Interview • Weiche Knie und harte Fakten
Wie weit sind smarte Assistenzroboter in der Medizin und Betreuung?
Interview: Lena Petzold
Die Robotik hat die Medizintechnik längst erreicht, wie das Da Vinci-Operationssystem eindrucksvoll beweist. Im Servicebereich gibt es jedoch noch Grundlagenprobleme zu lösen, bevor sie auch hier erfolgreich Einzug hält. Denn so ein Roboter bekommt schnell mal weiche Knie, berichtet Matthias Hofmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Roboterforschung an der TU Dortmund, auf einer Konferenz des IVAM Fachverbands für Mikrotechnik. Wir haben den Entwickler von Fußballrobotern zum aktuellen Stand der Dinge befragt, denn der Weg vom mechanischen Fußballer zum Krankenhausassistenten ist gar nicht so weit.
Werden Serviceroboter in der Medizin bereits genutzt?
Hofmann: In Deutschland sind Assistenzroboter selten zu finden. Dieser Wirtschaftsbereich entwickelt sich erst und es gibt wenige Firmen, die einsatzfähige Produkte anbieten. Das hängt vor allem mit einer Vielzahl von Grundlagenproblemen zusammen, die es vorab zu bewältigen gilt. Entwickler müssen erst einmal ihre Hausaufgaben machen, wenn beispielsweise die Spracherkennung (englischsprachiger Artikel) und die sogenannte Context-Awareness nicht robust und stabil funktionieren, können keine einsatzreifen Produkte entstehen. Assistenzroboter sind im Vergleich zu Präzisionssystemen im OP eben mehr als nur der verlängerte Arm des Operateurs; sie müssen Aufgaben eigenständig ausführen.
Wo könnten Roboter zukünftig zum Einsatz kommen?
Assistenzroboter können medizinisches Personal niemals ersetzen
Matthias Hofmann
Assistenzroboter können vielfältig eingesetzt werden: Sie können nicht nur Patienten überwachen und ihnen Hilfestellung leisten, sondern auch Wartezeiten überbrücken oder administrative Aufgaben übernehmen. Alle Anwendungen, die einen niedrigen Autonomiegrad erfordern, können theoretisch von einem Roboter übernommen werden. Im Krankenhaus oder Wartezimmer können sie Patienten unterhalten, indem sie Quiz und Spiele anbieten. Oder sie fungieren als virtuelle Rezeption, nehmen Daten auf und beantworten Fragen, für die das Personal keine Zeit hat. Roboter könnten in Zukunft aber auch Informationen rund um Behandlungsabläufe vermitteln oder Kindern die Angst vor Eingriffen und Therapieformen nehmen. Im Krankenhausalltag Notfälle zu registrieren und entsprechend Hilfe zu holen, ist ebenfalls ein denkbares Szenario für Assistenzroboter. Darüber hinaus gibt es spezielle Therapieansätze für Suchtkranke oder Autisten, bei denen ihr Einsatz erprobt wird. Klar ist aber auch: Assistenzroboter können medizinisches Personal niemals ersetzen.
Warum sollten sie dennoch entwickelt werden?
Der große Vorteil von Assistenzrobotern ist die Entlastung des Personals. Mit ihren speziellen Fähigkeiten können Assistenzroboter gerade bei repetitiven Aufgaben Abhilfe schaffen. Außerdem können sie das Erlebnis Krankenhaus aufwerten. Ein Roboter wie der 2014 vorgestellte „Pepper“ mit humanoiden Zügen und der Fähigkeit, bis zu einem gewissen Grad menschliche Regungen zu deuten, kann Emotionen auffangen und entsprechend reagieren. Er ist immer ansprechbar und fühlt keinen Zeitdruck.
Welche technischen Herausforderungen gilt es zu lösen?
Technologisch gibt es noch einiges zu tun. Eine fähige Spracherkennung und weitreichendes Sprachverständnis zu entwickeln, ist hochkomplex. Wer einmal Online-Übersetzungsprogramme genutzt hat, weiß, dass die akkurate, maschinelle Verarbeitung von Sprache bedingt durch Doppeldeutungen und Ambivalenzen enorm schwierig ist. Wie der Mensch muss auch der Roboter Gesprochenes akustisch aufnehmen, phonetisch in Worte umsetzen und kognitiv darauf reagieren. Diesen semantischen Prozess zu vollziehen und dabei auf feine Nuancen zu reagieren, ist für eine Maschine noch ungleich schwieriger. Auch die Context-Awareness, also die Wahrnehmung der Umgebung und das Abstimmen des Verhaltens darauf, ist bei Assistenzrobotern noch problematisch, genauso wie die Belastbarkeit der Hardware. In der Fußballrobotik haben wir tagtäglich mit diesen Herausforderungen zu tun.
