Artikel • Kleine Patienten – große Herausforderungen
Ein Plädoyer für die Kinderradiologie
„As low as reasonably achievable“ = „So niedrig wie sinnvollerweise erreichbar” – in keiner anderen Fachrichtung ist das ALARA-Prinzip zum Strahlenschutz wichtiger als in der Pädiatrie.
Besonders die allerjüngsten unter den Patienten sollten strahlungstechnisch immer nur minimal belastet werden. Wenn Allgemeinradiologen darauf angewiesen sind, eine Untersuchung von Kindern selbst durchzuführen, dann ist ein Basiswissen Kinderradiologie erste Voraussetzung. Das Symposium „Kinderradiologie für Allgemeinradiologen“ auf dem Bayerischen Röntgenkongress stellt die zentralen Anforderungen an Untersuchungsabläufe und die häufigsten Erkrankungen und Diagnosen vor. Dass es sich dabei um wichtige Aufklärungsarbeit an vorderster Front handelt, stellte Moderator Prof. Dr. Karl Schneider (KS), Haunersches Kinderspital der LMU München, im Interview mit Radiologia Bavarica (RB) heraus.
RB: Prof. Schneider, in welcher Situation befindet sich die Kinderradiologie in Deutschland?
KS: Die Lage ist offen gestanden katastrophal. Seit 1990 gibt es einen Rückgang der hauptamtlichen Kinderradiologen um etwa 70%. Noch immer wird die Wertigkeit des Schwerpunktes pädiatrische Radiologie in unserem Land maßlos unterschätzt. Das bedeutet, dass die meisten Kinderradiologen Einzelkämpfer sind und es nicht einmal in den Universitätskliniken adäquate Urlaubsvertretungen gibt. Das übernehmen dann die Kollegen aus der Allgemeinradiologie oder Kinderchirurgie. Es gibt dafür verschiedene Gründe. Die Gesundheitspolitik in Deutschland ist ein Minenfeld, auf das sich die Parteien ungern begeben, und wenn dann nur in ökonomischer Hinsicht. Wir brauchen aber unbedingt große interdisziplinäre Kinderzentren, die eine optimale Versorgung der Patienten unter einem Dach ermöglichen. Was das angeht, hinken wir im internationalen Vergleich stark hinterher. Zum Vergleich: Mit 210 Betten gelten wir am Haunerschen Kinderspital bereits als ein großes pädiatrisches Zentrum in Deutschland, eines der größten ist das Olgahospital in Stuttgart mit 400 Betten – das Hospital for Sick Children in London dagegen hat 650. Darüber hinaus haben wir in Deutschland ein Strukturproblem: die geographische Verteilung der Kinderkliniken ist leider suboptimal. So gibt es im Raum München zum Beispiel zwei Kinderkliniken und in anderen Gebieten gar keine.
RB: Wie könnte die Arbeitssituation für Kinderradiologen verbessert werden?
KS: Zunächst einmal durch eine Reform der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) auf die wir bereits seit ewigen Zeiten warten. Radiologische Leistungen bei Kindern werden darin bis jetzt nicht berücksichtigt. Wir brauchen aber dringend spezielle Ziffern für Kinder, damit wir uns von dem Erlös mehr Spezialisten auf dem Gebiet der pädiatrischen Radiologie leisten können. Für eine radiologische Untersuchung bei Erwachsenen brauchen wir nur eine ganz normale MTA – bei einer schwierigeren Untersuchung bei Kindern dagegen eine MTA mit entsprechender Zusatzausbildung, den Arzt und eine Kinderkrankenschwester. In anderen Ländern wie z. B. Belgien gibt es so eine kindgerechte Vergütung bereits.
RB: Welche Aufgaben übernehmen die MTAs in der pädiatrischen Radiologie?
