News • Virologen nehmen Stellung

COVID-19: Was tun, wenn der Impfstoff erst einmal da ist?

Die Bemühungen, eine Impfung gegen COVID-19 zu entwickeln, laufen weltweit mit höchster Intensität.

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Noch gibt es keinen Impfstoff für COVID-19, doch schon jetzt machen sich Virologie-Experten Gedanken über die Abläufe

Bildquelle: Pexels/cottonbro

Die Vielzahl der aktuell untersuchten Impfstoffkandidaten, die ersten Ergebnisse aus tierexperimentellen Studien und Immunantworten in klinischen Studien am Menschen haben die Wahrscheinlichkeit beträchtlich erhöht, dass in absehbarer Zeit ein vorläufiger Verträglichkeits- und Wirksamkeitsnachweis für ein oder mehrere Impfstoffe gelingt. Daher gilt es, deren Einführung auf allen Ebenen trotz vieler Ungewissheiten jetzt planerisch vorzubereiten. Dies muss die Aufklärung zur Wirksamkeit und Sicherheit von COVID-19 Impfstoffen ebenso einschließen, wie eine transparente und allgemein akzeptierte Entscheidungsfindung zur bevorzugten Impfung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Da für die Impfstoffe nur kurze Nachbeobachtungszeiten vorliegen, muss die Einführung der Impfung von wissenschaftlichen Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe anhaltend begleitet werden.

Die Gesellschaft für Virologie (GfV) hat daher zur Einführung von COVID-19-Impfungen eine umfassende Stellungnahme erarbeitet.

Priorisierung: Wer wird zuerst geimpft?

Eine der wichtigsten gesellschaftlichen Fragen, die nach der Zulassung der ersten COVID-19 Impfstoffe für Deutschland beantwortet werden muss, ist, wem die Impfung zuerst angeboten werden sollte (Priorisierung). Es ist davon auszugehen, dass der Bedarf an Impfstoffdosen zumindest in den ersten Monaten das Angebot übersteigen wird. Das oberste Ziel bei der Einführung einer Impfung muss die Reduktion von COVID19-bedingten Todesfällen und schweren klinischen Erkrankungen sein. Um dies bei einer begrenzten Anzahl an verfügbaren Impfdosen zu erreichen, gilt es bei der Priorisierung von bestimmten Personen- oder Berufsgruppen vielfältige Aspekte der Epidemiologie der SARS-CoV-2 Pandemie, der Wirksamkeit und Wirkweise der Impfstoffe in verschiedenen Alters- und Risikogruppen und der Praktikabilität bei der Durchführung der Impfungen zu berücksichtigen. In Deutschland hat die Ständige Impfkommission (STIKO) den gesetzlichen Auftrag, auf der Basis der Zulassung des Impfstoffs Empfehlungen auszusprechen. Darüber hinaus finden sich im nationalen Pandemieplan vier Priorisierungsgruppen, die es für SARS-CoV-2 zu definieren gilt:

  1. Personen, die von einer Impfung besonders stark profitieren (z. B. ältere Bevölkerungsgruppen)
  2. Personen, die häufig Kontakt zu besonders vulnerablen Personen haben (z. B. medizinisches Personal in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern)
  3. Personen, die einen besonders großen Einfluss auf die Viruszirkulation haben (z. B. Altersgruppen mit besonders hohen Infektionsraten wie gegenwärtig die 20-39 jährigen)
  4. Personen, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oder der staatlichen Infrastruktur erforderlich sind

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Grad der Immunität: Wie wirksam muss der Impfstoff sein?

Im Folgenden werden wichtige virologische Aspekte beleuchtet, die bei der Priorisierung in Betracht gezogen werden sollten.

Ziel von Impfungen aus der Sicht des Einzelnen ist der Schutz vor der Erkrankung, die ein Erreger verursacht. Idealerweise induziert der Impfstoff eine Immunität, die die Infektion mit dem Erreger vollständig verhindert und die Übertragungskette unterbricht. Ein Schutz vor Erkrankung kann aber auch dadurch erreicht werden, dass die Virusausbreitung in der geimpften Person reduziert, aber nicht komplett verhindert wird. In diesem Fall ist die Übertragung weniger wahrscheinlich, aber nicht vollständig unterbunden. Da derzeit eine Vielzahl verschiedener Impfstoffklassen auf Verträglichkeit und Wirksamkeit überprüft werden und sich die Wirkweise von Impfstoff zu Impfstoff unterscheiden kann, ist eine differenzierte Betrachtungsweise erforderlich. Je nachdem, auf welchem Weg zukünftige COVID-19 Impfstoffe zum Schutz führen, könnten sich auch deren optimale Anwendungsbereiche unterscheiden. Die bevorzugte Impfung von Personengruppen, die einen besonders großen Einfluss auf die Viruszirkulation haben, macht nur Sinn, wenn die Impfung die weitere Ausbreitung effizient verhindert und nicht nur den Schweregrad der Infektion mindert. Bei der aktuellen Pandemie ist es außerdem schwierig, diese Personengruppe zu definieren, da ein beträchtlicher Teil der Infektionen auf „Superspreader“ zurückzuführen sein könnte, welche im Vorfeld nicht identifiziert werden können. Eine aktuelle, aber noch nicht wissenschaftlich begutachtete Computermodellierung zum größtmöglichen Nutzen begrenzt verfügbarer COVID-19 Impfstoffe kommt zu dem Ergebnis, dass eine solche Priorisierung nur dann vorteilhaft ist, wenn ausreichend Dosen eines sehr wirksamen Impfstoffes zur Verfügung stehen, um einen großen Anteil der entsprechenden Personengruppen zu impfen. Unter allen anderen Modellierungsannahmen war die direkte Impfung der vulnerablen Personengruppen von größerem Nutzen.

