Mechanische Rekanalisation - mit Stents, Saugern & Korkenziehern

Man könnte meinen, es handelt sich um eine Haushaltswaren-Abteilung und nicht die Abteilung für Neuroradiologie am Klinikum rechts der Isar der TU München, wenn der Ärztliche Leiter Prof. Claus Zimmer von Neurointerventionen berichtet, die in seiner Abteilung zur Behandlung des ischämischen Schlaganfalls stattfinden. Sein Team ist u.a. auf die mechanische Rekanalisation von Gefäßverengungen und Gefäßverschlüssen im Gehirn spezialisiert – eine Therapie, die dem Problem mit Kathetern, Stents, Saugern und Korkenziehern zu Leibe rückt.

Prof. Dr. Claus Zimmer, Jahrgang 1958, studierte Medizin in Bochum und Berlin. ...
Prof. Dr. Claus Zimmer, Jahrgang 1958, studierte Medizin in Bochum und Berlin. Die Ausbildung zum Neuroradiologen erfolgte an der Justus Liebig Universität Giessen, der Harvard Medical School in Boston und an der Charité Berlin. An der Charité blieb der gebürtige Starnberger bis 2003 und folgte dann dem Ruf auf eine Professur für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Leipzig und zum Leiter der dortigen Abteilung für Neuroradiologie. Seit August 2005 ist Zimmer Professor für Neuroradiologie an der TU München und leitet die Abteilung für Neuroradiologie am Klinikum rechts der Isar.

Und da auch Kongresse Teamarbeit sind, stellt auf dem Bayerischen Röntgenkongress sein Mitarbeiter, der leitende Oberarzt Dr. Sascha Prothmann, die innovativen Kathetertechniken vor, während der Ärztliche Leiter für radiologia bavarica Rede und Antwort steht über die Perspektiven der mechanischen Rekanalisation.

radiologia bavarica: Prof. Zimmer, wie hat sich die Schlaganfalltherapie verändert?

Prof. Zimmer: Lange Zeit stand man dem Schlaganfall recht nihilistisch gegenüber. Es gab eigentlich wenig, das man für Patienten mit akutem Schlaganfall hätte tun können. Basierend auf zahlreichen Studien (u.a. NINDS 1995) wurde in der Folge die systemische, intravenöse Thrombolyse als die Methode der Wahl zur Behandlung des Schlaganfalls etabliert. Erst in den letzten Jahren hat sich jedoch die Erkenntnis durchgesetzt, dass diese Therapie allerdings insbesondere bei Thromben in einer bestimmten Lokalisation (Karotis-T, proximale Arteria cerebri media u.a.) meist erfolglos ist. So lassen sich deutlich weniger als 10% der Karotis-T-Verschlüsse mit dieser Therapie erfolgreich wiedereröffnen. Auch längerstreckige Thromben (länger als 8 mm) scheinen auf dem systemischen Weg nicht zufriedenstellend behandelbar zu sein. Auf der anderen Seite sind gerade Schlaganfälle mit diesen Thrombenlokalisationen für die Patienten besonders verhängnisvoll, da manchmal bis zu einer ganzen Hirnhemisphäre betroffen sein kann, mit entsprechend ausgeprägten neurologischen Ausfällen. Für diese Situationen setzt sich zunehmend die sog. mechanische Rekanalisation durch, eine Methode, die mittlerweile an vielen interventionellen Zentren etabliert ist.

rb: Trotzdem ist die mechanische Rekanalisation nicht evidenzbasiert …

Prof. Zimmer: Das ist richtig. In den Leitlinien wird sie als experimentelles Verfahren aufgeführt. Es gibt noch keine prospektiven Studien, die ihre medizinische Wirksamkeit belegt hätten. Unser Wissen beruht daher allein auf wenigen kleinen retrospektiven Studien und vor allem auf unserer täglichen Erfahrung. Diese stützt sich in unserem Haus auf mittlerweile über 250 Schlaganfallpatienten, die mit der mechanischen Rekanalisation meist erfolgreich behandelt wurden. Das Hauptproblem bei einer prospektiven Studie zur mechanischen Thrombektomie ist, dass jede Klinik momentan noch ihre eigene Technik verwendet. Bevor wir also eine Studie starten können, müssen wir erst einmal die Methodik vereinheitlichen. Das kann noch ein paar Jahre dauern.

rb: Welche verschiedenen Techniken kursieren denn?

