Virtuelle Realität
Spielen Sie noch oder behandeln Sie schon?
Forge of Empire, Minecraft oder Dragon’s Prophet – Vorreiter einer besseren Medizin? Computersimulierte Umgebungen, virtuelle Realitäten (VR), in die der Benutzer eintaucht und die auf ihn und sein Handeln reagieren, haben nicht nur einen herausragenden Unterhaltungswert. Experten sagen voraus, dass der Umsatz mit VR-Software im Gesundheitssektor bis 2025 auf 5,1 Milliarden Dollar anwachsen wird.
Report: Cornelia Wels-Maug
Der Gesundheitsmarkt schickt sich an, das zweitgrößte Anwendungsgebiet von Software hinter den Videospielen zu werden, das virtuelle Realitäten erschafft. VR begegnet uns längst nicht mehr nur im Bereich von Science Fiction oder Hollywood Filmen, sondern tatsächlich in einem breiten Spektrum medizinischer Anwendungen.
Die Zunahme wird insbesondere durch die Entwicklungen der Spieleindustrie und der neuesten Generation leistungsfähiger Standardhardware begünstigt: „Die Entwicklungen der Spieleindustrie haben dazu beigetragen, dass die Technik günstiger geworden ist und sie so auch in anderen Bereichen Anwendung findet“, erläutert Marc Herrlich, Juniorprofessor Serious Games Engineering, Technische Universität Kaiserslautern.
Serious Games nicht nur für den OP
Die Möglichkeiten des Einsatzes von VR sind vielfältig und vor allem vielversprechend; sie reichen vom Training bei Notfallinterventionen über Therapien zur Schmerzlinderung und Rehabilitationszwecken bis hin zu verbesserten Operationsmethoden.
Die Chirurgie ist bislang die wohl populärste Anwendung: „Die virtuelle Realität erlaubt es dem Arzt, sich auf sehr intuitive Weise ein Bild zu verschaffen und zu verstehen, was möglich ist“, fasst Philippe Cattin, Professor für Image-Guided Therapy, Medizinische Fakultät Basel, die Vorteile dieser Methode zusammen. Er und sein Team haben erfolgreich daran gearbeitet, in Echtzeit aus Computertomografiedaten die dreidimensionale Darstellung einer virtuellen Umgebung zu erzeugen.
Unter Verwendung einer Virtual-Reality-Brille der neuesten Generation können Operateure in einem dreidimensionalen Raum beispielsweise mit einem Hüftknochen, der operiert werden soll, interagieren: Sie können den Knochen vergrößern, ihn von beliebigen Blickwinkeln aus betrachten, die Beleuchtungsrichtung adjustieren und zwischen der 3D-Ansicht und den gewohnten CT-Bildern wechseln. Dadurch kann sich der Operateur vor dem Eingriff ein möglichst präzises Bild der anatomischen Strukturen machen und so die Qualität seines chirurgischen Eingriffs signifikant verbessern.
Arzt-IT-Patient
In Großbritannien wird bereits eine App bei der Ausbildung angehender Operateure eingesetzt, die chirurgische Eingriffe simuliert. „In der Ausbildung verbringen wir viele Monate damit, zu lernen, wie man operiert, ohne eine Operation durchzuführen“, erinnert sich Chirurg und Mitbegründer, Jean Nehme. Die App verfügt über ein Repertoire an virtuellen Simulationen von Operationen, bei deren Erstellung anerkannte Experten von international führenden Universitäten mitgewirkt haben.
Aber auch außerhalb des OP erweist sich VR als vielversprechend. Der Arzt Brennan Spiegel, Direktor Health Services Research, Cedars-Sinai, personifiziert das Engagement des Krankenhauses auf dem Gebiet der VR.
Er und sein Team erforschen, wie digitale Technologien das Patienten-Arzt-Verhältnis stärken und die Versorgung verbessern können sowie obendrein auch noch helfen, Geld einzusparen. Er hat bereits mit mehr als 300 Patienten erprobt, ob sich VR zur Therapie von Dauerschmerzen, Depressionen und Bluthochdruck bewährt. Dazu bedient er sich einer Palette von auf VR-basierenden Visualisierungen. Seine Erfahrung, die bisher insbesondere auf dem Gebiet der Schmerzlinderung erfolgreich war, bringt Spiegel wie folgt auf den Punkt: „Es ist wirklich schwer, eine Patientenerfahrung in zehn Minuten zu verwandeln, aber genau das macht VR.“
Hilfe zur Selbsthilfe
Auch in Deutschland wird der Gebrauch von VR erforscht. Das Institut für Visual Computing (IVC) der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg arbeitet derzeit an der Entwicklung eines Prototyps für den Einsatz von VR zur Therapie von Angst- und posttraumatischen Belastungsstörungen. André Hinkenjann, Direktor des IVC, weiß: „Die Kombination von visuellen Eindrücken mit multi-sensorischen Ausgaben, wie Wind oder Vibrationen erhöhen den Grad des Eingebundenseins der Nutzer in die simulierten Umgebungen und können so zum Erfolg von Konfrontationstherapien entscheidend beitragen.“
25.04.2017