Den Kleinsten eine Chance geben
Strahlenschutz bei Röntgen-Thoraxaufnahmen von Frühgeborenen
Bei vielen Kindern, die zu früh auf die Welt kommen, ist die Lungenfunktion noch nicht ausgereift, weshalb sie auf der Kinderintensivstation künstlich beatmet werden müssen.
Zur Beurteilung der Lungenreife und zur Abklärung der richtigen Therapie ist bei fast allen dieser Neugeborenen eine Röntgenaufnahme des Thorax erforderlich.
Da das Röntgen bisher noch ohne strahlungsfreie Alternative ist und auch keine Studienergebnisse über die Langzeitauswirkungen vorliegen, sind Strahlenschutz und Dosisreduktion in diesem frühen Lebensstadium von elementarer Bedeutung. Im Perinatalzentrum des Universitätsklinikums Dresden, das auf eine Kinderradiologie zurückgreifen kann, ist man auf die Bedürfnisse der Kleinsten der Kleinen eingestellt. radiologia bavarica sprach mit Dr. Gabriele Hahn, Leitende Oberärztin des Bereichs für Kinderradiologie des Instituts und der Poliklinik für Radiologische Diagnostik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden über die besonderen Anforderungen in diesem Fach.
Die häufigste Bildgebung bei Früh- und Neugeborenen ist der Röntgenthorax – und die unreife Lunge ist zumeist die Indikation dafür. Aber auch angeborene Lungenentzündungen und Fehlbildungen der Lunge können die Untersuchung erforderlich machen. Allein im Universitätsklinikum Dresden müssen sich täglich zwischen fünf bis sieben Säuglinge diesem Verfahren unterziehen. Bei Frühgeborenen mit sehr unreifen Lungen können in den ersten Wochen ihres Lebens bis zu zehn Aufnahmen erforderlich sein, ohne die sie meistens nicht überleben würden. „Auf der Kinderintensivstation liegen Frühgeborene ab 500 Gramm aufwärts, die ganz besondere anatomische und physiologische Bedingungen mit sich bringen. Diese Säuglinge zu diagnostizieren, ist mit viel Fingerspitzengefühl von Seiten der MTRA verbunden; sie muss gut ausgebildet sein und eng mit der Schwester zusammenarbeiten, die das Kind betreut“, erklärt Gabriele Hahn, die neben ihren Erfahrungen als Kinderradiologin auch auf ihr Wissen als Fachärztin für Kinderheilkunde zurückgreifen kann. Diese sehr kleinen Kinder sind aber nicht nur besonders vulnerabel, sie liegen zudem in Inkubatoren, in denen auch die Röntgenaufnahmen gemacht werden müssen. In Dresden kommen dafür die Speicherfolientechnik und ein mobiles Röntgengerät zum Einsatz. Die Röntgenaufnahmen werden benutzt, um die Lunge zu überprüfen und den Stand der Therapiemaßnahmen zu kontrollieren. „Denn die Therapie der unreifen Lunge besteht neben der künstlichen Beatmung aus Surfactant, einem die Oberflächenspannung herabsetzenden Mittel, das als Aerosol in der Lunge versprüht wird, um die Elastizität der Alveolen zu fördern. Damit bleibt die Luft in der Lunge, um das Blut zu oxygenieren. Das hilft dem Kind beim Atmen, bis es selbst Surfactant bilden kann“, erklärt die Oberärztin. Die Indikation für das Thoraxröntgen wird in Dresden nie leichtfertig, sondern nur dann gestellt, wenn es tatsächlich um Leben oder Tod bei diesen Winzlingen geht.
Da die MTRA die Röntgenaufnahmen eigenverantwortlich vornehmen, tragen sie eine große Verantwortung sowohl für die Qualität des Bildes als auch für den Strahlenschutz des Kindes. Die Ausbildung der MTRA spielt daher eine entscheidende Rolle. „Sie sollte wissen, wie durch Einblendungen nur die wirklich betroffene Körperregion der Strahlung ausgesetzt wird und wie unbeteiligte Areale wie zum Beispiel das besonders empfindliche blutbildende Knochenmark geschützt werden können. Auch die Standardtabellen müssen einbezogen und die Protokolle immer wieder verglichen werden, am besten unter Einbeziehung der Gerätehersteller. Die Qualität der Aufnahmen ist für die Beurteilbarkeit des Bildes entscheidend, allerdings darf für ein ‚schönes‘ Bild auch nicht die Strahlendosis erhöht werden“, warnt Dr. Hahn. Immer wieder macht sie die Erfahrung, dass in radiologischen Abteilungen, die im Umgang mit Kinderaufnahmen nicht so geschult sind, die Dosis deutlich höher liegt als eigentlich nötig. Dr. Hahn wünscht sich daher, dass die Kliniken die MTRA für die kinderradiologische Lehre genauso in erfahrene Abteilungen schicken, wie dies bei der Anschaffung eines neues MRT oder CT auf anderen Gebieten längst Usus ist. „Als Radiologe bin ich nicht nur für meinen eigenen Wissensstand verantwortlich, sondern auch für den meiner Mitarbeiter. Ich wünsche mir sehr, dass die radiologische Diagnostik von Säuglingen und Kindern nicht als zusätzliches Abarbeiten verstanden wird, sondern als Spezialwissen, für das man sich genauso fortbilden muss wie in anderen Bereichen auch. Das kommt nicht von allein und braucht seine Zeit“, meint die Expertin. Für die Zukunft hofft die Ärztin auf Verfahren zur weiteren Dosisreduktion, auch wenn die Entwicklung bislang hier langsam voranschreitet. Die Weiterentwicklung der Speicherfolientechnik habe zwar inzwischen zu einer Strahlenreduzierung geführt, aber bei den mobilen Festkörperdetektoren sei man in der Kinderradiologie noch nicht sehr weit: „Zum einen sind sie kaum verbreitet und sie passen noch immer nicht in die Inkubatoren. Offenbar fehlt hier einfach eine Lobby für die Belange der Kinder.“
I M P R O F I L
Dr. Gabriele Hahn schloss ihr Studium der Humanmedizin an der Humboldt-Universität in Berlin mit Promotion und der Auszeichnung mit der Humboldt-Medaille ab. Danach absolvierte sie zunächst ihre Ausbildung zur Fachärztin für Kinderheilkunde am Kreiskrankenhaus Kyritz und am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden und ließ sich danach am Dresdener Uniklinikum auch zur Fachärztin für diagnostische Radiologie mit Schwerpunkt Kinderradiologie ausbilden. Seit 1997 ist sie hier als Oberärztin und Leitende Oberärztin des Bereichs für Kinderradiologie des Instituts und der Poliklinik für Radiologische Diagnostik tätig. Dr. Gabriele Hahn ist Vorsitzende des Vorstands der Sächsischen Radiologischen Gesellschaft und Mitglied weiterer Fachgesellschaften.
24.09.2012