es ist immer einfacher eine niedrige Rate zu bewahren, als eine hohe Verbreitung zu senken. Dagegen geht die Entwicklung im Universitätsspital Zürich dahin, dass wir in den letzten zwei Jahren doppelt so viele ESBL-Fälle als MRSA zu verzeichnen hatten (120 : 60). Tendenz leider steigend.“

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Enzyme extended-spectrum beta-lactimasen (ESBL)
Quelle: Aktion Meditech

Ähnlich wie MRSA gehören Enterobakterien zur normalen Keimflora des Menschen, allerdings im Magen-Darm-Trakt. Geraten sie in den Organismus können sie zu Infektionen im Respirations- und Harntrakt, zu postoperativen Wundinfektionen und Septikämien (Gesamtinfektionen) führen. Da sich ESBL-Keime ebenso wie MRSA meist über die Hände, aber auch über Oberflächen als Schmierinfektion übertragen, sind hier dieselben Hygiene- und Isolierungsmaßnahmen zu ergreifen wie bei einer MRSA-Infektion.

Welche spezifischen Gefahren gehen von ESBL-Bildnern aus? „Bakterien der Familie Enterobacteriaceae, wie Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae, die extended-spectrum beta-Lactamase produzieren, sind nicht grundsätzlich gefährlicher als multiresistente Staphylococcus aureaus. Außer vielleicht bei Risikogruppen wie älteren Patienten, bei denen ESBL-Keime etwas rascher zu schweren Infektionskrankheiten führen können. Die Schwierigkeit liegt darin, dass ESBL produzierende gramnegative Bakterien beinahe alle ß-Laktamantibiotika inaktivieren können, die bei MRSA Wirkung zeigen. Das bedeutet, dass viele ESBL-Träger neben Cephalosporine auch resistent gegenüber Antibiotika wie Chinolone sind. Damit entfällt sehr oft die Option auf eine orale Therapie. Außerhalb des Krankenhauses können die Reserveantibiotika gegen ESBL-Infektionen daher kaum eingesetzt werden, weil sie aufgrund einer erhöhten Toxizität nur als Injektion bzw. Infusion verabreicht werden können.“

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Es gibt andere Beispiele wie Acinetobacter, wo diese sehr breite bis vollständige Resistenz immer wieder auftritt und dadurch das Leben der Patienten massiv gefährdet

Christian Ruef

Eine besonders ungewöhnliche Infektionswelle erlebte das Universitätsspital Zürich in diesem Jahr bei einem weiteren Keim mit Problemresistenzen. Insgesamt 20 Fälle mit Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) traten auf. „VRE war nie ein Problem in unserem Haus, deshalb ist dieses Ereignis als epidemiologischer Outbreak zu betrachten,“ so Prof. Ruef. Die Übertragung von VRE-Stämmen vom Tier auf den Menschen wurde durch ein EU-weites Verbot von Antibiotikaeinsatz in der industriemäßigen Tiermast weitestgehend eingedämmt. Lange Zeit ist VRE dadurch in Vergessenheit geraten. Mittlerweile treten VRE-Ausbrüche wieder häufiger als regional begrenzte Cluster in Städten oder einzelnen Krankenhäusern auf. Ähnlich wie bei MRSA und ESBL ist auch hier ist das Behandlungsspektrum stark limitiert. Mit Linezolid gibt es zwar ein Antibiotikum, das alternativ zur intravenösen die orale Therapie von VRE ermöglicht. Dieses Medikament ist jedoch sehr teuer.

Für die Zukunft sieht Prof. Ruef vor allem ein Problem in der vollständigen Resistenz bestimmter Keime: „Bei MRSA und ESBL ist das zum Glück noch nicht der Fall. Aber es gibt andere Beispiele wie Acinetobacter, wo diese sehr breite bis vollständige Resistenz immer wieder auftritt und dadurch das Leben der Patienten massiv gefährdet. Deshalb müssen wir uns sowohl in der Früherkennung der Resistenzbestimmung als auch in der Entwicklung neuer Antibiotika weiter verbessern.“

08.07.2010

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