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Interview • Medizin 4.0
Blockchains: Noch gibt es keine Killer-Applikation
Blockchain ist derzeit ein heiß diskutiertes Thema und viele Experten prognostizieren enorme Auswirkungen dieser Technologie auf die Gesundheitssysteme. Einer der Blockchains eher skeptisch sieht, ist Prof. Dr.-Ing. Christoph M. Friedrich, Professor für die Lehrgebiete Informatik und Biomedizinische Informatik an der Fachhochschule Dortmund: „Zwar bringt die Beschäftigung mit der Blockchain neue Kreativität in die Diskussion um IT-Systeme im Gesundheitswesen, doch gibt es bereits viele etablierte Alternativen, mit deren Hilfe Anwendungen ohne Blockchains einfacher implementiert werden können.“
Herr Prof. Friedrich, viele verbinden mit dem Begriff Blockchain hauptsächlich Bitcoins und andere Crypto-Währungen. Können Sie uns kurz erklären, was eine Blockchain überhaupt ist?
Blockchain-Systeme sind verteilte, unveränderliche Datenspeicher, die aus verketteten Datenblöcken bestehen. In diesen können Transaktionen von Gütern (engl. assets) protokolliert werden. Güter können beispielsweise eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der Zugangsschlüssel für den Zugriff auf Patientendaten oder eben eine Kryptowährung sein.
Man unterscheidet zwischen öffentlichen und privaten Blockchains. Bei öffentlichen, wie z. B. der Bitcoin Blockchain, muss kein Vertrauen in einzelne Teilnehmer vorhanden sein, diese bleiben relativ anonym und die Korrektheit der Transaktionen (die Konten sind gedeckt) werden von vielen Teilnehmern des Netzwerks validiert. Hierfür gibt es einen sogenannten Konsensus-Mechanismus, bei vielen Kryptowährungen ist dies beispielsweise die Lösung eines sehr aufwändigen kryptographischen Puzzles, das unter dem Begriff Mining bekannt ist. Das Mining von Kryptowährungen ist durch den notwendigen Energieverbrauch in Verruf geraten. Schätzungen ergeben, dass der Energieverbrauch zur Aufrechterhaltung der Bitcoin-Infrastruktur dem Gesamtverbrauch an Strom von ganz Irland entspricht.
Für Fragestellungen im Gesundheitswesen sind private Blockchains wichtiger. Nicht jeder kann teilnehmen und die Teilnehmer dieser Netzwerkclubs müssen einander oder einer gewählten Autorität vertrauen, die für den Konsensus, also die Validität der Transaktionen sorgt. Letztere Form der Regulierung sind wir im Gesundheitswesen bereits gewohnt.
Welche Rolle kann oder soll Blockchain im Gesundheitssystem spielen?
Sie können hauptsächlich für notarielle Aufgaben, bei denen Manipulation vermieden werden sollen, eingesetzt werden. Allerdings muss der Aufwand bei der Errichtung und Pflege der Blockchain-Infrastruktur gegengerechnet werden. Für viele der Fragestellungen gibt es etablierte Techniken, die weniger komplex sind. Datenmanipulationen können beispielsweise durch die Nutzung kryptographischer Signaturen erkannt werden, die auch bei den Blockchains verwendet werden. Auch ist die verteilte Datenhaltung mit modernen Datenbanken möglich.
Derzeit gibt es viele Ideen und Ankündigungen, Prototypen sind selten und Systeme, die bereits im Routinebetrieb laufen, gibt es gar keine. Die Radiologie arbeitet daran, mit Blockchain den anonymisierten Austausch von Bilddaten (z. B. CT oder MRT) in größeren Klinikverbünden zu organisieren. Weitere Konzeptbeschreibungen skizzieren die Verwaltung von Informationen zu Transplantationen, Einwilligungserklärungen zu Studien oder Rezepten für Betäubungsmittel. Auch an Echtheitsprüfungen von Medikamenten oder der Verfolgung von medizinischen Geräten wird geforscht.
