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Ein Plädoyer für die MRT
"Immer noch viel zu selten“, kommt nach Einschätzung von Prof. Dr. Christiane Kuhl, Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Uniklinik RWTH Aachen, die MRT als diagnostisches Verfahren zur Diagnostik des Prostatakarzinoms zum Einsatz. Standard ist nach wie vor die vom Urologen durchgeführte Fächerbiopsie.
Fächerbiopsie: „Durchstanzen“ eines Organs auf der Suche nach einem Karzinom
Liegt ein erhöhter PSA-Wert vor, so kann dies ein wichtiger Hinweis auf das Vorliegen ein Prostatakarzinoms sein – wobei es viele andere Gründe für leicht erhöhte PSA-Werte gibt; dazu gehört zum Beispiel die benigne Prostata-Hyperplasie (BPH), aber auch klinisch asymptomatisch verlaufende Prostatitiden. Je nach Alter eines Patienten setzt man 3 ng/ml bis 4 ng/ml als Obergrenze an. Als erster Schritt erfolgt üblicherweise die transrektale, Ultraschall-gesteuerte (TRUS) Fächerbiopsie, bei der systematisch in bestimmten Arealen der Prostata Gewebeproben entnommen werden. Wird in den ca. 12 Stanzzylindern kein Karzinom gefunden, wird weiter zugewartet. Persistiert der erhöhte PSA-Wert, oder steigt gar weiter an, wird der Vorgang wiederholt. „Viele Patienten durchlaufen diese ziemlich unangenehme Prozedur drei-, vier- oder gar fünf Mal“, weiß Kuhl. Unangenehme Nebenwirkungen wie Blutungen, Harnverhalt und Infektionen sind relativ häufige die Folge.
Unter- und Überdiagnose
Weit bedeutsamer ist aber, dass die diagnostische Aussagekraft solcher Fächerbiopsien begrenzt ist. „Stanzt man ein Organ von der Größe der Prostata mit einer 18-G-Nadel 6 bis 12 mal, ist es natürlich gut möglich, dass man ein vorhandenes Karzinom nicht trifft“, erklärt Kuhl. „Das trifft insbesondere bei Karzinomen im anterioren Abschnitt zu oder bei kleineren Befunden.“
Mindestens ebenso problematisch ist der Umstand, dass das Prostatakarzinom biologisch sehr heterogen ist. Mit dem Gleason-Score versucht man, die biologische Aggressivität abzuschätzen. Während Gleason-6 Karzinome in aller Regel wenig bedrohlich sind, oft nur langsam, lokal begrenzt fortschreiten und selten metastasieren, sind Karzinome mit höheren Scores biologisch aggressiv und können zum Tode führen. „Die Urologen berücksichtigen bei der Wahl der weiteren Therapie diese biologische Heterogenität durchaus. So gibt es mittlerweile das Konzept der ‚active surveillance‘, bei der Patienten mit Gleason-6-Karzinom nicht aktiv therapiert, sondern engmaschig verlaufskontrolliert werden.“
Das setzt sich allerdings nur langsam durch – und birgt einige Risiken, falls das Karzinom sich doch anders verhält als ausweislich der TRUS-Biopsie vorhergesagt. „Viele Patienten, und ebenso viele Urologen, würden im Zweifel doch therapieren wollen“, so Kuhl. Leider ist die Behandlung des Prostata-Karzinoms ist relativ häufig mit relevanten Nebenwirkungen assoziiert, darunter schwerwiegende und oftmals bleibende wie Inkontinenz und Impotenz. „Behandelt man ein ‚Pseudo-Karzinom‘, das auch ohne Behandlung niemals zum Problem geworden wäre – dann stimmt die Nutzen/Risiko- oder Nutzen/Schaden-Rechnung nicht mehr“, so Kuhl. „Das ist auch der tatsächliche Grund, warum die großen Leitlinien derzeit das PSA-Screening nicht mehr empfehlen: Der PSA-Test ist de facto gut, denn er ist die einzige erwiesene Möglichkeit, Prostata-Krebs früh zu entdecken. Das Problem ist die weitere Abklärung“. Die bisherige Vorgehensweise, also die Fächerbiopsie, ist invasiv, hat damit eigene Nebenwirkungen, und ist relativ unzuverlässig hinsichtlich der Unter- wie auch Überdiagnose. „Auf jeden Mann, der vom PSA-Screening durch Vorverlegung der Diagnose wirklich profitiert, kommen drei bis vier, die nur Nachteile, und zwar relevante Nachteile, davontragen. Das ist ein zu schlechter Schnitt“, erläutert Kuhl.
„Aber auch die ‚active surveillance‘ hat ihre Tücken, denn auch innerhalb einer Prostata kann das Karzinom heterogen wachsen. Und es kommt vor, dass der biologisch relevante Anteil eines Tumors mit der Nadel verfehlt wurde – da reichen wenige Millimeter – und die Nadel kommt im vergleichsweise harmlosen Anteil zu liegen. „Dann hat der Patient die Diagnose eines ‚Gleason-6-Karzinoms‘ – während biologisch bedeutsamere Anteile nicht erfasst wurden. Und dann ist die Entscheidung zur ‚active surveillance‘ vielleicht genau die falsche“, sagt Kuhl.
