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„Die großen Revolutionen finden in der IT statt“
Danach befragt, was wir von der Radiologie in den kommenden Jahren erwarten sollten und können, ist sich Prof. Dr. Stefan Schönberg, Direktor des Instituts für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin an der Universitätsmedizin Mannheim, Medizinische Fakultät Mannheim der Ruprecht-Karl-Universität in Heidelberg, sicher: Ohne IT wird die Disziplin nur in kleinen Schritten vorankommen, die großen Revolutionen werden von Bits und Bytes gesteuert.
Die Technologien sind – wenn auch noch nicht perfekt – so doch so weit ausgereift, dass wir das Thema jetzt ernsthaft forcieren müssen.
Prof. Dr. Stefan Schönberg
So zum Beispiel im Bereich der quantitativen Bildgebung, die zwar einerseits auf dem Einsatz von Technologien wie der Dual-Energy-CT oder der Diffusions-MRT beruht. Andererseits jedoch erst mit der Weiterentwicklung der IT, beispielsweise der web- und cloudbasierten Verfahren, richtig Fahrt aufgenommen hat, wie Stefan Schönberg erklärt: „Die IT ermöglicht uns, quantitative Biomarker routinemäßig in größeren Datenbanken multizentrisch in Studien zu validieren, um letztlich messbare Werte und damit schneller Evidenz zu schaffen. Auch die Software zur Nachbearbeitung spielt bei der quantitativen Bildgebung eine immense Rolle. Und beide Technologien sind – wenn auch noch nicht perfekt – so doch so weit ausgereift, dass wir das Thema jetzt ernsthaft forcieren müssen.“
Ebenfalls entscheidend in diesem Zusammenhang sind die Entwicklungen in der strukturierten Befundung, die sich durch drei Parameter auszeichnet: die Zerlegung der Befunde in messbare Unterentitäten, die Verwendung standardisierter Terminologien sowie eine sinnvolle, parametrisierte Ablage der Informationen in entsprechenden Datenbanken. „In diesen drei Bereichen geschieht aktuell sehr viel, sowohl Firmen, Universitätskliniken als auch Fachgesellschaften arbeiten intensiv an diesen Themen. Wichtig wird jedoch sein, die strukturierte Befundung in die Breite zu tragen. Die Impulse kommen sicherlich aus den Universitätskliniken, aber erst eine flächendeckende Durchdringung wird den wirklichen Mehrwert schaffen“, so Schönberg.
Als sinnvolle Ergänzung zur strukturierten Befundung sieht er die Fortschritte im Bereich „Big Data“: Während bei der strukturierten Befundung die hohe Datenqualität basierend auf einer Homogenisierung und Standardisierung der radiologischen Befundung im Vordergrund steht, geht es bei Big Data um die Intelligenz der eingesetzten Algorithmen, die die Flut an Daten rückwirkend katalogisieren können. „In Zukunft werden radiologische Daten mittels strukturierter Befundung quantitativ vorliegen. Bei der Abbildung von klinischen Informationen, der Metaebene sozusagen, stößt die strukturierte Befundung jedoch an ihre Grenzen und wir benötigen die Ansätze aus dem Bereich ‚Big Data‘, beispielsweise das Data Mining mit maschinenbasiertem Lernen“, ergänzt der Radiologe.
Während die Lösungen zur Aufbereitung der vorhandenen Daten zur Verbesserung der Diagnose und Prognose bereits relativ ausgereift sind, steckt ein anderer Trend in der Radiologie noch weitestgehend in den Kinderschuhen: die Annäherung von Genotyp und Phänotyp – ein recht komplexes Thema. Im Wesentlichen geht es darum, in großen Populationen sogenannte Einzel-Nukleotid-Polymorphismen (SNPs) des Genoms aus großen Gendatenbanken herauszufiltern, die Hinweise auf bestimmte wiederkehrende Auffälligkeiten liefern. Wird innerhalb der Population ein solcher Genotyp gefunden, kann mittels Bildgebung eruiert werden, ob es auch bestimmte Phänotypen-Auffälligkeiten gibt.
Für die Radiologie ist das eine riesige Chance.
Prof. Dr. Stefan Schönberg
Ist das der Fall, kann anschließend auf der Basis einer bestimmten Hypothese eine gezielte Gensequenzierung stattfinden. Stefan Schönberg: „Für die Radiologie ist das eine riesige Chance, weil wir damit in der Lage sind, Pathomechanismen in bestimmten Patientengruppen zu bestimmen. Wir stehen dann nicht am Ende der Pathologie, sondern bereits am Anfang, bei der Gewinnung von pathologischen Erkenntnissen. Die Radiologie wäre dann erstmals in der Rolle, eine Erkrankung nicht nur abzubilden, sondern diese aufzuspüren. Diese Chance sollten wir uns als Fachdisziplin nicht entgehen lassen.“
Auch der Bereich der sogenannten Radiomics, also die Herausarbeitung von gewissen Auffälligkeiten aus einem multiparametrisierten Bild zur Erstellung von Klassifikatoren, könnte der Radiologie in Zukunft Aufwind geben. Erste Erfolge gibt es beispielsweise beim Bronchialkarzinom: Mittels Kompressionsalgorithmen können bestimmte Parameter eines Adenokarzinoms – Lage, Randbegrenzung usw. – so kondensiert werden, dass sich relativ genau abschätzen lässt, ob es sich um ein Karzinom mit spezifischen Mutationen handelt oder nicht. Basierend darauf kann eine passgenaue (targeted) Therapie initiiert werden. „Bei weltweit vier Millionen CT-Aufnahmen täglich können unmöglich für jede Untersuchung molekular-pathologische Aufarbeitungen stattfinden. Und die Radiomics bietet uns die Möglichkeit, diese Lücke zumindest teilweise zu schließen, indem sie uns korrelative Abschätzungen liefert – was die Medikamentengabe deutlich verbessert und uns geradewegs in Richtung Präzisionsmedizin steuern lässt“, so Stefan Schönberg abschließend.
Profil:
Prof. Dr. Stefan Schönberg studierte Humanmedizin an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg und ließ sich danach am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zum Radiologen weiterbilden. 2001 wechselte er an das Institut für Klinische Radiologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er zunächst als Oberarzt und Leiter der MRT und später als geschäftsführender Oberarzt tätig war. Seit 2007 ist Schönberg Direktor des Instituts für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Mannheim. Er veröffentlicht vor allem über vaskuläre und abdominelle Bildgebung, funktionelle MRT und CT, Hochfeld-MRT und die onkologische Bildgebung.
18.01.2016