Biobanken
Zufallsbefunde: Weder zufällig noch unerwartet
Biobanken sind Sammlungen von Proben menschlicher Körpersubstanzen (z.B. Gewebe, Zellen, DNA, Proteine, Blut oder andere Körperflüssigkeiten), verbunden mit Daten und Informationen über die Spender. Biobanken eignen sich gut für großangelegte Populationsstudien, um beispielsweise die Entstehung bestimmter Krankheiten besser zu verstehen und um Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung zu verbessern.
Artikel: Michael Krassnitzer
„Biobanken sollten auch radiologische Bilddaten miteinbeziehen“, fordert Prof. Dr. Ritva Vanninen vom Department of Clinic Radiology des Kuopio University Hospital der University of Easter Finland. Denn schließlich enthalten auch radiologische Bilddaten messbare Parameter mit prognostischer oder diagnostischer Aussagekraft: „Hochqualitative Bilddaten und deren Interpretation durch Radiologen können einen wichtigen Beitrag zur biomedizinischen Forschung leisten“, sagt Vanninen: „Und umgekehrt werden Imaging-Biomarker durch ihre Verwendung in der Forschung validiert.“
In den Mitgliedsstaaten der European Society of Radiology (ESR) gibt es insgesamt 27 Biobanken, die radiologische Bilder beinhalten (Stand 2014). Zu den größten gehörten die britische UK Biobank mit 500.000 Teilnehmern und die Datensammlung der deutschen NAKO-Gesundheitsstudie (engl.: German National Cohort, GNC) mit 200.000 Teilnehmern. Kleinere Biobanken wurden etwa im Zuge der niederländischen Rotterdam-Studie (rund 15.000 Teilnehmer) oder der deutschen SHIP-Studie (rund 8.700 Teilnehmer) angelegt.
Sowohl die UK Biobank als auch die NAKO stellen ihre Daten auf Ansuchen zu Forschungszwecken zur Verfügung und bilden damit die Grundlage für zahllose wissenschaftliche Untersuchungen. Auch moderne digitale Methoden der Informationsgewinnung – Stichwort Radiomics und maschinelles Lernen – könnten in Zukunft zur Analyse der Biobanken herangezogen werden. Doch Biobanken sind nicht nur ein Quell der Erkenntnis, sondern werfen auch ethische Probleme auf: Im Rahmen der Erhebungen, die eigentlich nur dem Zweck dienen, den Zusammenhang zwischen Risikofaktoren und Krankheiten besser zu verstehen und Krankheitsverläufe besser einschätzen zu können, kommt es oft zu Zufallsbefunden (incidental findings). Wie man damit umgeht, erläuterte Prof. Dr. Sabine Weckbach, Oberärztin an der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Heidelberg, auf einer Session am 29. European Congress of Radiology (ECR 2017), der von 1. bis 5. März in Wien stattfand.
Weckbach gehört zu jenen Radiologen, die die MRT-Bilder, die im Rahmen der NAKO angefertigt werden, auswerten. Die sogenannten Zufallsbefunde, die dabei auftreten, sind weder zufällig noch unerwartet. Bei Untersuchungen mit einem 3-Tesla-Gerät, wie sie für die NAKO vorgesehen ist, kommen zwangsweise zahlreiche unbeabsichtigte Befunde zustande. Dabei kann es sich um akute Erkrankungen handeln, aber auch um Diagnosen, die keinen Krankheitswert haben. „Das wirft eine Reihe von ethischen Fragen auf“, sagt Weckbach: Welche Befunde teilt man den Teilnehmern mit, welche nicht? In welcher Form werden die Befunde übermittelt? Schließlich will man die Teilnehmer mit falsch positiven Ergebnissen nicht verunsichern.
Jede Biobank bzw. jede große Populationsstudie geht anders mit diesen Fragen um. NAKO-Teilnehmer zum Beispiel werden je nach der Schwere des Zufallsbefundes schriftlich oder bei akuten Zufallsergebnissen auch am Telefon benachrichtigt. Welche Diagnosen berichtet werden, und welche nicht, ist in der NAKO genau festgeschrieben. Bei diesem Thema sieht die deutsche Radiologin noch viel Forschungsbedarf, da etwa die UK Biobank oder die SHIP-Studie das Management von incidental finding ganz anders handhaben. „Einen ethischen Goldstandard für den Umgang mit ,incidental findings‘ gibt es leider noch nicht“, bedauert Weckbach. „Wir müssen daran arbeiten, dass es zukünftig einheitliche Richtlinien und Empfehlungen für den Umgang mit Zufallsbefunden in populationsbasierten Studien gibt.“
PROFIL:
Prof. Dr. Sabine Weckbach ist Oberärztin der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Heidelberg und leitet den Imaging Core Incidental Findings der NAKO Gesundheitsstudie. Die Radiologin, die Humanmedizin an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München studierte, ist auf muskuloskelettale Radiologie spezialisiert und ist Mitglied des European Society of Radiology (ESR) Leadership Institutes.
22.05.2017