Schonendes und leistungsfähiges Verfahren
Eine ‚wünschenswerte Blindheit‘ für Gleason-6-Befunde ist gewollt
Univ. Prof. Dr. Christiane Kuhl
Die MRT als bildgebendes Verfahren wird seit Jahrzehnten für die Diagnostik des Prostatakarzinoms eingesetzt – allerdings hat sich das Indikationsspektrum deutlich geändert. Früher wurde das Verfahren eher zur Behandlungsplanung eingesetzt, weil man organ-überschreitendes Wachstum nachweisen wollte. Für die Diagnostik eines innerhalb der Prostata wachsenden Prostatakarzinoms schien die MRT nicht geeignet, weil die diagnostische Treffsicherheit als nicht ausreichend angesehen wurde. „Das stimmt seit Einführung der sogenannten multiparametrischen MRT so nicht mehr“, erklärt Kuhl. „Vor allem aber ist die Empfindlichkeit der MRT asymmetrisch verteilt,“ gibt die Radiologin zu bedenken, „sie ist nämlich sehr hoch für Karzinome mit höheren Gleason-Scores – und eher niedrig für Karzinome mit niedrigen Scores“. Früher galt es als Nachteil, dass ein Gleason-6-Prostatakarzinom im MRT nicht erkannt wurde. Heute sieht man dies eher positiv. Kuhl: „Unsere primäre Aufgabe ist die Detektion und histologische Sicherung biologisch relevanter Tumore. Eine ‚wünschenswerte Blindheit‘ für Gleason-6-Befunde ist gewollt“. Wird im MRT ein Karzinom detektiert, kann unter bildgesteuerter Kontrolle sehr gezielt Gewebe entnommen werden. „Also keinerlei „Stochern im Dunkeln“, ist Kuhl überzeugt.
Vielfältiger Nutzen
Für den sinnvollen Einsatz der MRT gibt es zahlreiche Szenarien: Bei Patienten mit erhöhtem PSA-Wert und negativer Fächer-Biopsie wird die MRT eingesetzt, um ein Karzinom zu diagnostizieren, das der Fächerbiopsie entgangen ist. Häufiger noch lassen sich mit dem Kernspin gutartige Ursachen für eine erhöhte PSA ermitteln, zum Beispiel eine Prostatitis.
Zunehmend propagieren Radiologen aber, die MRT als primäres Tool einzusetzen, um bei erhöhtem PSA ein Karzinom zu finden. „Wenn wir dann eine auf ein biologisch signifikantes Prostata-Karzinom zurückzuführende suspekte Läsion sehen, kann dort gezielt biopsiert werden.“ Ist keine Veränderung im MRTerkennbar, ist die Wahrscheinlichkeit groß, , dass kein Karzinom mit hohem Gleason-Score vorliegt. Finden sich Zeichen der Prostatitis, kann ein Antibiotika-Versuch unternommen werden. In allen übrigen Fällen wird man den Patienten weiter urologisch kontrollieren, und, falls der klinische Verdacht bestehen bleibt, erst sekundär eine Fächerbiopsie oder transperineale Sättigungsbiopsie durchführen.
Bei Patienten, bei denen anhand einer TRUS-gesteuerten Fächerbiopsie ein Gleason-6-Karzinom diagnostiziert wurde, und eine active surveillance geplant ist, wäre eine MRT indiziert, um zu klären, ob nicht innerhalb des Karzinoms ein Areal mit höherem Gleason vorliegt. Kann dies ausgeschlossen werden, haben Patient und Behandler die zusätzliche Gewissheit, richtig zu handeln. „Das würde dann vor üblen Überraschungen im weiteren Verlauf einer active surveillance schützen“ sagt Kuhl.
Und schließlich: bei Patienten, die anhand der Fächerbiopsie ein höhergradiges Karzinom haben und behandelt werden sollen, ist eine MRT zur Darstellung von extra-prostatischem Wachstum sinnvoll.
Noch zu selten im Einsatz
Aufgrund der nachgewiesen guten Ergebnisse nehmen inzwischen Überweisungen aus der Urologie an die MRT zu, meist ab einem erhöhten PSA-Wert von 3, spätestens aber bei über 4 ng/ml. In der Leitlinie wird die MRT immerhin schon als Option nach negativer TRUS-geführter Fächerbiopsie bei Patienten mit erhöhtem PSA empfohlen. „Die internationalen urologischen Fachgesellschaften fordern dringend die Einführung bzw. die Wiederaufnahme des PSA-Screenings. Ebenso deutlich ist jedoch die Forderung, das PSA-Screening mit einem anderen Biomarker zu kombinieren, um Unter-, vor allem aber Überdiagnose zu vermeiden. Nach meinem Dafürhalten liefert die MRT genau die gesuchten ‚Biomarker‘, die wir brauchen, konkret: ‚Imaging biomarker‘, die uns helfen können, das Nutzen/Risiko- bzw. Nutzen/Schaden-Verhältnis des PSA-Screenings deutlich zu verbessern.“
Profil:
Univ. Prof. Dr. Christiane Kuhl nahm nach Abschluss ihres Studiums eine C3-Stelle in der Onkologischen Diagnostik und Interventionellen Radiologie am Uniklinikum Bonn an. Seit 2010 ist sie Direktorin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Aachen. Prof. Kuhl zählt zu den renommiertesten deutschen Brustkrebsforschern und macht sich insbesondere für die Brustkrebs-Früherkennung mittels Magnet-resonanztomografie stark. Ihre Arbeiten wurden im In- und Ausland mit zahlreichen Preisen gewürdigt.
Veranstaltungshinweis:
Raum: Congress-Saal
Donnerstag, 3.11.2016, 14:45-15:30 Uhr
PI-RADS
Christiane Kuhl, Aachen
Session: Onkologie (mit TED)
02.11.2016