Prof. Zimmer: Die Auswahl bezieht sich vor allem auf die verschiedenen Werkzeuge, die so genannten Retriever, mit denen das Blutgerinnsel entfernt wird. Es gibt Stents, die kurzfristig entfaltet werden können und mit denen sich dann sehr schnell ein Blutfluss in der Arterie wiederherstellen lässt. Das besondere an diesen Stents ist, dass sie nach Freisetzung anschließend wieder entfernt werden können und mit ihnen auch der Thrombus selbst oder Thrombusfragmente. Es gibt darüber hinaus zahlreiche andere Tools wie eine Saugdrainage, mit deren Hilfe sich der Thrombus mit Unterdruck herausziehen lässt oder eine Art Korkenzieher und Bürsten, die bei der Thrombusentfernung behilflich sein können. In unserer Abteilung gehen wir multimodal vor. Wir beginnen meist mit dem Stent. Wenn das nicht reicht – was mittlerweile selten der Fall ist – greifen wir zu anderen Techniken. Die Prozedur wiederholen wir dann so oft, bis das Gefäß offen ist. Inzwischen sind unsere Rekanalisationszeiten sehr kurz. Häufig ist das Gefäß bereits nach wenigen Minuten wieder durchgängig.

rb: Gibt es Weiterentwicklungen bei den Retrievern?

Prof. Zimmer: Ja, ständig. Das ist mittlerweile ein riesiger Markt. Bis vor wenigen Jahren gab es kaum verwendbare Produkte, das spielte auch wirtschaftlich keine Rolle. Jetzt kommen fast monatlich neue Katheter etc. heraus. Deutschland gehört hier sicherlich zu den Vorreitern. In anderen Ländern scheint es schwieriger zu sein, bestimmte Tools zu zertifizieren.

rb: Welche Rolle spielt die Perfusionsbildgebung?

Prof. Zimmer: Wir setzen die CT-Perfusion in ganz bestimmten Fällen ein, um zu entscheiden, ob wir mechanisch vorgehen oder nicht. Die Analyse der Hirnperfusion kann uns dabei behilflich sein herauszufinden, wie alt der Infarkt und vor allem wie groß das noch zu rettende Infarktareal ist. Diese Informationen können z.B. bei den sog. Wake-up-Strokes von Bedeutung sein. Wenn ein Patient morgens aufwacht und Symptome eines Schlaganfalls zeigt, wissen wir oft nicht, wie lang der Infarktbeginn zurückliegt. Diese Patienten hat man bislang nicht behandelt, weil die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um einen alten Infarkt handelt, zu groß schien und man befürchtete mit einer aggressiven Schlaganfallbehandlung das Risiko einer Hirnblutung zu erhöhen. Die Perfusionsbildgebung kann uns in diesem Zusammenhang behilflich sein, nun auch diese gar nicht so kleine Patientengruppe mit in unsere neuen Therapieoptionen einbeziehen zu können. Ob wir die Perfusionsbildgebung dafür aber tatsächlich brauchen oder ob nicht ein einfaches CT einschließlich CT-Angiographie ausreicht, ist noch nicht endgültig entschieden.

rb: Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Schlaganfalltherapie?

Prof. Zimmer: Zunächst einmal, dass sich flächendeckend in der Bevölkerung herumspricht, dass ein Hirninfarkt behandelbar ist, wenn man nur schnell genug reagiert. Beim Herzinfarkt kennt jeder die Symptome, weil sie eindeutiger sind, und weiß, dass er schnellst möglich in ein Krankenhaus muss. Beim Schlaganfall sind die Vorzeichen weniger eindeutig und die Patienten werden oft viel zu spät eingeliefert. Bei der medizinischen Versorgung sehe ich darüber hinaus eine ähnliche Entwicklung wie in der Kardiologie: Wird ein akuter ischämischer Schlaganfall diagnostiziert, sollten bestimmte Patienten umgehend zur Behandlung ins Katheterlabor verlegt werden. Das A und O in der Schlaganfalltherapie ist die frühzeitige Reperfusion/Rekanalisation, nur diese nützt dem Patienten. Auch müssen die bisher geltenden engen Zeitfenster für eine in Frage kommende Therapie neu überdacht werden. Die Blutungskomplikationen haben wir uns hauptsächlich über die Anwendung von Thromboloytika eingefangen. Jetzt können wir in bestimmten Situationen ganz auf Thrombolyse verzichten und haben es dann möglicherweise mit ganz anderen zeitlichen Rahmenbedingungen zu tun.

rb: Prof. Zimmer, vielen Dank für das Gespräch.
 

12.10.2011

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