Artikel • Ärzte finden und halten
Mit Wertschätzung und Work-Life-Balance gegen den Fachkräftemangel im Krankenhaus
Der Personalberater Dirk Bachmann ist sich sicher: Bis 2035 können 1,8 Millionen offene Stellen im Gesundheitswesen nicht besetzt werden. Und das liegt seiner Meinung nach nicht nur am demographischen Wandel, sondern zu großen Teilen auch an der wachsenden Unzufriedenheit unter Ärzten und Pflegekräften. Der studierte Betriebswissenschaftler weiß jedoch, wie Krankenhäuser ihr Personal trotzdem entlasten und zudem qualifizierte Mitarbeiter gewinnen und vor allem halten können.
Artikel: Sonja Buske
„Unter Medizinern gibt es schon seit längerem den Trend, die Festanstellung zu verlassen und Honorararzt zu werden“, sagt Bachmann. „Der Grund dafür ist in erster Linie die Bezahlung, denn im vertretungsärztlichen Dienst verdient man zum Teil doppelt so viel wie als angestellter Arzt. Dafür nehmen viele dann auch in Kauf, dass sie regelmäßig pendeln müssen und immer wieder neue Einsatzorte haben, zum Teil für nur wenige Wochen.“
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum sich immer mehr Ärzte für dieses Modell entscheiden, weiß der Personalberater: „Als Honorararzt können sich die Mediziner auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren und ausschließlich Menschen helfen, statt unter einem enormen wirtschaftlichen Druck bürokratische Tätigkeiten im Krankenhausalltag übernehmen zu müssen.“ Arbeiten sowohl fest angestellte Ärzte als auch Honorarkräfte gemeinsam in einer Klinik, führe das aufgrund der ungleichen Bezahlung bei gleicher Leistung oft zu Neid und Unzufriedenheit. Die Bezahlung anzupassen sei für die meisten Kliniken finanziell nicht möglich. Deshalb müssten die Häuser andere Wege gehen, um ihre Mitarbeiter zufrieden zu stellen.
Work-Life-Balance im Fokus
„Wir hören immer wieder, dass Ärzte heutzutage kaum noch Interesse an Rufbereitschaft und Nachtdiensten haben. Die Work-Life-Balance spielt auch oder gerade im Gesundheitswesen eine große Rolle“, erklärt Bachmann. „Ohne genügend Personal ist dieser Wunsch aber natürlich nicht realisierbar. Die Reduktion der Verweildauer der Patienten wäre hingegen eine Lösung, um Kapazitäten frei werden zu lassen“, zeigt er sich zuversichtlich. Ebenso sieht er in der Digitalisierung viel Potenzial für echte Arbeitsentlastung. Bachmann: „Mit den richtigen Strukturen kann der Tagesablauf in einer Klinik deutlich besser organisiert und somit Arbeit reduziert werden. Terminbuchungen können über ein Online-System erfolgen, bestimmte Untersuchungen über eine Telemedizin-Sprechstunde durchgeführt werden, und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz kann die Schreibarbeit enorm vereinfacht werden.“ Bachmann moniert auch, dass immer noch viel zu viel Papier in den Krankenhäusern im Umlauf ist. Die Suche nach der richtigen und vor allem vollständigen Krankenakte sollte eigentlich im Zeitalter moderner Krankenhausinformationssysteme keine Zeit mehr binden, so der Experte.
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News • Umfrage unter Medizinstudenten
So muss sich der Klinikalltag verändern (wenn es nach Nachwuchs-Medizinern geht)
Der Klinikalltag wird sich in Zukunft verändern müssen. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Instituts für Generationenforschung in Zusammenarbeit mit dem Jungen Forum der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Universitäten Tübingen und Bonn. So sehnen sich die künftigen Medizinstudenten etwa nach einem Arbeitsalltag mit Regelarbeitszeiten.
