Big Data
Automatisierung hilft Radiologen, macht sie nicht obsolet
Die Milliarden an medizinischen Befunden und radiologischen Bildern, die weltweit jährlich erstellt werden, sind in Qualität, Detailgenauigkeit und Struktur ebenso so unterschiedlich wie die Situationen, in denen sie entstehen. Trotz gegenteiliger Annahmen liegen medizinische Daten in vielen Einrichtungen oft nur in unstrukturierter Form vor, was die Effizienz der Gesundheitssysteme erheblich beeinträchtigt. Im Gespräch erklärt Peter Aulbach, Siemens Healthineers‘ Business Manager für das CT Geschäft in Deutschland, wie diese Daten bei systematischer Auswertung helfen könnten, mehr medizinische Erkenntnisse zu gewinnen und Behandlungen von Patienten zu verbessern.
Interview: Sascha Keutel
In vielen Projekten weltweit wird an einer „Selbstlernenden Software“ geforscht, die tatsächliche klinische Probleme, wie die Beurteilung von medizinischen Aufnahmen, automatisch lösen soll. Welchen Einfluss werden solche Algorithmen auf das Gesundheitswesen haben?
Das ist ein sehr spannendes Forschungsfeld, das die Medizin nachhaltig verändern wird. Als Unternehmen sehen wir ein paar Trends, die sich am Ende manifestieren könnten. Zu denen gehört neben der von Ihnen angesprochenen Automatisierung, auch der Einzug von „künstlicher Intelligenz“ in die Medizin. Bei all diesen Themen steht aber der Aspekt im Vordergrund, viele, aber vor allem gute und vergleichbare bzw. reproduzierbare Daten, zu generieren.
In welchen Bereichen werden künstliche Intelligenzen eine Rolle spielen?
Sie sind vor allem bei Decision-Support-Systemen von besonderer Bedeutung. Artificial Intelligence tritt dann in Aktion, wenn ein Algorithmus oder ein Programm selbst lernt und dem Anwender auf Grund der Evidenz einen Hinweis auf die Diagnose und sogar einen Behandlungsvorschlag macht. Und je mehr das System lernt, desto schlauer wird es in Zukunft und desto weniger User-Interaktion braucht es.
Das ist der Part, der viele beängstigt.
Möglicherweise. Fest steht aber: Wir können nicht auf Computer verzichten! Computer übertreffen uns bei weitem an rationaler Intelligenz und sie treffen objektiv die besseren Entscheidungen. Idealerweise bringen wir das mit der emotionalen Fähigkeit, die uns Menschen auszeichnet, in Übereinstimmung. Doch wir Menschen werden immer älter und brauchen daher immer mehr Personal, das diagnostizieren, befunden und therapieren kann. Doch dieses Personal wächst nicht exponentiell, sondern die Experten werden immer weniger und die Kluft in unserem System wird immer größer. Das betrifft auch Radiologen, die in Schicht-Aufnahmen ertrinken und Schwierigkeiten haben werden, das Pensum zu bewältigen. Und diese Datenflut wird durch DNA-Entschlüsselung, funktionale MRT- oder CT-Bildgebung und viele andere digitale Entwicklungen noch deutlich anwachsen.
Hier liegt ein weiteres Problem der Radiologie: Bisher fehlt die Standardisierung und die strukturierte Ablage der Bild- und Befunddaten. Daten anzusammeln hilft nichts, wenn diese Daten nicht strukturiert sind. Ohne Strukturierung ist die gewaltige Ansammlung an Daten nutzlos. Momentan liegen diese oft auf den Modalitäten herum und nur etwa 2 Prozent davon finden ihren Weg ins Archiv.
Wie könnte eine Lösung aussehen?
Für uns sind hier die „DICOM Structured Reports“ der Schlüssel. Sie sind sozusagen die Schubkarre, die die Daten von der Modalität in eine Big Data-Form überführen. Ein flächendeckendes „Structured Reporting“ wird sicherstellen, dass die quantifizierten Daten von allen bildgebenden Modalitäten ihren Weg automatisch in das PACS und damit in eine Big-Data-zugängliche Form überführt werden.
Ein Beispiel aus den USA zeigt das sehr anschaulich: In Amerika ist es gesetzliche Pflicht, alle Fernsehsendungen für Gehörlose zu vertexten. Natürlich lassen sich diese Texte per Algorithmen analysieren. So lässt sich in einer Studie leicht herauszufinden, wie oft in den Medien das Wort Clinton, Trump oder ein beliebig anderer Begriff in einem bestimmten Zeitraum verwendet wurde. Das ist die perfekte Big Data Anwendung.
In unserem Umfeld ist das viel schwieriger. Wir haben zwar viele Video- und Bilddaten, aber sie sind nicht viel wert, weil die Zuordnung fehlt. Der Strukturierte Report ist der Schlüssel zu dieser Schatztruhe. Hier werden wir einen großen Schritt machen durch Templates, die zum einen konfigurierbar sind und zum anderen – sofern sich DICOM und HL7 auf einen einheitlichen Standard einigen - die Guidelines wie sie AHA oder der ACC vorgeben, einarbeiten, sämtliche Messungen in dieses Template übernehmen und an das PACS schicken.
Sie wollen die Sequenzen, das Protokoll und die Nachbearbeitung automatisieren. Macht das den Radiologen nicht überflüssig?
Nein, wir wollen den Radiologen nicht obsolet machen. Vielmehr wollen wir dem Befunder alle Daten zur Verfügung stellen, die er braucht, um sich ein umfassendes Bild der Lage zu machen. Der Radiologe der Zukunft wird ein „Information Broker“ sein, der sich Modalitäten, die sehr performant und reproduzierbar sind, mit geringer Standardabweichung in einer strukturierten Art und Weise zu Nutze macht. Er wird nicht mehr vor dem Bildschirm sitzen und sich durch tausende Schichten vorarbeiten, um zu einem Ergebnis zu kommen.
Radiomics ist an dieser Stelle das Stichwort. In den USA existiert eine Firma gleichen Namens, die ein Patent hat auf die Auswertung onkologischer Bilddaten, die aus MRT- und CT-Systemen stammen und die bereits „Pattern Recognition“ anbietet. Dieses Unternehmen macht nichts anderes als Strukturen in Bildern zu finden, die segmentiert sind. Sie findet Muster und vergleicht diese mit angelegten Stammdaten, um daraus die Patientengruppe abzuleiten. Die Zahl solcher Verfahren wird immer ansteigen und das wollen wir unterstützen. Aber die klinische und therapeutisch relevante Entscheidung wird am Ende immer noch der Radiologe treffen.
25.11.2016