Eng getaktete, schnell hintereinander ausgeführte Bewegungen wie beim Fußball können Robotergelenke belasten. Das Video zeigt ein Spiel der "Nao Devils" (blau / TU Dortmund) gegen die Roboter "DAInamite" (pink / TU Berlin).
Quelle: Youtube/Ascii6971
An welchen Problemen arbeiten Sie aktuell?
Wir versuchen gleich an mehreren Fronten, Hindernisse zu überwinden. Als Fußballer wie auch als Roboter muss man seine Außenwelt wahrnehmen, sich orientieren, mit Mitspielern kommunizieren, Entscheidungen treffen und die entsprechende Bewegung stabil durchführen. Für unsere Forschung benutzen wir den NAO, einen zweibeinigen humanoiden Roboter, der 58 cm groß und mit zwei Kameras, vier Mikrophonen und Lautsprechern ausgestattet ist. Außerdem verfügt er über verschiedenste Sensoren wie beispielsweise vier Ultraschall- und acht Drucksensoren. Wie sein menschliches Gegenstück braucht der NAO Gleichgewichts- und Tastsinn sowie Muskelempfindungen. Denn die Gelenke des Roboters werden bei zu hoher Belastung heiß, er bekommt also im wahrsten Sinne des Wortes weiche Knie. Der NAO braucht also eine Sensorik, die ihn vor Überbeanspruchung bewahrt. Das ist beispielhaft für eine der ganz großen Herausforderungen: die Robustheit von Systemen. In der Laborumgebung – wie auf unserem selbst angelegten Fußballplatz – funktionieren Systeme oft schon sehr gut. Außerhalb der Laborwelt sieht das jedoch anders aus. Die Transferleistung ist in der Regel noch nicht gut genug. Auf einem glatten Untergrund kann der NAO sehr gut laufen, aber was passiert, wenn er in einem Krankenhaus plötzlich auf Teppich oder gar Stufen treffen sollte? Ein weiteres Beispiel sind die Kameraeinstellungen. Unterschiedlicher Lichteinfall verändert die Wahrnehmung des Roboters: In hellen Räumen gelingt das gut, aber ein Assistenzroboter muss auch funktionieren, wenn man das Licht löscht.
Gibt es abseits der technologischen noch weitere Herausforderungen?
Ja, auch die ethischen und rechtlichen Hürden sind hoch. Dürfen Roboter überhaupt autonom agieren und Verantwortung übernehmen? Also beispielsweise medizinische Aufklärung leisten? Was ist mit dem Datenschutz bei administrativen Aufgaben? Was passiert bei Unfällen? Wer haftet am Ende für einen Assistenzroboter, der Hersteller oder der Betreiber? Alle diese Fragen sind nicht abschließend geklärt und hochkomplex, wie das Beispiel autonomes Fahren zeigt. Auch ein autonomes Fahrzeug ist letztlich nichts anderes als ein Assistenzroboter.
Zudem ist der Einsatz von Servicerobotern eine Kostenfrage, denn es reicht nicht, in das Gerät an sich zu investieren, es muss auch eine entsprechende Infrastruktur geschaffen werden. Ein Roboter muss sich orientieren und bewegen können. Bereits als Mensch hat man Schwierigkeiten, sich in einem Krankenhaus zurechtzufinden, wenn jeder Gang aussieht wie der vorherige. Für einen Roboter müssen deshalb zum Beispiel eindeutige, maschinell erkennbare Zeichen wie Beacons oder QR-Codes entwickelt und angebracht werden. Es bleibt also noch viel zu tun, aber ich bin überzeugt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir geeignete Lösungen entwickeln. Assistenzroboter werden schon bald in der Medizin ihre Nische finden.
Profil:
Matthias Hofmann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Roboterforschung der TU Dortmund in Deutschland. Nach einer Ausbildung zum Fachinformatiker bei der Deutsche Telekom AG in Bonn, begann er 2005 ein duales Studium zum Informatiker mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik in Darmstadt, Deutschland. Nach Erhalt seines Bachelortitels in 2008 wechselte er an die TU Dortmund, um dort ein Masterstudium der Kerninformatik mit dem Schwerpunkt "Intelligente Systeme" aufzunehmen. Zeitgleich arbeitete er beim Wupperverband in der Abteilung Geoinformationssysteme. 2011 erhielt er nicht nur seinen Mastertitel, sondern auch die Stelle am Institut für Roboterforschung. Von dort aus startete er 2014 in ein 6-monatiges Forschungssemester an der University of Miami in den USA.
16.02.2018