Auch die Nutzung sogenannter Smart Contracts ist ein Vorschlag: Dies sind kleine Programme, die bei Transaktionen zusätzlich ausgelöst werden können und Arbeitsabläufe optimieren. Gerade deren Nutzung ist auch unabhängig von Blockchains in der IT einsetzbar.
Ich hege die Hoffnung, dass unabhängig vom Hype um die Blockchain-Technologie die Beschäftigung mit all diesen Fragestellungen kreative und moderne Ideen für die Verbesserung der IT-Systeme im Gesundheitswesen liefert. Die Modernisierung der IT-Systeme steht auf der Tagesordnung, doch eine eigentliche Killer-Applikation, die den Durchbruch bringen kann, gibt es noch nicht.
Welche Auswirkungen hat die Nutzung von Blockchains auf die Patienten?
Ein Versprechen ist die bessere Überprüfbarkeit der Behandlung und die Vermeidung von Manipulationen. In einer Studie aus dem Jahr 2013 über Manipulationen im Gesundheitswesen stellte sich heraus, dass Patienteneinwilligungen und -berichte am häufigsten manipuliert werden.
Ein weiteres Feld ist der Zugriff auf die eigenen Patientendaten, der die Kommunikation und die Adhärenz verbessern kann. Aber auch hier sind Systeme ohne Blockchains, wie beispielsweise die Smartphone App „Vivy“ der einfachere Weg. Die Anbieter müssen allerdings die Sicherheit der Anwendungen im Blick haben, um nicht das Vertrauen der Nutzer zu verlieren. Hier habe ich aufgrund von Studien meiner Arbeitsgruppe über die Sicherheit von mHealth Apps in Deutschland meine Zweifel.
Es gibt ein schönes mathematisches Theorem aus dem Bereich der Optimierung: das „No Free Lunch“ Theorem. Auch bei Blockchains wird nichts verschenkt, es gibt nicht nur Vorteile. Die Implementierungen sind komplexer und es ist aktuell schwer, qualifiziertes Personal für solche Projekte zu gewinnen. Manipulationssicherheit hört sich wie ein klarer Vorteil an, kann jedoch zum Nachteil werden. Ist solch eine Vorgehensweise mit der DSGVO vereinbar? Es muss möglich sein, fehlerhafte Daten zu korrigieren oder zu löschen, wenn der Patient dies verlangt. Die historischen Daten in einer öffentlichen Blockchain sind aber nicht löschbar. Die Abhängigkeit von großen vernetzten Infrastrukturen kann auch dann fatal werden, wenn ein Bagger die Netzwerkverbindung zerstört. Protokolländerungen sind in Blockchain-Systemen schwieriger zu handhaben als in klassischen verteilten Datenbanksystemen.
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Ist die Blockchain-Technologie der Schlüssel, um das Cybersecurity-Problem zu lösen?
Blockchains erlauben das verteilte und unveränderliche Speichern von Daten. Falls dies auch redundant geschieht, verringern Blockchains die Anfälligkeit für Angriffe mit Ransomware (Verschlüsselung von Daten und Erpressung), da die Daten jederzeit aus dem verteilten System rekonstruiert werden können. Die redundante Speicherung verursacht Kosten für die vielfache Speicherung, die auch in Backupsysteme investiert werden könnten. Viele andere Cybersecurity-Probleme wie beispielsweise Denial-of-Service-Attacken können mit Blockchains nicht gelöst werden, die Angriffsfläche wird im Gegenteil größer. In Summe glaube ich, dass zur Lösung von Cybersecurity-Problemen die Ausbildung der Mitarbeiter und die Investition in IT-Infrastruktur der richtige Weg ist.
Profil:
Prof. Dr.-Ing. Christoph M. Friedrich ist seit 2013 Professor für die Lehrgebiete Informatik und Biomedizinische Informatik an der Fachhochschule Dortmund und seit kurzem auch am Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE) am Universitätsklinikum Essen tätig. Seine Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen in der Medizinstatistik sowie im maschinellen Lernen, aber auch in der Bildverarbeitung und der virtuellen Realität.
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