Artikel • Konventionelle Knochendiagnostik
„Der Nachwuchs soll in Bücher schauen“
Der erste Schritt zur Diagnose eines Knochenbruches besteht auch heute noch häufig in der Erstellung eines konventionellen Röntgenbildes, „weil konventionelles Röntgen im Krankenhaus wie in der Praxis schnell verfügbar ist“, sagt Prof. Dr. Lothar Heuser, emeritierter Leiter des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Bochum-Langendreer.
In diesem Fall sind dann die Kollegen im Vorteil, die ein Röntgenbild auch sicher lesen können. Das klingt selbstverständlich, allerdings weist der erfahrene Radiologe darauf hin, dass dem radiologischen Nachwuchs inzwischen zunehmend die Erfahrung fehle.
Die CT-Bilder können dreidimensional rekonstruiert werden und liefern dann nicht nur die Diagnose, sondern auch die Voraussetzungen für die Behandlung.
Prof. Dr. Lothar Heuser
Eine konventionelle Röntgenaufnahme wird heute in jeder Institution als erste Maßnahme in der Knochendiagnostik durchgeführt, denn sie hat weniger Strahlenexposition als die CT und ist auch kostengünstiger. Je nach Komplexität des Traumas oder in bestimmten Körperregionen wie Schädel, Wirbelsäule, Gelenk etc. kommt entweder primär oder im zweiten Schritt die Computer- oder Kernspintomographie zum Einsatz. Diese Methoden liefern dann meist die gewünschte Sicherheit. „Weil die CT-Bilder dreidimensional rekonstruiert werden können und dann nicht nur die Diagnose, sondern auch die Voraussetzungen für die Behandlung liefern“, sagt der Radiologe.
Geht es aber um die strukturelle Veränderung der Knochen, ist die Kernspintomographie die Methode der Wahl, denn hier wird erkannt, was sich im Knochenmarksraum abspielt. Insbesondere Stressfrakturen können damit früher und besser diagnostiziert werden. Diese werden auch Marschfraktur genannt, eine Bezeichnung, die sich auf Erfahrungen von Soldaten bezieht, die sich Frakturen durch lange Märsche zuzogen. Heute treten sie insbesondere bei Freizeitsportlern und auch Kindern auf, die schon im jungen Alter Leistungssport treiben.
Röntgenbilder im Kopf zusammensetzen…
Ein konventionelles Röntgenbild ist eine zweidimensionale Projektionsaufnahme, das heißt, ein dreidimensionaler Körper projiziert sich auf einen zweidimensionalen Detektor, das gesamte Objekt wird auf einer Fläche dargestellt. „Ein Radiologe benötigt folglich einiges Training, um ein dreidimensionales Bild aus zwei Projektionen im Kopf zusammenzusetzen und die richtigen Schlüsse zu ziehen“, so Heuser und weiter: „Und da fehlt es inzwischen manchen Nachwuchsradiologen schlichtweg an Erfahrung.“
Gründe für diese Entwicklung sieht Heuser vor allem im bestehenden Ärztemangel und in dem oft sehr hektischen Krankenhausalltag. „Die Kollegen müssen schnell ‚mal eben‘ mit den Untersuchungen fertig werden. Früher hatte man noch die Gelegenheit, die Aufnahme mal eine Stunde liegen zu lassen, um in Büchern nachzuschlagen oder einen erfahreneren Kollegen zu fragen. Das ist heute meistens nicht mehr möglich.“ Doch es gibt noch mehr Probleme: „Die Nachwuchsradiologen stürzen sich heute hauptsächlich auf die Schnittbildverfahren und schauen dank Social-Media-Zeitalter nicht mehr so gern in Bücher.“ Das ist umso bedauerlicher, als es beim konventionellen Röntgen einen riesengroßen Erfahrungsschatz und Nachschlagewerke gibt, mit deren Hilfe man Normvarianten von krankhaften Varianten unterscheiden kann.“
… und den Patienten anschauen hilft
Ein Röntgenbild muss analysiert werden und junge Radiologen müssen diese Bilder systematisch anschauen, Muster erlernen und Nachschlagewerke nutzen.
Prof. Dr. Lothar Heuser
Damit sich diese Situation bessert, sind laut Heuser in den vergangenen zehn Jahren die Trainingsangebote für die angehenden Radiologen sehr stark ausgebaut worden. So gibt es auf dem RadiologieKongressRuhr zahlreiche Angebote für (angehende) Radiologen. „Dabei handelt es sich um curricular aufgebaute Fortbildungsveranstaltungen. Sie werden von ausgewiesenen wissenschaftlichen Experten geleitet und bieten eine gute Gelegenheit, Wissenslücken aufzufüllen.“
Prof. Heuser, der sich um die Nachwuchsförderung verdient gemacht hat und dem diese Form der Weiterbildung eine ausgesprochene Herzensangelegenheit ist, gibt deshalb abschließend auch zwei sehr pragmatische Ratschläge für den Nachwuchs: „Ein Röntgenbild muss analysiert werden und junge Radiologen müssen diese Bilder systematisch anschauen, Muster erlernen und Nachschlagewerke nutzen. Sie dürfen nicht nur den Knochen im Blick haben, sondern auch die umgebenden Weichteile.“ Und: „Ich empfehle jedem wärmstens, den Patienten genauer anzuschauen und so den klinischen Bezug herzustellen. Denn wenn ich weiß, wo es weh tut, betrachte ich die entsprechende Stelle auf dem Röntgenbild und finde meistens auch schnell das Problem.“
Profil:
Prof. Dr. Lothar Heuser leitete bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2012 das Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Bochum-Langendreer und ist damit erster radiologischer Lehrstuhlinhaber im Rahmen des Bochumer Modells. Prof. Heuser war an der Entwicklung der Perfusions-CT und der Gründung vom RadiologieKongressRuhr im Jahr 2007 maßgeblich beteiligt.
03.11.2015