Artikel • Atemluft-Diagnostik

Breathomics: mehr als nur heiße Luft

Bei der Diagnostik der Nase nachgehen: Auf der Medica sprachen Dr. Beniam Ghebremedhin und Dr. Simona Cristescu über Breathomics (von engl. breath = Atemluft) und ihre Anwendungsmöglichkeiten in der Diagnostik.

Bericht: Wolfgang Behrends

Bildquelle: Unsplash/Joanna Kosinska (Bearbeitung: HiE/Behrends)

Die Experten erklärten auf dem Labmed-Forum der Messe, wie das, was ein Patient ausatmet, Rückschlüsse auf Erkrankungen zulässt. 

Die Idee, anhand der Atemluft eines Patienten Erkrankungen zu diagnostizieren, ist nicht neu: Bereits in der Antike schlossen Mediziner bei süßlichem Atemgeruch auf Diabetes oder erkannten Funktionsstörungen der Leber am Fischgeruch ihrer Patienten. Breathomics funktioniert nach dem gleichen Prinzip, ist aber wesentlich ausgereifter und bietet eine differenzierte Diagnostik. Das Exhalat, also die Ausatemluft eines Menschen, besteht vor allem aus Stickstoff, Sauerstoff, Kohlendioxid, Argon und Wasserdampf. Nur in Spuren vorhanden, aber für die Atem-Diagnose von besonderer Bedeutung sind die sogenannten volatile organic compounds (VOC). Mehrere hundert bis tausend verschiedene Arten dieser flüchtigen organischen Verbindungen sind in der Atemluft enthalten, sie machen jedoch zum Teil nur Millionstel oder sogar Billionstel (parts per million/ppm beziehungsweise parts per billion/ppb) des Exhalats aus. In ihnen spiegelt sich jedoch der Wandel vom gesunden Menschen zum Erkrankten wider – bisweilen schon lange, bevor andere diagnostische Marker Hinweise darauf geben, dass etwas nicht stimmt.

Potenzial für Prognosen

portrait of beniam ghebremedhin
Dr. Beniam Ghebremedhin

Foto: HiE/Behrends

„Veränderungen im VOC-Profil eines Menschen haben großes Potenzial für die Früherkennung und können sogar prognostisch genutzt werden“, sagte Dr. Beniam Ghebremedhin, Experte für Mikrobiologie am Helios Universitätsklinikum Wuppertal. Ein großer Vorteil: Die Methode ist nicht-invasiv und bietet sich daher für den Einsatz bei Neugeborenen an, für die jede Blutabnahme ein Risiko bedeutet.

Zur Bestimmung der VOC haben sich mittlerweile mehrere Methoden auf Grundlage der Massenspektrometrie etabliert: Gas-Chromatographie (GC-MS), eNose oder Infrarot-Spektroskopie haben spezifische Vor- und Nachteile und eignen sich für verschiedene diagnostische Profile. Neben diesen Laborverfahren können Mediziner sogar auf den Geruchssinn von Hunden zurückgreifen, die beispielsweise Diabetes oder sogar Lungenkrebs in der Atemluft von Menschen erschnuppern können. „Da hierfür ein langes und aufwändiges Training nötig ist, ist diese Technik kaum massentauglich,“ gab der Experte zu bedenken.

Viel Vorbereitung, wenige gemeinsame Nenner

Doch auch für die anderen Messverfahren ist einiges an Aufwand nötig: Die Atemluftproben müssen vorher angereichert werden, damit die enthaltenen VOC überhaupt erfasst werden können. Dazu stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung, von der Festphasenmikroextraktion (solid phase microextraction, SPME) über die Thermal-Desorption bis hin zu Needle-Trap-Techniken, die je nach Untersuchung eigene Vor- und Nachteile bieten. Ist dieser Schritt vollzogen, erfolgt die Analyse der gewonnenen Daten zur Bestimmung der jeweiligen Pathologie.

Die große Zahl der Anreicherungs- und Bestimmungsverfahren deckt zwar eine große Bandbreite an erkennbaren Erkrankungen ab. Gleichzeitig ist diese Stärke jedoch einer der Schwachpunkte von Breathomics, denn es fehlt bislang eine Standardisierung, die die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ermöglicht, sagte Ghebremedhin. „Momentan haben wir nicht einmal eine einheitliche Sprache – zum Beispiel gibt es keine verbindliche Definition für grundlegende Elemente wie die verschiedenen Phasen der exspiratorischen Atemluft.“

Ein flüchtiger Fingerabdruck, der viel verrät

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Dr. Simona Cristescu
Quelle: Radboud-Universität Nimwegen

Wie nützlich der richtige Riecher sein kann, machte im Anschluss auch Dr. Simona Cristescu von der Radboud-Universität Nimwegen deutlich. „Viele Erkrankungen folgen einem spezifischen metabolischen Zeitplan“, erklärte die Expertin der ‚Exhaled Biomarkers Group‘ an der Abteilung für molekulare und Laserphysik und nannte ein praktisches Beispiel: „Eine Infektion mit Pseudomonas aeroginosa geht in aller Regel mit der Produktion von Cyanwasserstoff (HCN) und Ammoniak (NH3) einher. Beide lassen sich als flüchtige Bestandteile in der Atemluft des Patienten nachweisen. Allerdings werden nicht beide Stoffe zur gleichen Zeit produziert – wenn wir also eine Verringerung des HCN-Anteils im Exhalat bemerken, und zugleich die NH3-Konzentration ansteigt, können wir daraus schließen, dass die Infektion in eine neue Phase eingetreten ist, und die Behandlung entsprechend anpassen.“ Auf ähnliche Weise gibt der chemische VOC-Fingerabdruck nicht nur Informationen über die Art, sondern auch das Fortschreiten verschiedener Erkrankungen preis. Sogar die Wechselwirkung mehrerer Erreger in einer polymikrobialen Umgebung lässt sich so nachvollziehen.

Unterm Strich sehen die Experten in Breathomics ein spannendes diagnostisches Werkzeug mit vielversprechenden Ansätzen und erheblichem Potenzial – bis dieses wirklich genutzt werden kann, müssen jedoch noch einige Hürden genommen werden.


Profile:

Priv.-Doz. Dr. med. Beniam Ghebremedhin ist Dozent an der Universität Witten/Herdecke, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, Biochemiker und Facharzt für Labormedizin am Helios Universitätsklinikum Wuppertal. Seine Forschungsschwerpunkte befassen sich mit der molekularen Epidemiologie multiresistenter Erreger, insbesondere im klinischen Umfeld, und der Entwicklung/Etablierung neuer Tools für die Infektionsdiagnostik. Er ist Mitglied mehrerer Fachgesellschaften, darunter die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM), Deutsche Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin (DGKL), die European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID) sowie die American Society of Microbiology (ASM).

Dr. Simona Cristescu ist Assistant Professor an der Radboud-Universität Nimwegen (NL). Als Mitglied der ‚Exhaled Biomarkers Group‘ befasst sie sich mit der Zusammensetzung organischer Verbindungen in der Atemluft und deren Bedeutung für die Diagnostik und das Therapie-Monitoring. Sie ist Mitglied mehrerer Fachgesellschaften, unter anderem der European Respiratory Society (ERS) sowie der International Association of Breath Research (IABR).

27.02.2020

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