Welchen Stellenwert hat die MR-Koloskopie?

„Die endoskopische Koloskopie wird auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren. Mit der virtuellen Darmspieglung mittels MR steht uns jedoch ein zusätzliches Verfahren zur Verfügung, das unter bestimmten Prämissen eine veritable Alternative darstellt“, so die Prognose von PD Dr. Thomas Lauenstein, Radiologe an der Universitätsklinik Essen, der sich ebenso intensiv wie erfolgreich mit dem Thema MR-Koloskopie auseinandergesetzt hat: Für seine Habilitation zum Thema „Morphologische MR-Tomografie des Gastrointestinaltraktes“ erhielt er den diesjährigen Röntgenpreis. Mit RRR sprach der Preisträger über die Erkenntnisse seiner Arbeit und die Einordnung der Methode in die Riege der diagnostischen Möglichkeiten.

PD Dr. Thomas Lauenstein
PD Dr. Thomas Lauenstein

RRR: Dr. Lauenstein, für Ihre Habilitationsschrift haben Sie sich ausführlich mit der MR-Koloskopie beschäftigt: Wo sehen Sie die Vor- bzw. Nachteile der Methode?


Thomas Lauenstein: Der Vorteil der virtuellen Verfahren allgemein liegt ganz klar darin, dass die Kurven und Windungen des Darms kein Hindernis darstellen und wir den kompletten Darm abbilden können. Dabei entdecken wir Polypen ab etwa 7-8 mm mit Sicherheit, alles unter einer Größe von 5 mm sehen wir im MR eher schlecht. Allerdings gehen wir davon aus, dass Läsionen dieser Größe in den seltensten Fällen eine klinische Relevanz aufweisen. Bei der endoskopischen Darmspiegelung werden auch diese kleinen Krebsvorstufen sichtbar und können direkt abgetragen werden. Gegenüber der CT-Koloskopie hat die MRT natürlich den großen Vorteil, dass die Methode ohne Strahlung auskommt. Darüber hinaus können wir im MRT routinemäßig ein intravenöses Kontrastmittel verabreichen und erhalten dadurch auch Informationen über die Durchblutung der Darmwand. Da Krebsvorstufen eine andere Durchblutung aufweisen als gesunde Darmwand, liegt uns damit ein zusätzlicher diagnostischer Indikator vor. Die für das CT geeigneten Kontrastmittel weisen ein schlechteres Sicherheitsprofil auf, weshalb es hier eher zurückhaltend eingesetzt werden sollte.


RRR: Wie verbreitet ist die virtuelle Koloskopie derzeit und in welchen Fällen kommt sie zum Einsatz?


Thomas Lauenstein: Im Screening-Bereich ist die Methode noch nicht etabliert. Es gibt jedoch auch jetzt schon ganz klare Indikationen, bei denen die virtuelle Koloskopie eine etablierte Methode ist. In solchen Fällen nämlich, in denen die Endoskopie aufgrund von engen Darmkurven nicht komplett durchgeführt werden kann.
 

RRR: Sie haben den Screening-Bereich angesprochen, könnte sich die MR-Koloskopie in Zukunft auch in diesem Bereich durchsetzen?


Thomas Lauenstein: Dagegen sprechen zum einen die Kosten, denn eine MRT-Untersuchung ist im Vergleich zur etablierten Untersuchung mehr als doppelt so teuer. Zum anderen besteht bei der endoskopischen Variante die Möglichkeit, Auffälligkeiten direkt abzutragen, weshalb diese Methode niemals gänzlich ersetzt werden kann. Allerdings wird die MRT als alternatives Verfahren bei bestimmten Indikationen künftig auch von den Krankenkassen mehr Akzeptanz erfahren. Im Screening-Bereich sehe ich eine Chance für die MRT bei Patienten, die zwar eine Vorsorge wünschen, sich aber nicht endoskopieren lassen möchten. In diesen Fällen kann man mit Fug und Recht behaupten, dass eine MR-gestützte Vorsorge in jedem Fall besser ist als gar keine Vorsorge.


RRR: Nachdem der Nutzen der Methode belegt ist, auf welchem Gebiet besteht weiterhin Forschungsbedarf?
 

Thomas Lauenstein: Derzeit forschen wir an zwei Themen: Zum einen an bestimmten Softwaresystemen zur Diagnose-Automatisierung, die potentiell gefährdete Stellen anhand der akquirierten Bilder erkennen und auswerteten. Zum anderen testen wir, ob diffusionsgewichtete Sequenzen, die bisher klassischerweise bei der Schlaganfalldiagnostik genutzt wurden, auf die Untersuchung des Darms adaptierbar sind. Denn wir wissen, dass bei bestimmten Tumorerkrankungen oder auch Tumorvorstufen die Diffusion gestört ist und wir erhoffen uns mittels dieser Sequenzen eine noch genauere Diagnostik. Es gibt also noch viel zu entdecken und Langweile wird auch in naher Zukunft nicht aufkommen.


RRR: Dabei wünschen wir weiterhin viel Erfolg!
 

30.10.2010

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