Interview • Internationales Forschungsprojekt

Wissenschaftler entschlüsseln Erbgut maliger Lymphome

Ein gigantisches Projekt: 1300 Wissenschaftler aus 37 Ländern haben das Erbgut von 38 Krebsarten untersucht. Sie fanden heraus, dass sich in den Genen schon sehr früh erste Hinweise auf eine spätere Krebserkrankung finden.

Interview: Katrin Schreiter

Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Therapie. Auch Leipziger Wissenschaftler waren an der Untersuchung beteiligt, vor allem an der Analyse des DNA-Materials. Wir sprachen mit Dr. Hans Binder, Geschäftsführer und Forschungsgruppenleiter beim Interdisziplinären Zentrum für Bioinformatik (IZBI) der Universität Leipzig.

Ein internationales Projekt mit 1300 Wissenschaftlern – das klingt nach einer umfangreichen Koordinierung. Wie wurde die Arbeit aufgeteilt?

portrait of hans binder
Dr. Hans Binder

Dr. Binder: Das Projekt, die unterschiedlichen Krebstypen zu entschlüsseln, hat 2011 begonnen. Daran beteiligt waren Mediziner, Pathologen, Molekularbiologen und Bioinformatiker, die weltweit an den unterschiedlichsten Orten ihr spezielles Wissen eingebracht haben. Das gemeinsame Ziel war: Krebs. Schließlich ist diese Krankheit eine der häufigsten Todesursache in den Industrieländern.

Das hat unterschiedliche Ursachen: Die Menschen werden immer älter – damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie an Krebs erkranken. Umweltbelastungen, Lebensstil und falsche Ernährung haben zudem einen negativen Einfluss.

Wie wurden die Krebszellen untersucht?

Ärzte haben den Patienten Gewebe entnommen und den Krebs diagnostiziert, Pathologen haben das Gewebe für weitere Feindiagnosen untersucht und Labormediziner sowie Molekularbiologen haben die DNA extrahiert und sequenziert. Die Sequenzdaten geben Auskunft über die Mutationen. Wir haben bioinformatische Methoden entwickelt und angewendet, um Mutationen und weitere Informationen, wie die Aktivität der Gene und mögliche Störungen biologischer Funktionen aus den Sequenzdaten abzuleiten. Das macht es möglich, die Krebstypen mittels des Vergleichs von Nukleotidsequenzen, entlang der DNA, beziehungsweise der Häufigkeit abgelesener RNA-Kopien in Proben der Krebspatienten zu unterscheiden.

Gemeinsam mit unseren Partnern aus ganz Deutschland konnten wir so zum besseren Verständnis des Lymphdrüsenkrebses beitragen, welche Mechanismen zu seiner Entstehung und Entwicklung führen, warum die betroffenen Zellen entarten.

Eine riesige Datenmenge …

… ja, eine enorme Datenmenge, es betrifft Millionen von Sequenzpositionen in ca. zwanzigtausend Genen, und das jeweils von hunderten bis einigen tausend Patienten, die die Bioinformatiker so aufbereitet haben, dass Rückschlüsse gezogen werden können.

Lassen sich die Rückschlüsse verallgemeinern?

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Visualisierung der Diversität von B-Zell Lymphomen. Jeder Kreis entspricht einem Tumor (Patient), die Farben unterscheiden verschiedene Typen.

Der Krebs ist eine komplizierte Krankheit, die durch Fehler im Erbgut entsteht. Genau genommen handelt es sich bei jedem Patienten nicht um eine Krankheit, sondern um eine Vielzahl von Defekten, die ganz unterschiedliche Auswirkungen haben können. Das Projekt lieferte erstmals einen Überblick über die möglichen Störungen.

Leider lässt sich bisher ein genetischer Fehler nicht einfach reparieren, weil oft Nebenwirkungen bei der Behandlung nicht vorhersehbar und kontrollierbar sind. Das macht die Krankheit so schwierig. Die Forschung kommt aber voran. Wichtig ist, zu lernen, wie der Krebs funktioniert. Daraus wurden schon jetzt verbesserte Diagnosen und Behandlungsmöglichkeiten, wie zum Beispiel die Immuntherapie, entwickelt. Abgesehen davon, den Krebs zu besiegen, geht es auch darum, die Therapie so einzustellen, dass die Patienten mit der Krankheit gut und möglichst lange weiterleben.

Haben Sie auch Erkenntnisse darüber erhalten, wie sich der Krebs im Anfangsstadium zeigt?

Auf Ebene der DNA findet man am Anfang meist sogenannte Driver-Mutationen. Das betrifft oft Gene mit Schlüsselfunktionen und führt zum Beispiel zur verstärkten Zellteilung, das heißt, die Zellen überwuchern gesundes Gewebe. Einige dieser Veränderungen sind bereits Jahrzehnte vor Ausbruch der Krankheit in den Genen nachweisbar. Doch eine einfache und einheitliche Behandlung ist nicht möglich: Mutationen machen Krebs oft sehr variabel, er passt sich an und lässt sich schwer bekämpfen.

Das klingt nach einer großen Vielfalt an Zellveränderungen.

