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Artikel • Corona-Management in Taiwan
Als geschlossene Einheit gegen COVID-19
Trotz der unmittelbaren Nähe zu China ist es Taiwan gelungen, der COVID-19-Pandemie erfolgreich zu trotzen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern wurden keine Ausgangs- oder Kontaktsperren verhängt, dennoch gibt es kaum noch Neuerkrankungen, das öffentliche Leben verläuft annähernd in normalen Bahnen. Hinter den Kulissen wird viel unternommen, damit das auch so bleibt. Im Interview verraten die ärztlichen Leiter des Taipei Medical University Hospital (TMUH), einem 727-Betten-Haus in der taiwanischen Hauptstadt, wie sich das Coronavirus auf die klinischen Abläufe auswirkt.
Bericht: Wolfgang Behrends
„Die tägliche Routine in unserem Krankenhaus hat sich durch COVID-19 komplett verändert“, berichtet Superintendent Dr. Ray-Jade Chen. Tatsächlich beginnen die Maßnahmen zum Infektionsschutz bereits vor den Kliniktüren: Mit einer Ausnahme wurden alle Besuchereingänge geschlossen. Wer das Krankenhaus betreten möchte, muss am verbleibenden Eingang eine mehrstufige Kontrolle durchlaufen. Da Fieber ein Hauptsymptom der Corona-Erkrankung ist, wird die Körpertemperatur per Infrarot-Detektor gemessen, zudem muss sich jeder dem sogenannten TOCC-Check unterziehen, bei dem Reisetätigkeit, Beruf und Kontaktpersonen angegeben werden. Hier kommt den Klinikbetreibern die hochentwickelte digitale Infrastruktur des taiwanischen Gesundheitswesens zugute, denn über die Krankenkarte, die jeder Bürger besitzt, werden die notwendigen Daten schnell an einem Scanner erfasst.
Mit Ausnahme der Behandlung von Corona-Patienten wurden die Klinikabläufe auf ein Minimum heruntergefahren. Elektive Eingriffe finden derzeit nicht statt, Mindestabstände zwischen den Patienten werden streng eingehalten. Um unnötige Wartezeiten in der Klinik und damit nosokomiale Infektionen zu vermeiden, werden Patienten per Push-Nachricht auf ihr Smartphone an ihre Termine erinnert.
Im Zweifel ist jeder COVID-Patient
Der Infektionsgefahr begegnet das Klinikum mit strengen Vorsichtsmaßnahmen: „Jeder Patient mit Fieber oder respiratorischen Symptomen wird zunächst als potentieller COVID-Patient betrachtet“, sagt Dr. Chen. In dieser Politik sieht der Superintendent den entscheidenden Faktor zum Erfolg Taiwans bei der Bekämpfung des Coronavirus. Tatsächlich weist der Inselstaat im Vergleich zu vielen seiner Nachbarländer sehr geringe Fallzahlen und COVID-bedingte Todesfälle auf.
Für die Diagnostik setzt das Klinikum auf RT-PCR-Tests (Reverse-Transkriptase-Polymerase-Kettenreaktion), erklärt Dr. Li-Yuan Chen, Infektionsexperte des Klinikums. „Dieses Verfahren hat eine hohe Spezifität und ist daher geeignet, COVID-19-Infektionen von anderen Krankheitsbildern mit ähnlicher Symptomatik zu unterscheiden.“ In unklaren Fällen wird der Befund mithilfe der Computertomographie abgeklärt. Die CT-Bildgebung kommt darüber hinaus bei der Verlaufskontrolle zum Einsatz.
Besteht ein begründeter Verdacht auf eine Infektion, werden Patienten auf eine gesonderte Station verlegt. Ein wichtiger Bestandteil der Corona-Strategie ist die ausreichende Verfügbarkeit der Isolierungsbetten, erläutert, der leitende Pneumologe des Klinikums, Dr. Pai-Chien Chou. Um Patienten und Klinikpersonal zusätzlich zu schützen, erfolgt die Unterbringung von COVID-Erkrankten nach Schweregraden getrennt.
Behandelt wird mit dem Malaria-Medikament Hydroxychloroquin, das in verschiedenen Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt hat, da es entzündungshemmend wirkt und die Vermehrung des Virus behindert. In schweren Fällen wird die Therapie ergänzt durch Gabe des HIV-Medikaments Lopinavir, des Makrolidantibiotikums Azithromycin und Beta-Interferon.
