Totgesagte leben länger

"Der Bericht über meinen Tod war eine starke Übertreibung", schrieb Mark Twain am 2. Juni 1897 im New York Journal. Gleiches könnte für Berichte gelten, die - wie das Deutsche Ärzteblatt am 30. August des vergangenen Jahres - von der Beerdigung der Ballonpumpe sprechen. EH-Korrespondent Holger Zorn recherchierte unter Kardiologen, Kardiochirurgen und Produzenten.

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Die Intraaortale Ballongegenpulsation (IABP) gilt als Mittel der Wahl zur kurzzeitigen mechanischen Herzunterstützung nach einem Herzinfarkt. Adrian Kantrowitz, Herzchirurg am Maimonides Medical Center in Brooklyn führte sie 1967 in die klinische Praxis ein [Surg Clin North Am. 1969 Jun;49(3):505-11]. Das Prinzip ist bestechend einfach: Ein zigarrenförmiger Ballon, an eine Heliumpumpe angeschlossen und EKG-getriggert, wird zusammengefaltet über die Leistenarterie eingeführt und so weit in die absteigende Aorta vorgeschoben, dass seine Spitze knapp unterhalb des Aortenbogens zu liegen kommt. Hat die linke Herzkammer ihr Blut in die Schlagader ausgeworfen, wird der Ballon rasch aufgepumpt. Die Aorta ist blockiert, dass Blut kann nicht nach peripher abfließen, strömt vermehrt in die Koronararterien und verbessert so die Durchblutung des mittlerweile entspannten Herzmuskels. Millisekunden vor dem nächsten Herzschlag wird der Ballon schlagartig leer gesaugt, erzeugt so einen geringen Unterdruck und erleichtert dem Herzen den Auswurf.

In den Leitlinien hatte das Verfahren schon eine Klasse-I-Empfehlung erreicht. Doch wird nur ungefähr jeder vierte Patient im kardiogenen Schock damit versorgt. Es gibt also Zweifel an der Wirksamkeit, die Empfehlung wurde jüngst auf Klasse IIa herabgestuft. Zum Europäischen Kardiologenkongress im August 2012 in München wurde eine randomisierte Multicenter-Studie präsentiert: Von 600 Patienten mit kardiogenem Schock (CS) nach akutem Myokardinfarkt (AMI) wurden 301 mit und 299 ohne IABP versorgt der perkutanen Koronarintervention (PCI) zugeführt. Nach 30 Tagen waren in der IABP-Gruppe 119 Patienten (39.7 %) verstorben und in der Kontrollgruppe 123 Patienten (41.3%). „The use of intraaortic balloon counterpulsation did not significantly reduce 30-day mortality in patients with cardiogenic shock complicating acute myocardial infarction for whom an early revascularization strategy was planned”, konstatiert Professor Holger Thiele, Kardiologe am Herzzentrum der Universität Leipzig für die Autoren der SHOCK-II-Studie [N Engl J Med. 2012 Oct 4;367(14):1287-96].

Manche Experten waren überrascht, andere aber nicht – eben die, die der Klasse-I-Empfehlung nicht bedingungslos gefolgt waren. Vielleicht hilft hier schon die Semantik: Wo nichts pulsiert, im kardiogenen Schock nämlich, kann man auch nicht gegenpulsieren. Inzwischen ist eine weitere Studie erschienen, an einer anderen Patientenpopulation untersucht, aber mit Langzeitdaten – und diese kommt zu einem anderen Ergebnis: Von 301 Patient mit schlechter Herzfunktion und schwerer koronarer Herzerkrankung wurden 151 planmäßig mit und 150 planmäßig ohne IABP der Hochrisiko-PCI zugeführt. Mortalitätsdaten für die gesamte Kohorte waren im Median nach 51 Monaten verfügbar. Insgesamt waren 100 Patienten (33 %) verstorben, davon 42 in der Gruppe mit und 58 in der Gruppe ohne IABP. Dr. Divaka Perera, Kardiologe am St. Thomas Hospital in London erklärt für die Autoren: „Elective IABP use during PCI was associated with a 34% relative reduction in all-cause mortality compared with unsupported PCI” [Circ. 2013 Jan 15;127(2):207-12].

Prof. Marco Tubaro, Kardiologe am San Filippo Neri Hospital in Rom, sieht die Sache so: “Even if a reduction of mortality has not been demonstrated with IABP in association with primary PCI, the bulk of evidence and the everyday clinical practice are in favour of the use of IABP as haemodynamic support in patients with AMI complicated by cardiogenic shock non immediately responsive to volume expansion and inotropic stimulation.”

Oberfeldarzt Professor Andreas Markewitz, Herzchirurg am Bundeswehrkrankenhaus Koblenz, sieht noch einen anderen Aspekt: Von den Patienten in der SHOCK-II-Studie wurden nur wenig mehr als ein Drittel (38 %) komplett revaskularisiert. Markewitz glaubt, dass „die IABP nur dann wirklich nützt, wenn dem Herzen die Chance zur vollständigen Erholung gegeben wird“. Und bei Patienten mit einer Mehrgefäß-Erkrankung gelingt dies nun einmal mit der PCI häufig nicht, hier ist die koronare Bypassoperation (CABG) überlegen. Deshalb attestiert Markewitz der IABP in der Herzchirurgie weiterhin einen hohen Stellenwert. „Demnächst“, sagt er, „erscheint eine neue, interdisziplinäre S3-Leitlinie, die das untermauern wird“. Für eine Beerdigung gibt es also keinen Anlass.

Im Profil:

Oberstarzt Prof. Dr. Andreas Markewitz ist seit 2010 Direktor der Abt. XVII – Klinik für Herz- und Gefäßchirurgie am Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz. Nach dem Medizinstudium in Tübingen und seiner Weiterbildung zum Facharzt für Chirurgie habilitiert er sich 1994 an der Ludwigs-Maximilians-Universität München. 1995 wechselt er als Leitender Oberarzt die Klinik in Koblenz und seit 1996 ist er Facharzt für Herzchirurgie. Prof. Markewitz ist sehr engagiert in der Deutschen Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, der Gesellschaft für Kardiologie und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin.

Prof. Dr. Holger Thiele hat nach dem Medizinstudium an der Freien Universität die Facharztausbildung für Innere Medizin am Herzzentrum Leipzig und am Deutschen Herzzentrum in seiner Heimatstadt Berlin durchlaufen. Nach einem Forschungsaufenthalt bei Dr. Sivananthan in Leeds (UK) arbeitet er als Oberarzt, seit 2006 als Leitender Oberarzt unter Prof. Schuler am Herzzentrum Leipzig. Seit 2009 ist er außerplanmäßiger Professor der Universität Leipzig.
 

30.09.2013

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