Neuro-MRT
"Ein Paradigmenwechsel steht bevor"
Prof. Dr. Olav Jansen, Direktor der Klinik für Radiologie und Neuroradiologe des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, ist besonders engagiert auf dem Gebiet des Schlaganfalls. Sein Interesse gilt sowohl der Diagnostik als auch den neuen endovaskulären Therapien. Im Interview gibt er einen Ausblick auf die nahe Zukunft der Bildgebung an den intrakraniellen Gefäßen.
Im Bereich der Neuromedizin spielt die Bildgebung beim Schlaganfall eine zunehmend wichtige Rolle. Denn insbesondere vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Bevölkerung wächst die Zahl der Patienten mit zerebrovaskulären Erkrankungen.
Herr Prof. Jansen, welche Fortschritte in der MRT werden die Gefäßdiagnostik künftig verbessern?
Olav Jansen: Besonders vielversprechend erscheint das Vessel Wall Imaging. Es gibt eine Reihe von degenerativen, aber auch entzündlichen und sogar funktionellen Erkrankungen an den Hirngefäßen die Durchblutungsstörungen verursachen. Hier kommt es darauf an, die ursächliche Pathologie der Gefäßwand darzustellen. Das Vessel Wall Imaging ist eine hochauflösende MR-Bildgebung mit Schichtdicken im Submillimeterbereich, mit der heutzutage beispielsweise schon Gefäßentzündungen diagnostiziert werden können. Im experimentellen Bereich findet diese Technik bereits Anwendung, um Thromben darzustellen und zu charakterisieren. Auch bei den Hirnaneurysmen gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass die Darstellung der Gefäßwände eine hohe Aussagekraft darüber besitzt, ob Rupturgefahr besteht oder nicht.
Sie sind ein engagierter Vertreter der interventionellen Schlaganfalltherapie. Allerdings ist die mechanische Thrombektomie zuletzt in Verruf geraten. Wie geht es jetzt weiter?
Es stimmt, dass die Interventionen 2013 in drei Publikationen im New England Journal of Medicine verrissen worden sind. Eine Therapie, die wir seit fünf bis sechs Jahren in Europa und speziell in Deutschland aufgebaut haben. Diese Studien wollen nachgewiesen haben, dass die Katheterbehandlung beim akuten Schlaganfall gegenüber der herkömmlichen medikamentösen Therapie keine Vorteile bietet. Daraufhin sind viele randomisierte Gegenstudien weltweit gestartet worden. Die erste wurde im Dezember 2014 (MR CLEAN) veröffentlicht, in Kürze folgen drei weitere (SWIFT-PRIME, EXTEND und ESCAPE). Diese Arbeiten belegen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient ein unabhängiges Leben nach einem Schlaganfall führen kann, sich durch die Intervention im Vergleich zur herkömmlichen Therapie verdoppelt oder sogar verdreifacht.
Wie kann es sein, dass die Studien zu so unterschiedlichen Ergebnissen kommen?
Das hat drei Gründe. Erstens sind in den neueren Studien moderne Verfahren mit einer höheren Rekanalisationsrate zum Einsatz gekommen. Zweitens wurden nur noch die Patienten einer Rekanalisationstherapie zugeführt, die auch wirklich davon profitieren, weil bei ihnen noch vitales Gewebe nachgewiesen wurde. Drittens wurde das Zeitfenster zwischen Symptom und Therapie individueller gehandhabt.
Welche Folgen werden die positiven Studienergebnisse haben?
Es wird einen Paradigmenwechsel in der Schlaganfallmedizin geben. Denn Patienten mit einem schweren Schlaganfall werden in Zukunft nur noch dort behandelt werden können, wo eine solche Maximaltherapie mit Katheterbehandlung auch angeboten wird. Das heißt, wir brauchen ganz neue Patientenpfade. Wir müssen klare Kriterien festlegen, wann welcher Patient in eine Stroke Unit oder in ein neurovaskuläres Zentrum kommt.
Ist Deutschland auf so einen Paradigmenwechsel vorbereitet?
Ja, weil wir diese Entwicklung hierzulande bereits vorausgeahnt haben. Es wurden bereits innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie und der Deutschen Röntgengesellschaft Ausbildungswege für Fachärzte festgelegt, die diese Interventionen durchführen sollen. Wir stehen also im internationalen Vergleich sehr gut da. Andere Länder in Europa und den USA werden es sehr viel schwieriger haben, wenn dieser Paradigmenwechsel Eingang in die weltweiten Leitlinien finden wird. Es ist davon auszugehen, dass die Europäischen Leitlinien wahrscheinlich schon im April 2015 geändert werden, wenn die Publikationen veröffentlicht sind.
PROFIL:
Olav Jansen studierte Humanmedizin in Göttingen und Lübeck. Er promovierte 1987 an der Universität Lübeck. Dort erfolgte auch seine Facharztausbildung zum Radiologen und Neuroradiologen. 1996 habilitierte er zum Thema „Magnetresonanztomografie bei Hirnödemen“. Von 1993 bis 2000 war Jansen in der Abteilung für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Heidelberg tätig – zunächst als Oberarzt, ab 1997 als Leitender Oberarzt. Im Jahr 2000 wechselte er an das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, wo er zunächst das Institut für Neuroradiologie leitete. Seit 2013 ist er Direktor der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie. Von 2010 bis 2012 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie, seit 2009 ist er Mitglied im erweiterten Vorstand der Deutschen Röntgengesellschaft.
25.02.2015