News • Biomagnetische Hirnforschung

Mit Quantentechnik neurologische Erkrankungen besser verstehen

Charité und PTB eröffnen Forschungszentrum in Berlin

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl und trägt einen großen Helm mit vielen Elektroden, die in einem dicken Kabelstrang nach oben links verbunden sind
Den winzigen Magnetfeldern des Gehirns mit Quantensensoren auf der Spur: Das ist das Ziel des neuen OPM-MEG-Zentrums von Charité und PTB

© Charité | René Krempin 

Schizophrenie, Parkinson, Epilepsie: Diese und andere neurologische Erkrankungen sind noch nicht vollständig verstanden. Einen Schub neuer Erkenntnisse verspricht das neue OPM-MEG-Zentrum, das die Charité – Universitätsmedizin Berlin gemeinsam mit der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Anwesenheit der Berliner Wissenschaftssenatorin Dr. Ina Czyborra eröffnet hat. Erstmals werden hier die sogenannten OPM-Sensoren, die die winzigen Magnetfelder des menschlichen Hirns messen, in größerem Stil in der klinischen Forschung eingesetzt. Das Zentrum ist ein Beispiel dafür, wie aktuellste Quantenmetrologie in die medizinische Anwendung gebracht und zudem der Technologietransfer gefördert wird. 

Wenn Neuronen im Gehirn feuern, dann fließen winzige Ströme. Die entstehenden Magnetfelder kann man mithilfe spezieller Quantensensoren messen. Das Verfahren nennt sich Magnetoenzephalographie (MEG) und liefert wertvolle Informationen über die Funktionen des Gehirns. So lassen sich beispielsweise Hirnrhythmen auslesen, die an den Bewegungsstörungen bei Parkinson beteiligt sind oder bei Psychosen eine wichtige Rolle spielen. 

Ein neuer Typ der Quantensensoren sind optisch gepumpte Magnetometer (OPMs). Sie ermöglichen es, die Hirnsignale bei Zimmertemperatur mit einer bisher unerreichten Kombination aus Echtzeit- und räumlich hochauflösender Funktionsmessung zu erfassen. Anders als die bislang üblichen Sensoren, die extrem gekühlt werden mussten, haben OPM-Sensoren direkten Kontakt zum Kopf. Somit eignen sie sich auch für Patienten, die sich bewegen, wie etwa Kinder oder Menschen mit Parkinson.

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Neuronale Netze sind ein Sinnbild für komplexe Systeme, und so ist auch das Gebiet der Neurologie selbst vielschichtig und kompliziert. Zu den wichtigsten Herausforderungen für Neurologen zählen Therapien und Forschung zu Krampf- und Schlaganfällen, Bewegungsstörungen wie Parkinson, Autoimmunkrankheiten wie der Multiplen Sklerose und Demenzerkrankungen wie Alzheimer.

Um die vielversprechenden Möglichkeiten der neuen Technologie auszuschöpfen, haben Charité und PTB nun auf dem Campus Charité Mitte – also in größtmöglicher Nähe zu Patienten – ein OPM-MEG-Zentrum eingerichtet. Damit bringen beide Partnerinnen ihre jeweilige Expertise zusammen: Die PTB mit ihrer langjährigen Erfahrung rund um biomagnetische Messungen mit Quantensensoren und die dazu nötige Abschirmung wird für die gesamte Messtechnik und deren Weiterentwicklung zuständig sein. Diese setzt die Charité für Forschung im Bereich neurologischer Mechanismen und psychiatrischer Erkrankungen sowie für klinische Studien an größeren Patientengruppen ein. Die kombinierte Expertise verleiht dem Zentrum das Potenzial, zu einer führenden Anlage für das Verständnis, die Erkennung und die Behandlung psychiatrischer und neurologischer Störungen zu werden. Gleichzeitig soll die OPM-Messtechnik für eine breitere klinische Anwendung weiterentwickelt werden. 

Das Herzstück des Zentrums bildet die neueste Generation eines Ganzkopf-OPM-Systems mit 96 OPM-Sensoren, finanziert dank einer Förderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Die Charité übernahm die Baukosten, die PTB stellt und betreibt die vom Bund finanzierte magnetisch geschirmte Kabine. Die schwachen magnetischen Signale des menschlichen Gehirns lassen sich nämlich nur messen, wenn man äußere Magnetfelder, etwa der Erde oder eines in der Nähe vorbeifahrenden ICEs, sorgsam abschirmt. In der neuen Kabine wird mit geringstmöglichem Materialaufwand ein höchstmöglicher Schirmfaktor erreicht. 

Sechs Personen posieren für ein Gruppenfoto. Die Männer ganz links und rechts...
Eröffnung des neuen OPM-MEG-Zentrums (von links): Prof. Peter Krüger, Wissenschaftlicher Zentrumsleiter der PTB; Dr. Ina Czyborra, Berliner Senatorin für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege; Prof. Joachim Spranger, Dekan der Charité; Dr. Arne Höll, Leitung Referat VI B2 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWE); Prof. Cornelia Denz, Präsidentin der PTB; Prof. Peter Uhlhaas, Wissenschaftlicher Zentrumsleiter der Charité.

© Charité | René Krempin 

Das neue Zentrum wird von Forschungsgruppen beider Einrichtungen genutzt werden. Die PTB-Wissenschaftler:innen fokussieren sich auf Forschung in der Quantensensorik, die Umsetzung verlässlicher Quantenmetrologie und eine beschleunigte Technologieentwicklung. Charité-Forschende wollen beispielsweise epileptische Herde im Gehirn insbesondere von Kindern exakter identifizieren, um deren chirurgische Entfernung zu erleichtern. Auch die Entwicklung von modernen Gehirn-Computer-Schnittstellen, die unter anderem die Mobilität von Menschen mit Behinderungen zu verbessern suchen, soll in dem neuen Zentrum vorangebracht werden. 

Um den komplexen Technologietransfer im biomedizinischen Bereich der Quantentechnologie zu beschleunigen, sind Forschungskooperationen mit weiteren Partnerinstitutionen aus Wissenschaft und Wirtschaft geplant. Nicht zuletzt werden junge Start-up-Firmen das Zentrum nutzen können und von Qualitätssicherung und Technologievalidierung profitieren. So trägt das neue OPM-MEG-Zentrum zu den Zielen der Berliner Initiative Berlin Quantum und Berlin UNITE bei, der jüngst gegründeten und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Start-up Factory für Berlin-Brandenburg. 


Quelle: Charité – Universitätsmedizin Berlin

23.10.2025

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