Zur rechten Zeit am rechten Ort

Bei der Behandlung des akuten ischämischen Hirninfarkts ist die Zeit der größte Feind. Jede Minute der Minderversorgung mit Blut kann im Gehirn große Schäden anrichten. Wenn alle Stricke reißen – sprich, wenn das Zeitfenster für eine intravenöse Thrombolyse überschritten oder unklar ist oder auch in besonders schweren Fällen mit Verschlüssen der großen Hirnarterien – tritt das Sondereinsatzkommando der interventionellen Neuroradiologen auf den Plan.

Priv.-Doz. Dr. Gernot Schulte-Altedorneburg wurde 1968 in Hagen/Westf. geboren....
Priv.-Doz. Dr. Gernot Schulte-Altedorneburg wurde 1968 in Hagen/Westf. geboren. Seit April 2009 leitet er als Chefarzt das Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin, Klinikum München-Harlaching, Städtisches Klinikum München GmbH. Zuvor war er Leitender Oberarzt und ständiger Vertreter des Direktors am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1994 beschäftigt er sich wissenschaftlich und klinisch intensiv mit der Diagnostik und Therapie des ischämischen Schlaganfalls. Dr. Schulte-Altedorneburg ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Priv.-Doz. Dr. Gernot Schulte-Altedorneburg, Chefarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin am Klinikum Harlaching in München, stellt auf dem Bayerischen Röntgenkongress die Interventionstechniken bei der Schlaganfalltherapie vor.

Etwa 1.200 Schlaganfallpatienten aus München und den ländlichen Gebieten Süd-Ost-Bayerns werden im Interdisziplinären Neurozentrum am Klinikum Harlaching im Jahr behandelt. Jeder Therapieentscheidung, die von dem interdisziplinären Team bestehend aus Neurologen, Neuroradiologen, Neurochirurgen und Anästhesisten gemeinsam getroffen wird, liegt die diagnostische Bildgebung zu Grunde. Wichtigste Fragestellung dabei, die mit einem Nativ-CT beantwortet wird: Handelt es sich wirklich um eine Ischämie oder liegt etwa doch eine Hirnblutung vor?

Bei leichten und mittelschweren ischämischen Schlaganfällen wird in den ersten 3 (evtl. auch 4,5) Stunden nach dem Auftreten der Symptomatik eine 60-minütige intravenöse Thrombolyse-Therapie durch die Neurologen eingeleitet. Zeigt der Patient dagegen schwere neurologische Ausfallerscheinungen wie eine ausgeprägte Halbseitenlähmung, Sprach- oder Bewusstseinsstörungen, wird unmittelbar nach der Nativ-CT eine CT-Angiographie (CTA) und ggf. eine CT-Perfusion (CTP) angefertigt. „Wenn sich in der CTA ein Verschluss der Hirnbasisarterien zeigt “, so Schulte-Altedorneburg, „ wird der Patient unter laufender intravenöser Thrombolyse zur endovaskulären Therapie (kombiniertes Bridging-Verfahren) in den Angiographieraum gebracht. Auf diese Weise entsteht keine ‚therapielose‘ Zeit zwischen den einzelnen neuroradiologischen Diagnose- und Behandlungsschritten.“

Den Neuroradiologen stehen zwei Interventionsverfahren, die medikamentöse und die mechanische Therapie, die oft in Kombination miteinander angewendet werden, zur Verfügung.

Zum einen die intraarterielle Thrombolyse: Statt über die Vene wird das Medikament rt-PA dabei direkt an Ort und Stelle in das gefäßverschließende Blutgerinnsel hineingespritzt, wo es nach wenigen Minuten anfängt, zu wirken.

Zum anderen kommt die mechanische Rekanalisation zum Einsatz. Dr. Schulte-Altedorneburg erklärt, wie es funktioniert: „Ein oder zwei ineinander geschobene dickere Katheter werden über die Leiste möglichst weit in die Hals- oder Nackenschlagader vorgeschoben. In diesem Schlauch wird ein Mikrokatheter mitgeführt, der dann bis unmittelbar an den Gefäßverschluss im Gehirn manövriert wird. Durch den Mikrokatheter wird ein kleines Werkzeug, der Retriever, mit dem das Gerinnsel entfernt wird, geschoben. In unserem Zentrum benutzen wir verschiedene Retriever, die Ähnlichkeit mit einem Stent oder einer Bürste haben. Während wir damit das Blutgerinnsel herausziehen, saugen wir gleichzeitig über den dicken Katheter an der Arterie. Dadurch wird der Blutfluss für kurze Zeit zum Stillstand gebracht oder gar umgekehrt, so dass die Thrombuspartikel nicht von dem Retriever wieder abrutschen, zurück in die Gehirnarterien wandern und an gleicher oder benachbarter Stelle einen erneuten Gefäßverschluss verursachen.“

Was aber tun, wenn das zerebrovaskuläre Ereignis bereits mehr als 3 oder sogar 4,5 Stunden zurückliegt oder der genaue Beginn der neurologischen Ausfallerscheinungen unbekannt ist, weil der Patient mit der Symptomatik morgens aufgewacht ist? Schulte-Altedorneburg stellt zunächst einmal klar, dass das Zeitfenster ein Hilfskonstrukt darstellt: „Trotz der scheinbar klaren Datenlage wissen wir, dass es Patienten gibt, die aufgrund guter Umgehungskreisläufe auch nach mehr als 4,5 oder gar 6 Stunden noch keinen wesentlichen Schaden genommen haben und damit von einer endovaskulären Therapie profitieren könnten. Bei anderen Patienten hingegen ist schon nach 2 Stunden eine Rettung des minderdurchbluteten Gehirngewebes nicht mehr möglich.“

Grundsätzlich unterscheidet der Experte zwischen zwei Ausgangssituationen: „Es gibt den Hirninfarkt im vorderen (Karotis-)Stromgebiet. Dabei ist die Halsschlagader betroffen, die vor allem das Großhirn versorgt. Das sind rund 80 % der Fälle. Und es gibt den Hirninfarkt im hinteren (vertebrobasilären) Stromgebiet. Dabei sind die Nackenschlagadern und die wichtigste Arterie des Hirnstamms, die Arteria basilaris, betroffen, die den Hirnstamm und das Kleinhirn versorgen. Bei einem Verschluss der A. basilaris liegt die Mortalitätsrate ohne Rekanalisationstherapie bei 70 – 80 %. Dann stehen wir praktisch mit dem Rücken zur Wand und gehen in Einzelfällen auch über das festgelegte Zeitfenster von 6 Stunden hinaus, um das Leben des Patienten zu retten.“

Obwohl sowohl für die intraarterielle Thrombolyse als auch für die mechanische Rekanalisation bereits eine breite Datengrundlage vorliegt, die ihre Erfolge untermauern, wünscht sich Dr. Schulte-Altedorneburg, dass mehr auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Studien geschieht, damit sich das endovaskuläre Verfahren noch stärker etablieren kann. „Am heikelsten bleibt bei der Schlaganfallbehandlung die Gefahr, dem Patienten zu schaden, anstatt ihm zu nützen. Deshalb müssen wir herausfinden, welche Patientengruppen von welchem Verfahren genau profitieren“, lautet sein Schlussplädoyer.

12.10.2011

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