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Artikel • Vom Mangel zur Chance

Mit Digitalisierung gegen den Fachkräftemangel

Die Gesundheits- und Pflegebranche steht aufgrund des steigenden Kostendrucks und Fachkräftemangels vor großen Herausforderungen. Die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen hängt zunehmend von ihrer digitalen Infrastruktur ab, insbesondere im Bereich der Personalsuche, wo digitale Prozesse bereits heute eine Schlüsselrolle einnehmen.

Autorin: Dr. Anja Konhäuser, Partner und Co-Founder der Digitalisierungsberatung OMMAX

Der Sektor der Sozialen Arbeit sowie der Pflege und Gesundheitsversorgung leiden bereits seit Jahren unter einem erheblichen Fachkräftemangel. Ein Hauptgrund hierfür ist die in den 1990er bis 2000er-Jahren gesunkene Geburtenrate, die zu einem Rückgang der Arbeitskräfte führt, während gleichzeitig geburtenstarke Jahrgänge der 1960er-Jahre zunehmend in den Ruhestand treten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit blieb eine Stelle im Bereich der Altenpflege im Zeitraum von März 2023 bis Februar 2024 nach ihrer Vakanz zuletzt durchschnittlich 240 Tage lang unbesetzt. Eine zusätzliche Herausforderung ist das negative Image, das sozialen Berufen in den Medien oft anhaftet. Häufig werden niedrige Gehälter oder eine steigende Arbeitsbelastung in den Vordergrund gestellt. In dieses Fahrwasser geraten auch Gesundheitsunternehmen, die sich durch attraktive Leistungen und ein gutes Arbeitsumfeld im Wettbewerb um geeignetes Personal durchaus behaupten könnten.

Ein Muss: Online-Sichtbarkeit steigern

Die große Herausforderung ist dabei gleich eine doppelte: Anbieter müssen innovative Talente nämlich nicht nur finden und ansprechen, sondern auch idealerweise langfristig an sich binden. Jüngere Arbeitskräfte bevorzugen heute Unternehmen, die flache Hierarchien und innovative Systeme bieten. Sie möchten mit Arbeitgebern zudem genau dort kommunizieren, wo sie sich am häufigsten aufhalten: im digitalen Raum. Um den Erwartungen dieser stark digital orientierten Generation gerecht zu werden, müssen HealthCare-Unternehmen bereit sein, ihren Status quo konsequent zu hinterfragen. Ohne das Angebot einer nahtlos digitalen Bewerber-Journey werden sie in Zukunft wohl kaum mehr eine Chance haben, sich in einem zunehmend wettbewerbsorientierten Umfeld bei der Talentsuche zu behaupten.

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Die Grundlage: Digitaler Go-to-Market-Ansatz

Für Unternehmen, die ihre Talentsuche zukunftsfähig machen wollen, sind folgende Strategien von grundlegender Bedeutung: 

  • Digitale Barrieren überwinden: Viele Unternehmen im Gesundheits- und Pflegebereich blockieren die heute so wichtige Ausweitung ihrer digitalen Reichweite durch veraltete, teilweise sogar noch papierbasierte Systeme und Infrastrukturen. Das ist kostspielig und behindert die digitale Transformation. Der Aufbau einer verlässlichen und transparenten Datenbasis ist eine der wesentlichen Voraussetzungen  für die Digitalisierung ihrer Rekrutierungsprozesse. 
  • Recruiting-Prozesse neu ausrichten: Ein modernes Bewerbermanagement muss den stark veränderten Erwartungen jüngerer Zielgruppen gerecht werden. Die Integration digitaler Technologien spielt dabei eine Schlüsselrolle – sie ermöglicht nicht nur eine kurzfristig verbesserte Ansprache potenzieller Talente, sondern schafft auch die Voraussetzungen für die Entwicklung weiterer Benefits für die Mitarbeiter, die diese Talente auch langfristig an das Unternehmen binden können. 
  • Positionierung priorisieren: In einem Arbeitnehmermarkt, in dem traditionelle Bewerbungswege zunehmend an Bedeutung verlieren und Bewerber sich ihren Arbeitgeber immer häufiger aussuchen können, kommen Anbieter nicht umhin, sich ihren potenziellen Bewerbern so attraktiv wie möglich, aber auch authentisch zu präsentieren. Durch ein kontinuierliches, datenbasiertes Benchmarking im Vergleich zu den Mitbewerbern erhalten Anbieter immer wieder wertvolle Erkenntnisse, um die eigene Positionierung zu bewerten und zu analysieren. 
  • Schnelle und einfache Kontaktaufnahme als „Must-have“: Ein "Social-First"-Ansatz wird heute zur Pflicht - um Talente effizient zu erreichen, muss die Kontaktaufnahme genau dort stattfinden, wo sie sich aufhalten: auf digitalen Plattformen. 
  • Effizienzvorteile nutzen: Ist der gezielte Einsatz von Datenanalysen umgesetzt, bieten sich den Anbietern zahlreiche Möglichkeiten, die Prozesse im Bewerber-Recruiting kosteneffizienter zu gestalten - Einsparungen, die wiederum Spielraum schaffen, um die Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter attraktiver zu gestalten.