Konsequenter Kurs und Akribie zahlen sich aus
Um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, hat das Klinikmanagement ein ausgefeiltes System an Arbeitsbereichen und -wegen etabliert, das unnötigen räumlichen Kontakt verhindert. So kreuzen sich die Wege von Labormedizinern, Radiologen und Pflegekräften nicht, auch der Transport von Verbrauchsmaterialien zur Entsorgung oder Aufbereitung erfolgt auf separaten Routen, um das Risiko von Kontamination gering zu halten. Zudem durchlaufen die Mitarbeiter vor dem Kontakt mit COVID-Patienten eine Prozedur mit mehr als einem Dutzend Einzelschritten, die akribisch überwacht werden – diese Sorgfalt macht sich bezahlt: „Bislang hatten wir noch keine Infektion bei unserem Personal“, stellt Superintendent Chen mit sichtlichem Stolz fest. „Für den Fall, dass sich trotz aller Maßnahmen ein Mitarbeiter anstecken sollte, sind wir natürlich vorbereitet und treffen alle Vorkehrungen, um eine weitere Verbreitung in der Klinik zu verhindern“, ergänzt Infektionsexperte Dr. Chen.
Bildquelle: Taipei Medical University Hospital
„Glücklicherweise ist die Infektionsrate in Taiwan sehr gering“, sagt Dr. Po-Li Wei, stellvertretender Superintendent. „Das haben wir zu einem großen Teil unserer Regierung zu verdanken, die sehr früh effektive Maßnahmen zur Eindämmung des Virus ergriffen hat.“ Diese hatte mit dem Nationalen Gesundheits-Kommandozentrum (NHCC) bereits nach der SARS-Epidemie 2003 eine zentrale Institution etabliert, die auch bei der aktuellen Pandemie die Federführung übernimmt. Das NHCC koordiniert beispielsweise die Produktion und Verteilung persönlicher Schutzausrüstung wie Schutzmasken, um möglichen Engpässen vorzubeugen. Durch digitales Tracking können Kontaktpersonen von Erkrankten schnell identifiziert und gewarnt werden, bevor sie die Infektion weiterverbreiten.
Alle ziehen an einem Strang
Jeder unserer Mitarbeiter, vom Techniker bis zur Reinigungskraft, wird ausführlich informiert, wie er sich und andere vor dem Coronavirus schützen kann
Ray-Jade Chen
Als wichtigstes Instrument im Kampf gegen das Virus sieht Dr. Chen neben Diagnostik und Therapie die Aufklärung: „Wir tragen als Klinikum eine große Verantwortung und stellen uns dieser Herausforderung als untrennbare Einheit. Wir schulen daher nicht nur unser medizinisches Personal, wie sie sich richtig desinfizieren, Schutzausrüstung an- und ablegen oder mit Patienten umgehen sollten. Jeder unserer Mitarbeiter, vom Techniker bis zur Reinigungskraft, wird ausführlich informiert, wie er sich und andere vor dem Coronavirus schützen kann“.
„Unsere Angestellten sind verunsichert, weil viele Fragen über das neue Virus noch offen sind. Das nehmen wir ernst und sorgen dafür, dass sich alle auf dem Laufenden sind und sich und geschützt fühlen können“, betont der Superintendent. „Nur so können wir sicherstellen, dass wir unsere Aufgaben zum Wohl der Bevölkerung zuverlässig wahrnehmen können.“ In dieser Hinsicht habe Taiwan viel aus der SARS-Epidemie vor knapp 20 Jahren gelernt.
„Im Moment kann niemand vorhersagen, wie lange diese Ausnahmesituation andauern wird“, fasst der Superintendent zusammen. Auch der Blick auf andere Länder ist wichtig, um die Entwicklung umfassend zu verfolgen. „Die ganze Welt arbeitet mit Hochdruck daran, Medikamente und Impfstoffe gegen das Coronavirus und COVID-19 zu finden. Dieses globale Gemeinschaftsgefühl hat viele Forschungskooperationen und einen fruchtbaren Ideenaustausch über Ländergrenzen hinweg hervorgebracht. Wir sind überzeugt, dass dies der richtige Weg ist – gemeinsam werden wir einen Weg aus der Pandemie finden.“
Die COVID-19-Pandemie wird auch auf der Fachmesse Medical Taiwan ein zentrales Thema sein. Die Veranstaltung, die vom 15. bis 17. Oktober im Taipei Nangang Exhibition Center stattfinden wird, befasst sich ausführlich mit Diagnostik, Therapie und Prävention der Coronavirus-Erkrankung. Weitere Informationen zu Medical Taiwan 2020 sind im folgenden Beitrag zu finden:
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16.06.2020