Das Genom jedes Menschen ist einzigartig – deshalb ist auch jeder Krebs als Krankheit des Erbguts einzigartig

Hans Binder

Ja, die Vielfalt ist enorm. Wichtig dabei ist zu wissen, dass das Genom jedes Menschen einzigartig ist – deshalb ist auch jeder Krebs als Krankheit des Erbguts einzigartig. Allerdings können die Varianten oft gruppiert werden, um spezifische Regeln für deren Behandlung zu erhalten.

Sind diese Erkenntnisse ein weiterer Schritt auf dem Weg zur personalisierten Medizin?

Ja, auf jeden Fall. Aufgabe der Krebszentren wird es sein (und ist es teilweise schon), die DNA jedes Patienten zu analysieren, um die Besonderheit der Erkrankung zu verstehen, um dann die Behandlung speziell darauf abstimmen zu können.

Kommt dabei der CRISPR-Methode eine größere Bedeutung zu?

CRISPR ist ein Verfahren, um DNA-Bausteine im Erbgut präzise zu verändern. Es funktioniert wie eine Gen-Schere. CRISPR hat inzwischen große Bedeutung in der Grundlagenforschung, um zum Beispiel die Konsequenzen von Treibermutationen in Laborexperimenten zu untersuchen. Für therapeutische Anwendungen ist es zu früh, denn Kollateralschäden sind nicht absehbar. Es gibt aber andere Wege, dem Krebs zu begegnen.

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News • For the development of CRISPR/Cas9

Nobel Prize in Chemistry goes to Emmanuelle Charpentier and Jennifer A. Doudna

The Royal Swedish Academy of Sciences has decided to award the Nobel Prize in Chemistry 2020 to Emmanuelle Charpentier from the Max Planck Unit for the Science of Pathogens, Berlin, Germany, and Jennifer A. Doudna from the University of California, Berkeley, USA, “for the development of a method for genome editing”, more commonly known as the 'gene scissors' CRISPR/Cas9.

Welche sind das?

Die Krebszellen haben die Eigenschaft, sich „anpassen“ und „verstecken“ zu können. Es gilt also, sie zu enttarnen, damit das körpereigene Abwehrsystem sie bekämpfen kann. Deshalb wird intensiv in Richtung Immuntherapie geforscht, mit ersten Erfolgen: Ein Weg ist, den Krebszellen ihre „Tarnkappen“ zu entziehen, damit das Immunsystem sie erkennt und vernichten kann. Ein anderer Weg besteht darin, Patienten Immunzellen zu entnehmen, ihnen beizubringen, Krebszellen zu erkennen und diese angereicherten Zellen wieder zu injizieren.

Das Projekt ist abgeschlossen. Wie geht es weiter?

Jetzt geht es unter anderem darum, die gewonnenen Erkenntnisse in die Klinik zu überführen, um Diagnosen zu verfeinern und Behandlungsresistenzen zu umgehen. Ein weiteres Projekt zielt darauf ab, schädliche Nebenwirkungen der Immuntherapie zu verstehen und zu vermeiden. Molekulare DNA-Analysen spielen dabei eine zentrale Rolle.


Das Projekt:

Das internationale Forscherteam hat in der Meta-Analyse 2700 Krebsgenome unterschiedlicher Tumorarten untersucht. Unter den Wissenschaftlern befinden sich auch Forscher der Universität Leipzig: Dr. Hans Binder, Geschäftsführer und Forschungsgruppenleiter am Interdisziplinären Zentrum für Bioinformatik (IZBI), Prof. Dr. Markus Loeffler, Direktor des Instituts für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE)  sowie Prof. Dr. Peter Stadler vom Institut für Informatik, Lehrstuhl für Bioinformatik und deren Arbeitsgruppen. Sie haben Sequenzdaten von malignen Lymphomen, also Krebs der Lymphdrüsen, analysiert. Dabei wurden DNA-Mutationen, Störungen der DNA-Methylierung und damit in Zusammenhang stehende Änderungen der Genexpression, also der Genaktivität, im Detail untersucht. 

Die Leipziger Bioinformatiker konnten dabei wesentlich zum Verständnis der molekularen Krankheitsursachen und der Heterogenität dieser Krebserkrankung beitragen. Sie sind seit mehr als zehn Jahren auf verschiedenen Gebieten der Genomforschung von Krebserkrankungen tätig und nehmen international eine führende Position ein. Arbeiten aus dem weltweiten Projekt werden nun fortgesetzt und zielen schwerpunktmäßig auf klinische Anwendungen ab.


Profil:

Hans Binder ist Geschäftsführer des Interdisziplinären Zentrums für Bioinformatik an der Universität Leipzig seit seiner Gründung 2002. Er ist ausgebildeter Biophysiker und leitet die Forschungsgruppe ‚omics Bioinformatik und Systembiologie‘ am IZBI. Sein wissenschaftlicher Schwerpunkt liegt auf dem Gebiet von Transkriptom- und Genom-Daten aus Sequenzanalysen zur Aufklärung der molekularen und systemischen Mechanismen von Krankheiten, insbesondere Krebs. Sein Team entwickelt dafür bioinformatische Methoden unter Verwendung maschinellen Lernens. Es ist an einer Reihe internationaler und deutschlandweiter Forschungskonsortien beteiligt. 

13.10.2020

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