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Patienten über Zusatzbefunde informieren? Die Quadratur des Kreises
Bei einer genetischen Diagnostik finden Mediziner oft mehr über ihre Patienten heraus, als Sie eigentlich gesucht hatten – und landen damit in einer prekären Lage: Sollte ein Patient über Zusatzbefunde informiert werden – auch dann, wenn nicht klar ist, ob sie tatsächlich gefährlich werden können?
Bei vielen Zusatzergebnissen ist gar nicht klar, ob sie medizinisch relevant sind
Jochen Taupitz
Wir haben mit Prof. Dr. Jochen Taupitz, einem Spezialisten für Medizinrecht und –ethik von der Universität Mannheim, darüber gesprochen, wie sich diese Situation auflösen lässt.
Doch was versteht man eigentlich unter einem "Zusatzbefund"? "Dabei handelt es sich um einen Befund beispielsweise aus der universitären Forschung, der zufällig erhoben wird und nicht mit der eigentlich verfolgten Fragestellung zusammenhängt", erklärt Taupitz und warnt dabei vor der irreführenden Begrifflichkeit: "Unter einem Befund versteht man medizinisch relevante Erscheinungen, Veränderungen oder Zustände. Bei vielen Zusatzergebnissen ist gar nicht klar, ob sie medizinisch relevant sind."
Wenn ein Mediziner auf ein solches relevantes Ergebnis gestoßen ist, stellt sich die Frage, ob der Patient informiert werden sollte. Taupitz: "Aus ethischer Sicht geht es hier um den Spagat zwischen Fürsorgeprinzip und Nichtschadensprinzip. Auf der einen Seite könnte das entsprechende Wissen dem Betroffenen eine Therapie oder Prävention ermöglichen, ihm also erheblich nützen. Auf der anderen Seite könnte ihn dieses Wissen auch sehr belasten. Aus juristischer Sicht geht es um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung."
Daher greift an dieser Stelle das Gendiagnostikgesetz. Das legt fest, dass ein Patient vor einer genetischen Untersuchung darüber aufgeklärt wird, was im Falle eines Falles passieren kann. "Das Gesetz legt außerdem fest, dass ein Arzt den Patienten berät, falls ein auffälliger Befund vorliegt", ergänzt Taupitz. Das Gendiagnostikgesetz stärkt so das Selbstbestimmungsrecht der Patienten. Für genetische Untersuchungen zu Forschungszwecken gilt es allerdings nicht. "Man geht hier nicht davon aus, dass etwas medizinisch Relevantes für Einzelne herauskommt." Wenn eben das aber trotzdem vorkommt, ein Forscher etwa zufällig eine therapierbare Genmutation entdeckt, dann fällt dieser Befund nicht mehr unter den „Forschungsraum“ und unterliegt damit den Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes - Der Forscher kann in diesem Fall den Befund an den Betroffenen weitergeben.
Die Entscheidung zwischen Wissen und Unwissen bleibt eine Gratwanderung. Taupitz bietet die folgende Lösung an: "Grundsätzlich sollte ein Proband oder Patient Ergebnisse kennen, die für ihn oder für genetisch Verwandte von erheblicher Bedeutung sind. Das betrifft insbesondere schwerwiegende Erkrankungen, die man therapieren oder gar verhindern kann. Schwieriger ist es, wenn es um eine nicht behandelbare Krankheit geht, Chorea Huntington zum Beispiel. Deshalb ist es so wichtig, vor einer Biomaterialspende zu vereinbaren, ob und welche möglichen Ergebnisse mitgeteilt werden sollen."
Profil:
Prof. Dr. Jochen Taupitz ist Professor an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Mannheim. Bis 2016 war er stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Taupitz ist langjähriges Mitglied zahlreicher Gremien und beratender Ausschüsse im medizinischen Bereich.
30.06.2018