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Senioren impfen - oder lieber deren Angehörige und Pfleger?

Ein hohes Lebensalter ist bei der SARS-CoV-2 Infektion der häufigste und vermutlich wichtigste bisher bekannte Risikofaktor für intensiv-pflichtige oder tödliche Krankheitsverläufe. Aber auch andere Erkrankungen in allen Lebensaltersbereichen können das Risiko für schwere Verläufe erhöhen. Daher ist es wichtig die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe gerade auch bei älteren Personen und weiteren Risikogruppen zu überprüfen. Bei geringer Wirksamkeit der Impfung in Risikogruppen (z.B. Hochbetagte) mag es effizienter sein, anstelle der besonders gefährdeten Personengruppen nahe Kontaktpersonen, wie betreuende Angehörige oder Pflegepersonal zu impfen, so dass diese als Überträger der Erkrankung ausscheiden. Auch hier ist Voraussetzung, dass die Impfung die SARS-CoV-2 Infektion und nicht nur die Krankheitssymptome verhindert. Für die Impfung im Rahmen einer solchen Kokon-Strategie kommt insbesondere auch medizinisches Personal in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser in Betracht.

Die Impfung von medizinischem Personal kann auch zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgungsstrukturen erforderlich sein. Erfahrungen aus Norditalien und New York belegen bei hohen Infektionsraten eine Überlastung der Versorgungsstrukturen, die durch COVID-19 Erkrankungen des Personals zusätzlich verschärft werden. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder staatlicher Infrastruktur außerhalb des Gesundheitswesen erscheint jedoch unwahrscheinlich, da der Prozentsatz gleichzeitig an COVID-19 Erkrankter auf Grund des in der Altersgruppe der Berufstätigen meist milden Verlaufes niedrig ist.

Die Rate der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 unterscheidet sich beträchtlich von Bundesland zu Bundesland und auch innerhalb der Bundesländer nach Regionen. Der bestmögliche Nutzen für die Gesamtgesellschaft könnte daher möglicherweise erreicht werden, wenn die Impfstoff-Verteilung auch regionale Fallzahlen berücksichtigen würde. Allerdings dürfte es sehr schwierig sein, ein solches Vorgehen bei der Priorisierung politisch umzusetzen.

Innerhalb kurzer Zeit Millionen von Impfstoffdosen gezielt nach noch zu definierenden Priorisierungskriterien zu verabreichen, ist auch logistisch eine Herausforderung. Je nach Art des zugelassenen Impfstoffs könnten Kühlketten benötigt werden oder nur Reihenimpfungen möglich sein, da auf Grund von Engpässen beim Abfüllen die Impfstoffe nur in Gebinden mit 50 oder 100 Impfdosen bereitgestellt werden könnten.

Die hohe Geschwindigkeit der Impfstoffentwicklung birgt jedoch eine Reihe von Risiken, auf die die GfV gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Immunologie bereits hingewiesen hat. Eine rasche und breitflächige Anwendung eines Impfstoffes erhöht trotz größtmöglicher Sorgfalt das Risiko, dass seltene und spät nach Impfung auftretende Nebenwirkungen zunächst unerkannt bleiben. Da die meisten Impf-assoziierten Nebenwirkungen innerhalb der ersten Wochen nach Impfung auftreten, kann eine Risiko-Nutzen-Abwägung eine rasche breitflächige Anwendung rechtfertigen. In diesem Fall ist es aber dringend erforderlich, die Wirksamkeit und Sicherheit der COVID-19 Impfungen zeitgleich zur Einführung in prospektiven Studien zu überwachen.

Auch wenn die vorliegende Stellungnahme viele offene Fragen und Schwierigkeiten aufzeigt, bleiben Impfungen der vielversprechendste Ansatz, die Anzahl der schweren Krankheitsverläufe und Todesfälle drastisch zu reduzieren und, abhängig von der Wirksamkeit des Impfstoffs, auch die Virusausbreitung zu vermindern. Damit wird mittelfristig ein Leben mit weniger COVID-19 bedingten Einschränkungen ermöglicht.

Fazit

Auf Grund der bisher vorliegenden Studienergebnisse erscheint die Entwicklung von COVID-19 Impfstoffen aussichtsreich. Daher gilt es deren Einführung auf allen Ebenen trotz vieler Ungewissheiten jetzt planerisch vorzubereiten. Dies muss die Aufklärung zur Wirksamkeit und Sicherheit von COVID-19 Impfstoffen ebenso einschließen, wie eine transparente und allgemein akzeptierte Entscheidungsfindung zur bevorzugten Impfung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Da für die Impfstoffe nur kurze Nachbeobachtungszeiten vorliegen, muss die Einführung der Impfung von wissenschaftlichen Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit der Impfstoffe anhaltend begleitet werden.


Quelle: Gesellschaft für Virologie (GfV)

09.10.2020

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