Foto: IST Austria/Timothée Brütsch
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Was Grippekranke von Ameisen lernen können
Hat ein Mensch die Grippe, steckt er meist auch gleich seine Mitmenschen an. Ameisen verhalten sich in dieser Hinsicht pfiffiger, wie eine Studie des Institute of Science and Technology Austria (IST Austria) und der Universität Lausanne nun zeigt.
Durch ihr Verhalten verhindern die Insekten, dass sich Krankheiten innerhalb ihrer Kolonie verbreiten oder sogar zur Gefahr für Königin und Nachwuchs werden. Die Ergebnisse der Forschergruppen wurden in der Zeitschrift Science veröffentlicht.
Weil Ameisenkolonien aus vielen einzelnen Tieren besteht, die häufig Kontakt untereinander haben, hätten eingeschleppte Krankheiten ohne besondere Schutzmechanismen leichtes Spiel. Um ihre Kolonien vor Infektionen zu schützen, treffen Ameisen daher besondere Vorkehrungen in ihrer sozialen Organisation: Ameisen interagieren nicht zufällig mit anderen Koloniemitgliedern, sondern sind in Untergruppen organisiert, die ihrem Alter und den Aufgaben, die sie ausführen, entsprechen. Während sich junge Arbeiterameisen, so genannte "Brutpflegerinnen", um die wertvolle Brut im Zentrum der Kolonie kümmern, werden ältere Arbeiterameisen zu Sammlerinnen, die außerhalb des Nests Nahrung sammeln. Diese Ameisen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich mit Krankheitserregern zu infizieren.
Die Ameisen ändern, wie und mit wem sie interagieren
Sylvia Cremer
Mit einem in der Gruppe um Laurent Keller entwickelten "Barcode"-System verfolgten die ForscherInnen die Interaktionen zwischen Ameisen, insbesondere um ihr Verhalten bei der Ausbreitung von Krankheiten zu beobachten. In einem ersten Experiment platzierten sie digitale Marker auf 2266 Gartenameisen. Infrarotkameras machten jede halbe Sekunde ein Bild von den Kolonien, so dass die ForscherInnen die Bewegung und Position jeder einzelnen Ameise und ihre sozialen Interaktionen verfolgen und messen konnten. Die ForscherInnen zeigten, dass die Aufteilung der Ameisen in Untergruppen prophylaktisch wirkt und das Risiko der Ausbreitung von Krankheiten reduziert.
10% der Arbeiterameisen (allesamt Sammlerinnen) wurden dann Pilzsporen ausgesetzt, die sich durch Kontakt leicht ausbreiten. Der Vergleich der Ameisenkolonien vor und nach der Erregerbelastung zeigte, dass die Ameisen das Vorhandensein der Pilzsporen schnell erkennen und ihr Verhalten ändern, um bereits bestehende Abwehrkräfte zu stärken. "Die Ameisen ändern, wie und mit wem sie interagieren", erklärt Sylvia Cremer vom IST Austria, "Die Cliquen unter den Ameisen werden noch stärker, und der Kontakt zwischen den Cliquen wird reduziert. Sammlerinnen interagieren mehr mit Sammlerinnen und Brutpflegerinnen mehr mit Brutpflegerinnen. Das ist eine Antwort der ganzen Kolonie - auch Tiere, die nicht selbst mit Sporen behandelt werden, ändern ihr Verhalten." Laurent Keller von der Universität Lausanne fügt hinzu: "Dies ist die erste wissenschaftliche Studie, die zeigt, dass eine Tiergesellschaft in der Lage ist, ihre Organisation aktiv zu verändern, um die Verbreitung von Krankheiten zu reduzieren."
Foto: IST Austria/Timothée Brütsch
Mit einer in der Cremer-Gruppe etablierten hochsensitiven qPCR-Methode konnten die ForscherInnen genau quantifizieren, wie viele Sporen eine einzelne Ameise auf ihrem Körper trug. qPCR überwacht, wie ein bestimmtes DNA-Molekül während der sogenannten Polymerase-Kettenreaktion vermehrt wird. So können Forscher Rückschlüsse darauf ziehen, wie viel DNA und damit wie viel Pilzsporen zu Beginn vorhanden waren.
Da die Ameisen ihre Interaktion veränderten, änderten sich auch die Übertragungsmuster der Sporen. Nur wenige Individuen erhielten eine so hohe Dosis des Erregers, dass eine Krankheit ausbrechen könnte. Außerdem erhielten mehr Ameisen eine niedrige Dosis. Sylvia Cremer und ihre Gruppe konnten in einer anderen Studie bereits nachweisen, dass eine so niedrige Dosis keine Krankheit hervorruft, sondern als Schutz vor zukünftigen Infektionen wirkt - ähnlich wie die Variolation beim Menschen. "Der Erreger wird auf viele Schultern verteilt, und das Immunsystem der Ameisen kann mit diesem niedrigeren Erregerniveau sehr gut umgehen und sie entwickeln sogar eine Art Immungedächtnis", sagt Cremer.
Die Analysen zeigten auch, dass die Kolonie besonders wertvolle Tiere schützt. Die Königin, das einzige Individuum, das sich fortpflanzt, und die Brutpflegerinnen, also junge Arbeiterameisen, die noch viele Stunden Arbeit für die Kolonie leisten werden, erhielten weniger von dem Erreger. "In einer Kolonie müssen nicht alle Tiere geschützt werden - aber die wertvollsten Individuen sollten überleben", erklärt Keller.
Die ForscherInnen führten auch ein Überlebensexperiment durch, um zu sehen, wie die Erregerbelastung 24 Stunden nach der Ansteckung mit dem Erreger mit dem späteren, tödlich verlaufenden, Krankheitsausbruch korreliert. Die Korrelation war hoch, sagt Nathalie Stroeymeyt, Erstautorin und Postdoc in der Gruppe von Laurent Keller: "Wir haben für jede einzelne Ameise eine Vorhersage für die Sporenbelastung berechnet, basierend auf ihrer Interaktion mit anderen Ameisen in den ersten 24 Stunden nachdem sie dem Erreger ausgesetzt wurden. Ameisen mit einer hohen vorhergesagten Sporenbelastung starben neun Tage nach der Ansteckung häufiger als Ameisen mit einer niedrigen vorhergesagten Sporenbelastung," fasst sie zusammen. "Die Sterblichkeit war bei den Sammlerinnen höher als bei den Brutpflegerinnen. Und alle Königinnen waren am Ende des Experiments noch am Leben."
Wie Ameisen gemeinsam mit Problemen wie dem Risiko einer Epidemie umgehen, könnte Einblicke in die allgemeinen Prinzipien der Krankheitsdynamik geben, sagt Cremer: "Soziale Interaktionen sind die Routen, auf denen Krankheiten reisen, sie definieren, wie sich Epidemien ausbreiten können. Die Grundlagenforschung an Ameisen kann uns helfen, epidemiologische Prozesse besser zu verstehen, die auch in anderen sozialen Gruppen relevant sein können.“
Quelle: Institute of Science and Technology Austria (IST Austria)
01.12.2018