News • Warnung vor unentdeckten Tumoren

Prostatakrebs: Testen statt tasten? Nicht alle Urologen sind begeistert

Im Rahmen der Krebs-Vorsorgeuntersuchung beim Mann ist die Tastuntersuchung der Prostata durch den Haus- oder Facharzt Standard. Zumindest war sie es bisher.

Schematische Darstellung der Tastuntersuchung der Prostata
Die rektal-digitale Untersuchung kommt häufig bei der Früherkennung von Prostatakrebs zum Einsatz

Auch zahlen die Privaten und sogar die Gesetzlichen Krankenkassen diese Untersuchung. Doch es mehren sich die Anzeichen, dass diese abgeschafft und durch eine Laboruntersuchung des Blutes ersetzt werden könnte. Einige namhafte Urologen warnen vor der Entwicklung. Leidtragender könnte der Patient sein, dessen Prostata-Tumor vielleicht unerkannt bleibt, so die Befürchtung der Experten. 

"Männer sind manchmal Muffel – Vorsorgemuffel", präzisiert der Heidelberger Urologe Dr. Martin Löhr seine Aussage. Löhr leitet zusammen mit Dr. Thomas Dill eine Spezialklinik zur Behandlung von Prostata-Erkrankungen. Dorthin kommen jährlich viele hundert Patienten aus aller Welt, um sich besonders schonenden Behandlungsverfahren für gutartige Prostata-Vergrößerungen, für Blasensteine, aber auch für Prostatakrebs zu unterziehen. Einige, vornehmlich privat versicherte, Männer kommen aber einfach nur einmal jährlich zur Prostata-Vorsorgeuntersuchung. "Viele sind das nicht", meinen die beiden Urologen übereinstimmend. Sie schätzen, dass nur einer von drei Männern im höheren Alter den Weg zum Urologen findet. 

Belastbare Zahlen über tatsächliche Vorsorge-Besuche beim Urologen gibt es nicht. Basierend auf Abrechnungsdaten wird von dem Verein "Prostata Hilfe Deutschland e.V." der Barmer-Arzt-Report aus dem Jahr 2021 zitiert. Demnach seien es im Jahr 2019 gerade einmal 4,73 Mio. Männer gewesen, die sich einer Tastuntersuchung zur Krebs-Früherkennung unterzogen hätten. Das wäre ein Anteil von lediglich 12% aller Männer. Ab dem 45. Lebensjahr, wie es Urologen einhellig empfehlen, seien es sogar nur 10,3% gewesen. Erst in noch höherem Alter erkennen Männer offensichtlich die Notwendigkeit der Tastuntersuchung (digitale rektale Tastuntersuchung, DRU), doch über einen Wert von 36,8% (75 bis 79 Jahre) klettert der Wert in keiner Altersstufe. 

Die von den meisten Urologen favorisierte Tastuntersuchung ist für Männer - und natürlich auch für die untersuchenden Ärzte - mit Sicherheit kein Vergnügen. Doch wie bei allen Krebserkrankungen ist der Zeitfaktor entscheidend. Je früher ein Tumor erkannt wird, desto besser sind die Heilungschancen. Das sehen auch die immer auf Kostendämpfung bedachten Gesetzlichen Krankenkassen so und übernehmen einheitlich die Kosten bei Männern ab 45 Jahren - unabhängig davon, ob sie Symptome haben oder nicht. 

Doch es wächst die Kritik an diesem System. Es ist bei Urologen unstrittig, dass eine Bestimmung des Prostataspezifischen Antigens (PSA) im Blut noch viel wichtiger wäre, um einen Tumor frühzeitig zu erkennen, denn eine Tastuntersuchung hat ihre Grenzen. Liegt der Tumor an der Seite der Prostata oder an der von der Darmwand abgewandten Seite, tastet der Urologe oft vergeblich, und der Tumor bleibt unerkannt. Hier ist der PSA-Wert deutlich zuverlässiger, doch die Kosten für dessen Laborbestimmung wird von keiner Gesetzlichen Krankenkasse übernommen.

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Hier hat sich nun in den letzten Monaten ein heftiger Disput in medizinischen Fachkreisen entzündet und es zeichnet sich ab, dass die sogenannten Medizinischen Leitlinien geändert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Urologie (DGU) hat die sogenannte S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom grundlegend überarbeitet und eine "Konsultationsfassung" veröffentlicht. Als wesentliche Neuerungen gilt, dass die digital-rektale Untersuchung, also die Tastuntersuchung der Prostata über den Enddarm zur Früherkennung nicht mehr empfohlen wird. Die Magnetresonanztomographie (MRT) soll nach Vorstellungen der DGU an Bedeutung gewinnen, und bei niedrigem Risiko wird ausschließlich die aktive Überwachung ("Active Surveillance") und der Verzicht auf Gewebeproben (Biopsien) empfohlen. Damit soll die PSA-Bestimmung gemäß einer Empfehlung der EU mehr Bedeutung gewinnen. 

