Tummelwiese oder Kriegsschauplatz

Wem gehört die interventionelle Kathetertherapie der Unterschenkelarterien? Wissenschaftliche Studien zur Ballonaufdehnung und Stentimplantation in der Unterschenkelstrombahn haben gezeigt, dass bei bedrohlichen Durchblutungsstörungen ein Beinerhalt in etwa 90 bis 95 Prozent der Fälle erreicht werden kann, so die Deutsche Gesellschaft für Angiologie.

Prof. Dr. Sigrid Nikol
Prof. Dr. Sigrid Nikol
Prof. Dr. Sigrid Nikol
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Doch der geringe Gefäßdurchmesser und die oft langstreckigen Gefäßveränderungen im Unterschenkelbereich verlangen dem behandelnden Arzt einiges an Können ab. Welche Fachdisziplin aber ist am besten qualifiziert, um die kathetergestützte Versorgung der Gefäße im Unterschenkel durchzuführen? Prof. Dr. Sigrid Nikol, Chefärztin der Abteilung für Klinische und Interventionelle Angiologie an der Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg, wagt sich auf den Deutschen Röntgenkongress, um diese Frage aus Sicht der Kardiologen und Angiologen zu beantworten.

Die Expertin verweist zunächst auf die historische Verquickung der Herz- und Gefäßmedizin mit der interventionellen Kathetertherapie in den Unterschenkeln: „Lange Zeit existierte für die Versorgung von Stenosen oder Verschlüssen in den Unterschenkelarterien überhaupt keine Therapieoption, da es an geeignetem Werkzeug fehlte. Nach ersten Versuchen mit cruralen oder pedalen Bypass-Operationen, die mit hohen Risiken und sehr limitierten Offenheitsraten verbunden waren, entdeckte man dann die koronaren Materialien aus dem Herzkatheterlabor. Dadurch waren es u.a. auch Kardiologendie sich sehr früh auf dem Gebiet des Unterschenkels betätigten. Sie fühlten sich in den drei kleinen Gefäßen im Unterschenkel analog zu den Koronargefäßen von Haus aus wohl.“

Noch heute kommen die koronaren Kathetermaterialien im Unterschenkel zum Einsatz. Und auch die Kathetertechniken aus der Kardiologie wurden schnell auf den Unterschenkel übertragen, wie z.B. Kissing Balloon, Stents, verzweigte Stents sowie Monorail-Technik, die sich bis heute in den Herzkranzgefäßen bewährt hat, um schneller und gegebenenfalls auch ohne Assistenz am Kathetertisch arbeiten zu können. Heute sind es nicht nur die Herzmediziner, die Engstellen an den peripheren Gefäßen behandeln, sondern insgesamt vier Fachdisziplinen: Radiologen, Gefäßchirurgen, Angiologen und Kardiologen.

„Der internistische Ansatz kommt gut an“

Prof. Nikol ist auf dem Gebiet der Gefäßmedizin in mehrfacher Hinsicht zu Hause. Nach mehrjähriger Erfahrung in der Herz und Gefäßchirurgie wurde sie ursprünglich als interventionelle Kardiologin ausgebildet, hat sich dann aber völlig auf die invasive und nicht invasive Behandlung der peripheren Gefäße spezialisiert und ist heute Fachärztin für Kardiologie und Angiologie. Für ihre 2009 neu eingerichtete Angiologische Abteilung an der Asklepios Klinik St. Georg hat sie das ganzheitliche Versorgungskonzept analog zu den kardiologischen Einrichtungen übernommen:

„Ein internistischer Ansatz, bei dem Vorsorge, Therapie, hier vor allem die Gefäßintervention, angeleitetes Gehtraining, Versorgung chronischer Wunden und Infusionstherapien, und Nachsorge aus einer Hand geleistet wird, kommt nicht nur bei den Zuweisern, sondern auch bei den Patienten sehr gut an“, sagt sie. Bereits im zweiten Jahr hat ihre Abteilung mit dieser Strategie 900 Gefäßeingriffe durchführen können. Doch sie betont: „Was sich für uns bewährt hat, muss nicht für alle Krankenhäuser gelten. Es gibt sicher erfolgreiche Gefäßzentren, in denen die einzelnen Fachdisziplinen hervorragend zusammenarbeiten. Mit dem reichhaltigen Erfahrungsschatz den wir heute auf dem Gebiet der interventionellen Gefäßtherapie gesammelt haben, sollten wir immer im Sinne des Patienten denjenigen den Eingriff vornehmen lassen, der es am besten kann, unabhängig von der Facharztausbildung.“

Materialschlacht im Unterschenkel

Sigrid Nikol hat es in ihrem klinischen Alltag vor allem mit zwei Arten von Gefäßstenosen zu tun, erklärt sie: „Zum einen die proximal gelegenen, relativ kurzen Läsionen, die häufig stark verkalkt sind. In diesem Fall verwenden wir weiterhin die koronaren Materialien, einschließlich medikamentenfreisetzender Stents. Zum anderen langstreckige, perlschnurartige oder auch komplette Obstruktionen im distalen Bereich, besonders typisch bei Diabetikern. Dann benötigen wir speziell für den Unterschenkel gefertigte lange Führungsdrähte und Ballonkatheter. Stents sind häufig gar nicht erforderlich, weil die Gefäße selten dissezieren.“

Je kleiner die Gefäße jedoch sind, desto größer ist die Gefahr, dass sie sich wieder verengen. Seit etwa zwei Jahren stehen medikamentenfreisetzende Ballons zur Verfügung, die dies ganz ohne den Einsatz von Stents verhindern können. Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK GmbH) hat die separate Kostenerstattung für die nicht ganz billigen Ballons jedoch in diesem Jahr eingestellt.

Eine Entscheidung, die Prof. Nikol nicht nachvollziehen kann: „Es ist ein großes Problem, dass eine Methode, für die es fundierte wissenschaftliche Daten gibt, nicht mehr erstattet wird.“ Ein Problem, das am Ende wieder alle Fachdisziplinen, die mit Gefäßinterventionen zu tun haben, vereint. Daher befassen sich die verschiedenen Fachgesellschaften mit diesem Thema im Augenblick sehr intensiv.

 

Veranstaltungshinweis
Saal Wachsmann
Do, 17.05., 10:45 - 11:05 Uhr
Was sucht der Kardiologe
im Unterschenkel?
Nikol S / Hamburg
Session: Interventionelle
Radiologie – Quo vadis?

 

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Im Profil

Prof. Dr. Sigrid Nikol begann ihre berufliche Laufbahn in der Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie des Klinikums der RWTH Aachen. Während ihrer Ausbildung zur Interventionellen Kardiologin in Mönchengladbach und an der LMU München war sie auch für den Ultraschall der peripheren Gefäße zuständig. Seit elf Jahren beschäftigt sich die Ärztin neben der regenerativen kardiovaskulären Medizin fast ausschließlich mit peripheren Interventionen.

Von 2001 bis 2009 war sie als Professorin für Molekulare Kardiologie und Leiterin der von ihr aufgebauten Angiologischen Abteilung der Medizinischen Klinik C an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster tätig. Sie wurde im Juli 2009 als Chefärztin der neu gegründeten Abteilung für Klinische und Interventionelle Angiologie an der Asklepios Klinik St. Georg, Hamburg ernannt.

 

 

09.05.2012

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