Quelle: conhIT
Artikel • Körperdatenplattformen
Bring-your-own-device in die Arztpraxis
Viele Smartphones verfügen mittlerweile über Sensoren wie Schrittzähler und Pulsmesser. Mit den Wearables drängt eine neue Geräteklasse in sensible Bereiche der Benutzer ein: Permanent am Körper getragen und ‚always on‘, sorgen diese für einen stetigen Datenstrom. In ihrem Vortrag „Vom Sensor zur Körperdatenplattform - Technische Konzepte zur online-Bereitstellung von Gesundheitsdaten" thematisierte Monika Pobiruchin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am GECKO Institut für Medizin, Informatik und Ökonomie der Hochschule Heilbronn, das Spannungsfeld zwischen innovativer Technik, unwissenden Nutzern und der trägen Gesetzgebung.
Bericht: Sascha Keutel
Es gibt verschiedene Typen von Körperdatenplattformen. Da sind zum einen Schnittstellen wie ‚Google Fit‘ und ‚Apple Health Kit‘ zu nennen. Solche Plattformen werden von Entwicklern und Unternehmen genutzt, um die eigenen Produkte darauf laufen zu lassen (beispielsweise Tracking-Apps).
Plattformen wie ‚dacadoo‘ gehen einen Schritt weiter. Denn bei dieser geht es nicht nur um die reine Fitness - also um das Tracking der Länge der Laufstrecke, der verbrannten Kalorien und der Höhe des Pulses. „Vielmehr geht dies in Richtung Fitness- und Gesundheitsplattform. Dort kann sich der Nutzer einen sogenannten ‚Health Score‘ berechnen lassen, der zwischen 0-1000 liegt und aussagt, wie gesund er oder sie ist“, beschreibt Monika Pobiruchin das Konzept der Plattform.
Einen völlig anderen Ansatz verfolgt das EU-geförderte Forschungsprojekt ‚DAPHNE‘. Hier wird aus wissenschaftlicher Sicht versucht, Wearables bzw. verschiedene Device-Klassen einzubinden, Daten aufzuzeichnen und darzustellen. Dabei stehen die Aspekte ‚sichere Datenhaltung und Datenschutz‘ im Vordergrund.
Ethische und rechtliche Implikationen
Bei Gesundheitsdaten handelt es sich um besonders schützenswerte personenbezogene Daten. Aktuell scheint allerdings jeder Dritte bereit sein, diese gegen Boni, Gutscheine oder andere Vergünstigungen zur Verfügung zu stellen. Zu Recht ist daher die Frage erlaubt: „Wozu Daten schützen, wenn der Patient sie selbst ins Netz stellt?". Die Medizininformatikerin sieht darin zunächst kein Problem: „Grundsätzlich finde ich das toll, dass die Bürger das tun. Es steht jedem Bürger frei, seine Daten ins Netz zu stellen.“
Die Vorteile der Nutzung von Wearables, Apps und Smartphones liegen auf der Hand: Warum soll ein Patient ein Symptom-Tagebuch auf Papier führen, wenn er das Gleiche mit dem Smartphone erledigen kann, das er ohnehin stets bei sich trägt? Ebenso kann jeder seine Notfallkontakte über eine App zur Verfügung stellen, so dass diese bei Bedarf abgerufen werden können. Darüber hinaus kann der Patient seine Daten direkt dem Arzt zeigen, in dem er das Smartphone vorlegt und sagt: ‚Hier schau mal. Ich habe meinen Blutdruck und meinen Puls gemessen. Was sagst Du denn dazu?‘.
Bei diesem Szenario zeige sich aber auch die Kehrseite, da es nicht sicher ist, ob der Arzt diese Daten überhaupt akzeptiere: „Messdaten, die mit Smartphones oder Wearables erhoben worden sind, genießen nicht dasselbe Vertrauen wie beispielsweise ein Blutdruckmessgerät in der Arztpraxis“, erklärt Pobiruchin. Und noch eine Gefahr hat die Expertin im Auge, denn viele Nutzer wüssten gar nicht, was genau mit ihren Daten passiere und wo diese landeten: „Den Nutzern fehlt vielfach das fachliche Wissen, da diese technische Entwicklung vor fünf, sechs Jahren nicht abzusehen war. Die meisten haben eine völlig andere Vorstellung davon, was mit den Daten machbar oder nicht machbar ist.“
Laut Pobiruchin müssen hier vor allem rechtliche Implikationen berücksichtigt werden: „Ein deutscher Anbieter einer Fitness-App, der die Daten seiner Kunden in einer Cloud-Storage eines Drittanbieters speichern möchte, darf dies eigentlich nur, wenn er einen Vertrag zur Auftragsdatenverarbeitung mit dem Drittanbieter abgeschlossen hat. Doch die entscheidende Frage ist: Wo ist der Sitz des Drittanbieters und welche Datenschutzrechte gelten dort? In den USA beispielsweise ist der Umgang mit dem Datenschutz ein anderer als in Deutschland oder in der EU. Hier gibt es also ein starkes Reibungsfeld zwischen der globalen Datenhaltung und der regionalen Gesetzgebung.
Auch weist die Fachfrau auf ethische Aspekte hin: „Durch den Zusammenschluss meiner zur Verfügung gestellten Daten mache ich mich identifizierbar. Was ist, wenn ich eine seltene Erkrankung oder eine seltene Blutgruppe habe? Selbst ohne meinen Namen anzugeben, kann ich potentiell aufgespürt werden. Doch was passiert, wenn diese Daten beispielsweise von Versicherungen weiterverarbeitet werden? Bekomme ich bei gesundheitsbewussten Verhalten einen Bonus oder werde ausgeschlossen, wenn dem nicht so ist?“
Diese Fragen beschäftigen die Forscherin, die sich daher eine intensive gesellschaftliche Diskussion zu dem Thema wünscht: „Die Informatik soll keine Ängste schüren, aber darüber aufklären, was mit Daten möglich ist und einen Dialog über den Umgang mit ihnen anstoßen. Einen solchen gesellschaftlichen Dialog haben wir bei den Smartphones verpasst. Diesen Fehler sollten wir bei den Wearables, die jetzt im Trend liegen, nicht wiederholen.“
PROFIL:
2010 erhielt Monika Pobiruchin ihr Diplom der Medizinischen Informatik an der Universität Heidelberg. Sie ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin am GECKO Institut für Medizin, Informatik und Ökonomie der Hochschule Heilbronn tätig. Gegenstand ihrer Doktorarbeit, die sie an der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg schreibt, ist die automatisierte Generierung von gesundheitsökonomischen Erkrankungsmodellen auf Basis von klinischen Routinedaten. 2014 war sie Mitinitiatorin der Projektgruppe Consumer Health Informatics innerhalb der GMDS e.V.
16.04.2015