Einblick in die Praxis: Qualifizierte Bewerber gezielt erreichen

Aiutanda, ein 2017 gegründeter und deutschlandweit tätiger Zusammenschluss von ambulanten Gesundheitsunternehmen, wollte seinen Bewerbungsprozess durch die Implementierung eines einheitlichen und integrierten Bewerbermanagements neu aufstellen. Als strategische Digitalberater haben wir den Care-Spezialisten bei der Entwicklung seiner neuen Recruiting-Strategie von Anfang an unterstützt. Ein entscheidender erster Schritt war dabei die Entwicklung einer reichweitenstarken Positionierung, um Aiutanda als attraktive und moderne Arbeitgebermarke im Pflegebereich breitflächig sichtbar zu machen. Das neu entwickelte digitale Setup ermöglicht es Aiutanda heute, über Daten zu verfügen, mit denen sich seine Recruiting-Kampagnen kontinuierlich verbessern lassen. Das Unternehmen kann nun präzise messen, welche Kampagnen auf welchem Kanal erfolgreich sind. Durch diesen datengetriebenen Ansatz gelingt es, eine steigende Anzahl an Bewerbungen einzuholen. Im Einzelnen wurden folgende Maßnahmen unternommen, um den Bewerbungsprozess möglichst zielgerichtet auf potenzielle Arbeitnehmer auszurichten: 

  • Modernisierte Website für eine höhere Konversion in der anvisierten Zielgruppe. Die Vorzüge des Unternehmens als Arbeitgeber sind heute sofort erkennbar. 
  • Verbesserte Benutzerfreundlichkeit der Website: Die Alleinstellungsmerkmale des Pflegespezialisten springen potenziellen Bewerbern schon beim ersten Webseitenbesuch präsent ins Auge. 
  • Gestaltung eines neuen, emotional ansprechenden und vor allem datenbasierten Designs mit einer überzeugenden Bildersprache, das sich durch die gesamte Markenkommunikation und alle digitalen Kanäle zieht. 
  • Einheitliche Kommunikation der Unternehmenskultur, Werte und der Vision auf allen Darstellungsebenen - bis hin zur Gestaltung der Online-Stellenanzeigen. 
  • Schaffung neuer digitaler Kontaktpunkte über verschiedene Social-Kanäle unter Einbeziehung der Unternehmenswebsite, um die Vorteile für künftige Aiutanda-Mitarbeiter so breitflächig wie möglich sichtbar zu machen. 
  • Überarbeitung des gesamten Arbeitgeberprofils und dessen nahtlose Integration in die gesamte Kommunikation, einschließlich des Designs von Online-Stellenanzeigen. 
  • Kontinuierliche Weiterentwicklung der Recruiting-Kampagnen auf Basis aktueller Datenanalysen, um den erreichten Bewerberpool immer weiter zu vergrößern. 