Diese Tumore [die keine PSA-Erhöhung bewirken] sind meist sehr aggressiv und erfordern eine rasche Behandlung

Martin Löhr

Mit dieser Trendwende sind Urologen wie Martin Löhr und Thomas Dill nicht einverstanden. Sie kritisieren das "Entweder - Oder" der aufgekommenen Diskussion und plädieren viel mehr für ein "Sowohl - Als auch". "Schließlich hat sowohl die Tastuntersuchung als auch die PSA-Wert-Bestimmung ihre Vorteile", so Löhr. Und auch ihre Grenzen, wie der Spezialist erklärt. Es gebe sehr wohl Tumore, die sich aufgrund ihrer Lage oder Größe in der Prostata nicht ertasten lassen und erst dann erkannt werden, wenn es spät, wenn nicht gar zu spät ist. "Unser primäres Ziel ist es, Tumore möglichst früh zu erkennen, um dann die richtige Entscheidung treffen zu können, wie man weiter vorgeht", so Löhr. Das kann eine Totalentfernung der Prostata sein, oder auch eine schonende, fokale Teilbehandlung, die in sehr vielen Fällen völlig ausreicht - oder auch das kontrollierte "Nichtstun", also die aktive Überwachung und Beobachtung, wie sich der Tumor entwickelt. 

Und welche Zuverlässigkeit hat die Erhöhung eines PSA-Wertes? Zunächst fast gar keine, erklären die Urologen. Es gibt Faktoren, wie eine meist harmlose Entzündung der Prostata, die zu einer Erhöhung des PSA-Wertes führen. Selbst eine längere Fahrradtour lässt den Wert ansteigen. Und der absolute Wert sagt immer noch wenig aus, wenn man nicht den Verlauf über mehrere Monate und Jahre kennt. "Eine große Prostata erzeugt auch im Normalfall mehr PSA als eine kleine", erklärt Löhr. Daher messen die Heidelberger Urologen per transrektalem Ultraschall (TRUS) die Größe einer Prostata aus, bevor sie eine verlässliche Aussage über einen vielleicht überhöhten PSA-Wert treffen. 

Und es gibt noch einen wesentlich gefährlicheren Fall, der selten, aber doch immer wieder vorkommt: ein Tumor, der gar keine PSA-Erhöhung bewirkt. "Diese Tumore sind zudem meist sehr aggressiv und erfordern eine rasche Behandlung", so Martin Löhr. Das seien geschätzte 3% aller Prostata-Krebsfälle, aber auch die zählten. 

Wie lautet also die Empfehlung der Heidelberger Urologen? Das eine tun, ohne das andere zu lassen. Mit anderen Worten: Parallel zu einer fachkundigen Tastuntersuchung durch einen Urologen gehört eine Bestimmung des PSA-Wertes sowie eine transrektale Ultraschalluntersuchung, um die Größe der Prostata genau zu bestimmen und vielleicht sogar einen Tumor im Ultraschall-Echo zu erkennen. 

Natürlich hoffen die Experten, dass die Gesetzlichen Krankenkassen auch zu dieser Einschätzung kämen, doch das zeichnet sich nicht ab. Die Bestimmung des PSA-Wertes ist nach wie vor eine "Individuelle Gesundheitsleistung" (IGeL), die privat gezahlt werden muss, was auch für den transrektalen Ultraschall und sogar für eine MRT-Untersuchung gilt. Daher stellen die Experten die Frage, warum die urologischen Leitlinien nun geändert werden sollen. Denn selbst wenn die PSA-Wert-Bestimmung künftig empfohlen wird, ist damit zunächst keine Kostenübernahme durch die Kassen verbunden, denn Leitlinien sind Empfehlungen, keine Vorschriften. Und wenn die Tastuntersuchung gar aus dem Leistungskatalog der Gesetzlichen Kassen entfernt werden, dann würden damit die besagten 3% aller Patienten mit aggressivem und unerkanntem Tumor besonders getroffen - auch wenn in der Gesamtschau mehr bislang unerkannte Tumorfälle entdeckt werden. 

Der Haupteffekt, so formuliert es Martin Löhr im Gespräch, dürfte sein, dass man durch den Wegfall der Tastuntersuchung als Empfehlung künftig mehr Männer zur Vorsorge bringen möchte. "Das ist sicherlich ein positiver Effekt, auch wenn damit der Diskussionsbedarf im Patientengespräch massiv wächst und wir uns ständig rechtfertigen müssen, dass wir alle drei - PSA-Wert-Bestimmung, Tastuntersuchung und Ultraschall - für sinnvoll halten." 


Quelle: Klinik für Prostata-Therapie Heidelberg 

13.09.2025

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