Die Patienten im Sack
Wie die postmortale Computertomographie Tote zum Sprechen bringt
Wenn im Institut für Klinische Radiologie am Klinikum Innenstadt der LMU München das Telefon klingelt und die benachbarte Rechtsmedizin am Apparat ist, dann geht es meist um Mord und Totschlag. Seit 2008 führt das Radiologische Institut auf Anfrage der Gerichtsmedizin CT-Untersuchungen an Leichen durch. Der virtuelle Blick in den Körper, ohne den Verstorbenen öffnen zu müssen, bietet bei der Ermittlung von Todesursachen einige Vorteile und hat bereits bei der Aufklärung des einen oder anderen Falls geholfen.
Mehrere hundert Leichen hat Assistenzärztin PD Dr. Sonja M. Kirchhoff in den letzten Jahren schon begutachtet – und das, ohne die Verstorbenen tatsächlich zu Gesicht bekommen. Denn sie werden im Leichensack von der Rechtsmedizin in das Institut transportiert, im Leichensack in die CT-Röhre gelegt und auch wieder so abtransportiert. Beim 7. Internationalen Symposium Mehrschicht CT präsentiert Dr. Kirchhoff eine Auswahl von Fällen aus ganz Oberbayern zum Thema unklare Todesursache, Tötungsdelikte und Verkehrsunfälle. „Die Bilder werden fast nach den gleichen Kriterien beurteilt wie eine klinische CT-Untersuchung“, erklärt sie. „Mit dem großen Unterschied, dass man bei Toten ganz andere Befunde zu sehen bekommt als bei Lebenden. Während beispielsweise Gas in den Lebervenen oder in den Gallenwegen bei lebenden Patienten auf ein ischämisches Geschehen im Darm zurückgeführt werden kann, das unter Umständen eine lebensbedrohliche Situation auslöst, handelt es sich bei einem Leichnam um einen völlig normalen Befund.“
Die postmortale CT wird als Ganzkörper-Untersuchung ohne Kontrastmittel durchgeführt. Die Münchner lehnen sich dabei an das Scanprotokoll einer Polytraumaspirale für Schwerverletzte an. Besonders häufige Fragestellungen, die die Rechtsmediziner an die Radiologen stellen, betreffen knöcherne Verletzungen, Messerstichwunden und metallische Fremdkörper, vor allem durch Schussverletzungen. Auch die Beurteilung der Lunge spielt eine wichtige Rolle bei unklarer Todesursache. Hier zeigen sich die Vorzüge der virtuellen Autopsie besonders deutlich, berichtet die Ärztin: „Wenn man den Brustkorb aufschneidet, passiert es häufig, dass die Lunge kollabiert. Mit der nicht-invasiven Bildgebung kann man dagegen kleinste Veränderungen in der Lunge gut detektieren. Das gilt auch für Veränderungen am Gehirn. Wenn eine Leiche schon etwas länger liegt, dann kann das Gehirngewebe schon relativ weich sein und bei einer Schädelöffnung regelrecht zerfließen. Blutungen oder Verletzungen des Gehirngewebe lassen sich dann nicht mehr nachvollziehen.“
Ein weiterer Nutzen der virtuellen Autopsie ist es, dass sich die Befunde digital einfrieren lassen. Sollte der klinische Obduktionsbericht also erst zu einem späteren Zeitpunkt vorliegen oder ein Gerichtsprozess noch einmal aufgerollt werden, dann kann auf die Bilder problemlos zurückgegriffen werden. Staatsanwaltschaft und Richter sind vor allem dankbar für die plastische Darstellung von Tathergängen, weiß Kirchhoff: „Das 3-D-Bild einer Messerstichverletzung hat einfach sehr viel mehr Aussagekraft als eine bloße mündliche Beschreibung des Stichkanals.“
Ersetzen kann die virtuelle Autopsie die konventionelle pathologische Untersuchung jedoch nicht, weiß die Radiologin. Auch wenn in der Schweiz eine Arbeitsgruppe aus Zürich die CT als Alternative propagiert, bleibt man in Deutschland verhalten optimistisch, sagt Kirchhoff: „Man kann sicher in Einzelfällen, in denen z.B. die Angehörigen einer Obduktion nicht zustimmen und es sich nicht um eine von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmte Leiche handelt, nur eine CT durchführen. Aber das Verfahren wird trotzdem die klinische Obduktion nicht ersetzen können, sondern stellt ein ergänzendes Verfahren in der gerichtsmedizinischen Praxis dar.“ So gerade in München geschehen: Bis Ende 2011 wurde die virtuelle Autopsie als Kooperationsstudie zwischen Rechtsmedizin und Radiologie gehandhabt, jetzt geht sie in den Routinebetrieb über.
Weiterführende Studienprojekte befinden sich auch schon in Planung, verrät Dr. Kirchhoff abschließend: „Wir möchten gern eine CT-Ganzkörper-Angiographie testen. Das ist momentan noch nicht möglich, weil es bei Leichen keinen Blutkreislauf gibt, der das Kontrastmittel durch den Körper pumpen könnte. Deshalb wollen wir es mit einer Herz-Lungen-Maschine probieren, die für den nötigen Durchfluss sorgt. Desweiteren versuchen wir zurzeit, die kleineren Gefäße der Lunge mithilfe von Dual-Energy-Technologie zu einer noch besseren Darstellung zu bringen. Und natürlich geht es weiterhin darum, Vergleichsdaten zwischen virtueller und konventioneller Autopsie zu sammeln, um mehr über die Einsatzmöglichkeiten der postmortalen CT zu erfahren.“
Im Profil
PD Dr. Sonja Kirchhoff verstärkt seit Juni 2007 das Assistenzärzteteam am Institut für Klinische Radiologie, Klinikum Innenstadt der LMU München. Zuvor war die DFG-Promotionsstipendiatin AiP und Assistenzärztin am Standort Klinikum Großhadern. Die heute 34-jährige Münchnerin habilitierte 2010 über das Thema "Evaluation der Analyse von Kolonmotilität mittels funktioneller Cine-Magnetresonanztomographie". Im selben Jahr erhielt sie den Jens-Kirsch-Preis der Deutschen Gesellschaft für Kolonproktologie. Kirchhoff wurde darüber hinaus mehrmals von der European Society of Gastrointestinal und Abdominal Radiology ausgezeichnet und gewann 2005 den 1. Posterpreis der Vereinigung der Bayerischen Chirurgen. 2010 wurde sie mit dem Clinical-Fellowship der European Society of Gastrointestinal und Abdominal Radiology prämiert und forschte an der Universität Pisa. Aktuell befindet sich die junge Mutter in Elternzeit und kehrt im Februar in ihre klinische Tätigkeit zurück.
07.01.2012