Alle Personalprozesse bauen heute auf zentralen HR-Strukturen auf und sind nahtlos digital integriert – von der ersten Kontaktaufnahme bis hin zum Vertragsabschluss. Dieser maßgeschneiderte Bewerbungsprozess spiegelt sich in beeindruckenden Erfolgszahlen wider: So führte der Relaunch der Website zu einer Steigerung der Webseitenbesuche um 966%. Durch gezieltes Employer Branding ließ sich die Anzahl qualifizierter Bewerbungen um 179% steigern.

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Direkte Kommunikationsschnittstelle zum Bewerberpool

Im Fokus der neuen Recruiting-Strategie stand zudem der Aufbau einer Community auf Facebook und Instagram, um das Unternehmen gezielt auf diesen Kanälen bekannt zu machen. Durch die Erstellung und Umsetzung zielgruppenspezifischer und visuell auffälliger Social-Media-Kampagnen konnte die Community wesentlich ausgebaut werden. Heutzutage erhält Aiutanda durch seine Social-Media-Aktivitäten eine deutlich höhere Anzahl an Bewerbungen über genau diese Kanäle. Durch die Optimierung der Karriereseite und die gezielte Nutzung sozialer Medien wie LinkedIn, Facebook und Instagram entstand so eine direkte Kommunikationsschnittstelle zu potenziellen Bewerbern. Diese bildet heute den Grundstein für ein effizientes Bewerbermanagement, dessen Erfolg sich auch quantitativ belegen lässt: Durch den Ausbau der Social-Media-Präsenz auf Facebook und Instagram konnte der Pflegespezialist fast 20.000 relevante neue Follower gewinnen.

Flexible Kampagnenausrichtung als langfristiger Erfolgsfaktor

Die Vorteile eines digitalen Recruiting-Managements werden in einem hart umkämpften Bewerbermarkt zum „Game Changer“. Unternehmen profitieren vom Zugang zu einem erweiterten Bewerberpool und können sich als Arbeitgebermarke reichweitenstark sichtbar machen. Ein integriertes und ganzheitlich digitales Bewerbermanagement ist langfristig deutlich kostengünstiger als bisherige Maßnahmen, da sich digitale Prozesse nahezu in Echtzeit jederzeit an veränderte Umfeldbedingungen anpassen lassen. Bewerber haben zudem die Möglichkeit, den Fortschritt eines Recruiting-Prozesses über digitale Plattformen aktiv zu verfolgen, was Unternehmen die Chance bietet, potenzielle Talente auch während längerer Bewerbungsphasen zu binden. Ein unschlagbarer Vorteil ist jedoch die Möglichkeit, digitale Rekrutierungsmaßnahmen jederzeit ohne großen Aufwand zu überprüfen. Auf Basis detaillierter Datenanalysen können Arbeitgeber ihre Strategien kontinuierlich optimieren und an die Bedürfnisse ihrer Bewerber anpassen. 

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Dr. Anja Konhäuser

Bildquelle: OMMAX

Die Autorin: 

Dr. Anja Konhäuser ist als Partner/Co-Founder beim Digitalisierungsspezialisten OMMAX auf die Entwicklung und Umsetzung digitaler Wertschöpfungsstrategien spezialisiert. Sie leitet erfolgreich digitale Transformationsprojekte für Kunden aus den Bereichen Gesundheitswesen, E-Commerce und B2B Services. Mit ihrer mehr als zehnjährigen Erfahrung aus über 150 Digitalprojekten im Aufbau, der Analyse und Durchführung von digitalen Go-to-Market Strategien hat sie national und international führende Marken bei der Skalierung digitaler Geschäftsmodelle erfolgreich beraten. Sie gilt als Expertin sowohl für die marktgerichtete Digitalisierung zur Aktivierung der gewünschten Zielgruppen als auch für die unternehmensinterne Digitalisierung zur Effizienzsteigerung in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Personal. Konhäuser ist auch als Dozentin für das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sowie die Universität Stuttgart tätig. Sie hält einen MBA von der Universität Passau und einen Doktortitel, summa cum laude, vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

26.03.2024

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