Wertschätzung und Zusammengehörigkeit
Ein weiterer wichtiger Punkt sei das Thema Wertschätzung. Mitarbeiter möchten etwas über ihren Arbeitsplatz hinaus geboten und dadurch das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie nicht nur ein Rädchen im Getriebe sind, sondern mit ihren Wünschen und ihrer Meinung ernst genommen werden. „In der freien Wirtschaft ist das inzwischen selbstverständlich“, weiß Bachmann. „Für viele Väter oder Mütter ist eine Betriebs-Kita oder ein Ferienprogramm wichtig, für die junge Generation spielt das Thema Nachhaltigkeit eine entscheidende Rolle – sei es in Form eines Job-Tickets für den ÖPNV oder firmenfinanzierte Fahrräder.“ Oft brauche es jedoch noch nicht einmal große Gesten, um viel zu erreichen. Eine kleine Aufmerksamkeit zum Geburtstag, ein Team-Event oder ein Sommerfest mit der ganzen Familie sorgen oftmals schon für den Ausschlag, dass man sich wertgeschätzt fühlt. Gerade die Einbeziehung der Familie hat für Bachmann viel Potenzial: „Wenn sich die Lebenspartner der Mitarbeiter vernetzen und den Arbeitsplatz der Ehefrau oder des Freundes kennenlernen, entsteht auch im privaten Umfeld mehr Verständnis für mögliche Überstunden.“
Anreize schaffen durch Gesundheitsprogramme
Fast schon Standard sei inzwischen die vom Arbeitgeber anteilig bezahlte Mitgliedschaft im Fitnessstudio. „Damit kann man niemanden mehr begeistern“, sagt Bachmann. Er weiß aber auch, dass es noch viel mehr Möglichkeiten im Bereich der Gesundheitsförderung gibt, die den meisten Krankenhäusern noch nicht bekannt sind. „Es gibt sehr gute Benefit-Systeme, die den Besuch im Schwimmbad erstatten, das eigene Lauftraining mit Einkaufsgutscheinen belohnen oder sogar den Kauf einer neuen Brille bezuschussen. Das ist innovativ und am Puls der Zeit und kostet den Arbeitgeber relativ wenig.“
Wichtig sei zudem, dass die Einbindung eines neuen Mitarbeiters nicht erst am ersten Arbeitstag beginnt. „Professionelles Onboarding startet bereits nach der Job-Zusage und endet im besten Fall erst dann, wenn der Mitarbeiter gut eingearbeitet ist“, ist Bachmann überzeugt. So könne zum Beispiel ein Arzt schon vor Arbeitsbeginn zu Messen oder Kongressen eingeladen werden, auf denen sich das Krankenhaus präsentiert, und auch eine Einladung zu Team-Events sorge für ein frühzeitiges Kennenlernen ohne den Druck im Arbeitsalltag. Mit einem Mentoring-Programm könnte der Fachkraft zudem ein erfahrener Kollege zur Seite gestellt werden, der für sie bei allen Fragen als Ansprechpartner zur Verfügung steht.
Eine einfache Stellenanzeige in den lokalen Medien, die das Krankenhaus vielleicht noch selbst schalten kann, reicht heutzutage nicht mehr aus
Dirk Bachmann
Um jedoch Mitarbeiter einarbeiten zu können, brauche es erst einmal genügend qualifizierte Bewerber. Bachmann ist sich sicher, dass die Suche nach Fachkräften im Gesundheitswesen auf lange Sicht nicht ohne die Einbindung von spezialisierten Personalvermittlungsagenturen möglich ist. „Wir greifen auf eine umfangreiche Datenbank zurück, sind in den sozialen Medien aktiv und suchen stets den direkten Kontakt zu Fachkräften auf branchenspezifischen Veranstaltungen. Eine einfache Stellenanzeige in den lokalen Medien, die das Krankenhaus vielleicht noch selbst schalten kann, reicht heutzutage nicht mehr aus.“ Kein Weg vorbei führt seiner Meinung auch an Fachkräften aus dem Ausland. „Die Rekrutierung muss hier allerdings qualifiziert erfolgen, denn der Weg ist oftmals lang und die Bewerber müssen intensiv begleitet werden.“ Online-Weiterbildungen, Sprachkurse und Einstellungsgespräche per Video seien nur einige Beispiele dafür.
Langfristig kommt nach Ansicht des Experten kein Krankenhaus mehr daran vorbei, Chefärzte einzustellen, die nicht nur an das Funktionieren ihrer Abteilung denken, wie es früher üblich war, sondern die stets auch die Wirtschaftlichkeit der ganzen Klinik im Blick haben und diesen Gedanken an ihre Mitarbeiter weitergeben.
Profil:
Dirk Bachmann ist seit 2012 Geschäftsführer und Alleingesellschafter der Personalberatung „Find Your Expert – Medical Recruiting“. Nach dem BWL-Studium hat er als Business Development Manager in der Automobilzulieferindustrie gearbeitet, bevor er sich selbstständig gemacht hat.
07.03.2023