Unter Spannung

Ultrahochfeld-MRT: Teures Spielzeug oder wertvolles Werkzeug?

Seit mehr als 30 Jahren gewinnt die MRT als Bildgebungsmodalität stark an Verbreitung. Ausgehend von 0,5 Tesla als Feldstärke pegelte sich der Standard der Hochfeldbildgebung bei 1,5 Tesla ein, vor rund zehn Jahren startete dann der Einsatz von 3-Tesla-Geräten zur klinischen Diagnostik.

Prof. Dr. Oliver Speck
Prof. Dr. Oliver Speck

Diese Feldstärke wird heutzutage als Standard für die Hochfeld-MRT angesehen. Inzwischen finden in der humanmedizinischen Forschung Geräte mit 7T oder gar 9,4T Verwendung, in Europa bilden 4T die Obergrenze der Zulassung. In den USA ist sogar die Nutzung von 8T in der klinischen Praxis zulässig. Ganz aktuell werden Geräte mit 11,7T aufgebaut – handelt es sich hier um ein „Wettrennen um mehr PS“ oder aber um eine bahnbrechende Technologie, die vor dem Durchbruch steht?

Die MRT ist ein notorisch signalschwaches Verfahren – das Akkumulieren der Signale für ein hochaufgelöstes Bild erfordert lange Messzeiten. Das bringt Zeitbedarf bei der Gerätebelegung und bei den Personalressourcen und somit Kostenfaktoren mit sich. Patientenbewegungen hingegen führen während der langen Messzeiten oftmals zu Bewegungsunschärfen. Die im Vergleich zur Computertomographie langen Messzeiten und Unverträglichkeiten – zum Beispiel mit manchen Implantaten – erklären die nach wie vor geringe Verbreitung der MRT in der Akutversorgung.


Gründe für das Streben nach höheren Feldstärken
„Höhere Feldstärken versprechen verkürzte Messzeiten“, erklärt der habilitierte Medizinphysiker Dr. Oliver Speck. „Bei keinem der Pilotanwender steht das jedoch für den Einsatz dieser teuren Forschungsgeräte im Mittelpunkt. Statt der paar Minuten Zeitgewinn sehen wir den Vorteil in einem höheren Informationsgehalt: Wir nutzen die höhere Qualität und stärkere Aussagekraft der Bilder. So waren neurofunktionale Messungen die Haupttriebfeder für das zurückliegende erste Jahrzehnt der Ultrahochfeld-MRT“, so der Professor für Biophysik und Abteilungsleiter Biomedizinische Magnetresonanz, Fakultät für Naturwissenschaften, Institut für Experimentelle Physik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Die bildgebende Messung der Gehirnaktivierung hat die Neurowissenschaften revolutioniert: Den gesunden Probanden werden hierbei zum Beispiel Aufgaben gestellt, um festzustellen, welches Hirnareal beziehungsweise welche Neuronenpopulation zur Lösung dieser Aufgabe aktiviert wird.


Zeitliche gegenüber räumlichen Vorteilen
Elektrophysiologische Verfahren wie EEG und MEG ermöglichen die Messung elektrischer Aktivität des Gehirns vor allem in oberflächennahen Bereichen. Dabei ist die räumliche Lokalisierung geringer als etwa bei MRT oder CT, hingegen ist die zeitliche Auflösung hoch. Häufige Wiederholungen sind wegen der geringen Signalstärken vonnöten. Bei der MRT kehrt sich das um: Die räumliche Zuordnung ist sehr genau – unterhalb von 1 Millimeter, die zeitliche Auflösung ist jedoch aufgrund des BOLD-(„Blood Oxygenation Level Dependent“-)Effekts deutlich geringer.

Prof. Dr. Speck fasst das Bildgebungsprinzip zusammen: „Die Blutversorgung wird in den aktivierten Arealen deutlich erhöht, wodurch der Blutsauerstoffgehalt steigt.“ Oxygeniertes und deoxygeniertes Hämoglobin haben unterschiedliche magnetische Eigenschaften, die das MRT-Signal modulieren. „Das Blut zeigt also in der Art eines endogenen Kontrastmittels an, ob Neuronen aktiver oder weniger aktiv sind“, beschreibt der Experte. Diese vaskuläre Antwort benötigt circa 2 bis 4 Sekunden, was zu entsprechenden Verzögerungen in der Visualisierung führt. Oftmals erfordert die MRT-Untersuchung keine oder nur wenige Wiederholungen – ein klarer Vorteil.