KS: Der Unterschied zur normalen MTA wird besonders deutlich, wenn es um die Betreuung Neugeborener und Säuglinge geht. Nehmen wir das Beispiel Lungenaufnahmen: Hier müssen selbst bei einfachster Bildgebung spezielle Maßnahmen getroffen werden, um ein optimales Ergebnis zu erreichen und Fehlaufnahmen zu vermeiden. Die Säuglinge müssen in speziellen Babixhüllen aus Plexiglashalbschalen fixiert werden. Das Problem ist, dass man schwerkranke Patienten in diese Fixierungsvorrichtungen gar nicht einspannen darf. Dann muss das Kind an einem Thoraxstativ an Haltegurten aufgehängt werden. Das ist sehr belastend für Kind und Eltern. Die Entscheidung, wie die Aufnahme durchgeführt wird – im Liegen oder in aufrechter Position – liegt ganz allein in der Verantwortung der MTA. Natürlich gibt es in der neuen Röntgenverordnung (RöV) von 2002 genaue Vorschriften zu den Standardaufnahmen, an denen sich orientiert wird.
RB: Sie meinen, nur eine speziell pädiatrisch ausgebildete MTA kann diese Anforderungen erfüllen?
KS: Absolut. Das sind hochspezialisierte Fachkräfte, die für unsere Arbeit unentbehrlich sind. Wenn eine MTA so eine Lungenaufnahme nur einmal in der Woche oder im Monat ausführt, dann werden auch dementsprechend viele Fehlaufnahmen auftreten. Bei jemanden, der tagtäglich damit konfrontiert wird, dagegen so gut wie nie.
RB: Sie werden im Rahmen des Symposiums einen Vortrag zur „Thoraxdiagnostik bei Neugeborenen“ halten. Unter welchen Umständen ist es sinnvoll, Kinder der hohen Strahlenbelastung einer CT auszusetzen?
KS: In etwa 5% der Fälle von Erkrankungen der Atemwege in der Lunge reicht ein einfaches Röntgenbild nicht für eine exakte Diagnose aus. Das sind schwere Lungeneinwirkungen, z. B. Erkrankungen des Lungengerüstes, schweren Infektionen, unklaren Entzündungen oder Fehlbildungen. In dem CT können wir diese krankhaften Strukturen, die sich hinter den Lungengefäßen oder dem Herzen verstecken, Schicht für Schicht und in einer zweiten Längsebene rekonstruieren. Die CT sollte jedoch nur nach reiflicher Überlegung und in einem Fachzentrum durchgeführt werden. Es macht keinen Sinn einen Lungen-CT bei einem Kleinkind in einer Praxis zu machen. Die Untersuchung an sich ist zwar möglich, die Aussagekraft der Bilder ist dann aber sehr eingeschränkt. Damit meine ich natürlich nicht banale Erkrankungen wie eine Lungenentzündung – diese können selbstverständlich auch in einer Praxis diagnostiziert werden.
RB: Welche Kompetenzen wollen Sie den Kollegen aus der Allgemeinradiologie bei ihrem Basiskurs vermitteln?
KS: Jeder Radiologe sollte gewisse Grundkenntnisse in der pädiatrischen Radiologie haben, damit grobe Fehler bei der Untersuchung vermieden werden können. Schließlich arbeiten wir mit ionisierender Strahlung und wollen die Patienten nicht unnötig belasten. Wir halten uns dabei an die Reformen der Weiterbildungsordnung, Punkt 8.2. Kinderradiologie, und werden einen Überblick auf die häufigsten Erkrankungen, die vom Kindes- bis zum Jugendalter auftreten, und wichtigsten Untersuchungsalgorithmen geben. Meine Kollegin Dr. Birgit Kammer wird unter anderem Fallbeispiele aus der Praxis am Haunerschen Kinderspital geben. Wir sind hier mit einem großen Lungenbronchialzentrum, der Christiane-Herzog-Ambulanz für Mukoviszidose-Kranke, sehr gut aufgestellt.
09.10.2009