Der Einfluss auf Diagnose und Therapie
„Sensitivität steigt durch höhere Magnetfeldstärken – das ist eine wichtige Triebfeder für die Ultrahochfeld-MRT“, betont Prof. Dr. Speck. Nach den zahlreichen Forschungsstudien stellt man jetzt in den Labors zunehmend auch die Frage nach dem potenziellen klinischen Gewinn durch höhere Sensitivität, bessere Ortsauflösung und stärkeren Kontrast. Allerdings sind die Geräte in Europa nach wie vor nicht für die klinische Diagnostik zugelassen.
Um die qualitativen Vorteile in den wissenschaftlichen Untersuchungen zu nutzen, sind immer noch lange Messzeiten nötig. „Wir arbeiten in Magdeburg jetzt intensiv daran, die resultierenden Bewegungsunschärfen, etwa durch Atmung, zu korrigieren. Das geschieht durch ein permanentes Nachführen der Schichtposition innerhalb von Millisekunden während der Messung“, so der Experte. Durch das Ändern von Frequenzen und Gradienten erzielt das Magdeburger Team „nahezu gestochen scharfe Bilder“. Prof. Dr. Specks Team entwickelt innovative Hardware, Software und Methoden, Leistungen von Ingenieuren, Medizinphysikern und Grundlagenphysikern kommen hier zusammen.

So soll die höchstaufgelöste MRT in routineähnlichen Szenarien anwendbar werden, damit Patienten profitieren können – etwa bei der Untersuchung kleiner Kinder ohne die Notwendigkeit, sie zu sedieren. Das nächste anstehende Projekt des Magdeburger Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen fokussiert auf Parkinson-Patienten, bei denen Bewegung während der Untersuchungen eine besondere Herausforderung dargestellt.


Beispiele für therapeutische Vorteile
Der Informationsgewinn der funktionellen MRT wird nur langsam klinisch, etwa in der Neurochirurgie, zum Nutzen der Patienten eingesetzt, berichtet Prof. Dr. Speck. Er sieht zum Beispiel vielversprechende Möglichkeiten bei der Vermeidung des hochkomplexen WADA-Tests, einer selektiven, katheterbasierten Sedierung einer Hirnhälfte zur Lokalisierung des Sprachzentrums. Weiterhin kommen die Stärken der Ultrahochfeld-MRT insbesondere zur Lokalisation kleiner Zielstrukturen zum Tragen, beispielsweise zur Planung der Platzierung von Stimulationselektroden in der stereotaktischen Chirurgie.
Der Experte sieht einen weiteren vielversprechenden Bereich für die künftige klinische Anwendung: „Bildgebungsmarker könnten helfen, prognostisch-diagnostisch jene Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen zu selektieren, die am meisten von Therapien oder Vorsorge profitieren.“ Ältere Patienten, die Tests noch mit guten Ergebnissen durchführen, aber eine atypische Aktivierung von Hirnarealen aufweisen, lassen mit höherer Wahrscheinlichkeit schneller in ihrer Hirnleistung nach. Als Therapie können eine Exposition gegenüber neuen Eindrücken oder eine verstärkte physische Aktivität bei solchen Patienten mit kompensierenden Mechanismen und frühen Anzeichen den Verfall verlangsamen.


Technologie der Community näherbringen
Prof. Dr. Specks Team arbeitet mit Partnern aus der Psychologie und der Biologie sowie mit klinischen Kollegen zusammen – vor allem aus Magdeburg. Als Perspektive sieht der Experte, dass eine zu erhoffende EU-Zulassung dieser Geräte allgemein zu einer breiteren Anwendung führen kann. Bis dahin könnten künftig die sieben Ultrahochfeld-MRT in Deutschland im Rahmen einer verteilten Infrastruktur für Forschungsaktivitäten etwa zu Hirnstrukturen zur Verfügung gestellt werden: Teams ohne 7-Tesla-Geräte könnten so auf Open Access Facilities zugreifen. Der Aufwand – Einbindung der Ethikkommission, Entwicklung von Methoden und Prozeduren, Bereitstellen von Messzeiten und Personal – erfordert jedoch Koordination und externe Finanzierung. Anfragende Institute könnten Probanden mitbringen oder vor Ort rekrutieren. Ein maximaler Nutzen der Investitionen wäre somit für die Forschungs-Community erreichbar – ein Gedanke, der Prof. Dr. Speck sehr attraktiv erscheint. Aktuell ist die Ultrahochfeld-MRT somit ein leistungsfähiges Werkzeug für die Forschung, dessen Potenziale für die klinische Nutzung noch unklar sind. Sollte sich die EU zu einer Zulassung entscheiden, müssten die Leistungserbringer im nächsten Schritt mit der Kostenträgerseite investitionsgerechte Kostenerstattungen verhandeln.

 


PROFIL
Prof. Dr. rer. nat. habil. Oliver Speck studierte in Freiburg Physik. Nach der Promotion in Physik und MR-Physik habilitierte er in Medizinphysik. Nach einer wissenschaftlichen Tätigkeit am Harbor UCLA Research & Education Institute, Torrance, Kalifornien, arbeitete er als Forschungsdirektor der Röntgendiagnostik am Universitätsklinikum Freiburg. Seit Ende 2006 ist er Professor für Biophysik und Abteilungsleiter Biomedizinische Magnetresonanz, Fakultät für Naturwissenschaften, Institut für Experimentelle Physik an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Der Experte mit zahlreichen Auszeichnungen fungiert ferner als nationaler Koordinator für Bildgebung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und ist externes wissenschaftliches Mitglied am Leibniz-Institut für Neurobiologie in Magdeburg.

20.01.2015

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