News • Fragmente bei Entfernung

Nierensteine: Spin-off schließt Trümmer in Gel ein

Nierensteine werden oftmals durch einen endoskopischen Eingriff entfernt. Ist ein Stein hierbei zu groß, zertrümmern die Urologen diesen per Laser. Die dabei anfallenden größeren Bruchstücke lassen sich mit einem Greifer entfernen, die kleineren Fragmente jedoch nicht. Sie verbleiben in der Niere in der Hoffnung, dass sie auf natürlichem Weg abgehen.

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Das Hydrogel mit eingeschlossenen Nierensteintrümmern nach der Entfernung aus der Niere

© Purenum GmbH

Künftig können Mediziner selbst aktiv kleinste Steinreste bereits während der Endoskopie mit einem Hydrogel aus der Niere herausholen. Entwickelt wurde das biokompatible Zweikomponentensystem von der Purenum GmbH, einem Spin-off des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM. 

Nierensteine gehören weltweit zu einer der Volkskrankheiten. Zehn Prozent der Deutschen leiden nach Angaben der AOK einmal in ihrem Leben an einem Nierenstein. Dessen Größe variiert und kann schlimmstenfalls die Ausmaße einer Walnuss annehmen. Zu den Risikofaktoren für deren Bildung gehören eine unausgewogene Ernährung, Bewegungs- sowie Flüssigkeitsmangel. Die Behandlungsmöglichkeiten umfassen sowohl medikamentöse als auch minimalinvasive Therapien. Durch die permanent weiterentwickelten technischen Möglichkeiten entscheiden sich Urologen immer häufiger für den Eingriff per Endoskop. Dieses wird über die Harnwege in die Niere eingeführt, um die Steine zu lokalisieren und gezielt zu entfernen. Ist der Nierenstein größer als fünf Millimeter und damit größer als die natürlichen Harnwege, muss er durch einen Laser zertrümmert werden. Dabei fallen unterschiedlich große Bruchstücke an. Die größeren können mit einem Greifer entfernt werden. Die kleinen Reste sind jedoch zu winzig, um sie mit den Greifinstrumenten zu fassen. Die in der Niere zurückbleibenden Fragmente können so innerhalb weniger Monate zu einem großen Stein heranwachsen, der erneut Beschwerden auslöst. Dieses Problems hat sich die Purenum GmbH angenommen. Das Unternehmen wurde im Dezember 2017 aus dem Fraunhofer IFAM in Bremen von Manfred Peschka und Prof. Dr. Ingo Grunwald ausgegründet. Die Grundlage für den erfolgreichen Start des Unternehmens legte die Teilnahme am Förderprogramm GO-Bio (kurz für Gründungsoffensive Biotechnologie) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung BMBF.

Die beiden Gründer der Purenum GmbH im Labor: Prof. Dr. Ingo Grunwald (links)...
Die beiden Gründer der Purenum GmbH im Labor: Prof. Dr. Ingo Grunwald (links) und Manfred Peschka

© Purenum GmbH

Das Mittel der beiden Forscher im Kampf gegen die winzigen Steinreste ist ein Hydrogel, welches aus biokompatiblen Grundstoffen hergestellt wird. Es besteht aus zwei flüssigen Komponenten, die für einen guten Farbkontrast blau und gelb eingefärbt sind. Auf diese Weise kann der Operateur die Dosierung sehr genau steuern. Als Erstes wird die blaue Komponente appliziert. Sie umfließt und benetzt die Steinreste. Im nächsten Schritt wird die gelbe Komponente zugegeben. Die Anwendung ist sehr einfach, weil die beiden Komponenten nicht gemischt werden müssen. Die Zugabe der gelben Komponente führt innerhalb weniger Sekunden zur Gelbildung. Dieses Gel ist fest genug, um die kleinen Steinreste im Inneren festzuhalten. Es ist auch elastisch genug, um mit einem Greifer gegriffen und durch enge Kanäle (wie ein Endoskop) gezogen werden zu können. So kann der Operateur das Gel mit den Steinresten problemlos via Endoskop aus der Niere herausziehen. Nach der Operation lässt es sich einfach auflösen, um die Steine analysieren zu können. "Unter dem Namen mediNiK-basic soll es im zweiten Quartal dieses Jahres deutschlandweit auf den Markt kommen", erläutert Manfred Peschka, CEO der Purenum GmbH. 

"Der Begriff 'steinfrei' ist nicht genau beschrieben, es gibt mehrere Definitionen. Auch fehlen systematische Untersuchungen bei Patienten, die Auskunft geben über die während der OP geborgenen Steingrößen", sagt Dr. Ingo Grunwald und fährt fort: "Hierfür lassen wir aktuell eine klinische Studie an fünf verschiedenen Standorten durchführen. Für das neue Gel erhält das Unternehmen Anfragen aus aller Welt, weiß der CTO zu berichten. "Es gibt bislang kein vergleichbares Produkt, mediNiK ist in der Urologie eine Weltneuheit", so der Biologe. 

Die Forschungsaktivitäten der Purenum GmbH beschränken sich nicht auf mediNiK: Im BMBF geförderten Projekt 'mediGLUE' untersuchen die beiden Forscher mit ihren Mitarbeitern Klebstoffformulierungen, die für das Kleben von Knochenfragmenten geeignet sein könnten. Die Vision hinter diesem Forschungsvorhaben ist, eines Tages bei einem komplizierten Knochenbruch im Gelenkbereich auch die bislang nicht fixierbaren kleinen Splitter in den Heilungsprozess zu integrieren. Dadurch wird erwartet, dass nach Abschluss der Heilung wieder eine vollständige Beweglichkeit des Gelenks erzielt wird. Noch weiter in der Zukunft liegt die Möglichkeit, einen Klebstoff an großen Knochen als Ersatz für Platten, Schrauben und Nägel zu verwenden. Der Einsatz eines solchen Klebstoffs würde eine zweite Operation überflüssig machen, bei der das Osteosynthesematerial wieder entfernt wird. "Das ist aktuell noch Science Fiction", sind sich die beiden Gründer einig, zeigen sich aber zuversichtlich, ihr Ziel erreichen zu können. "Wir sind Optimisten", erklären die Entwickler abschließend.


Quelle: Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM

04.04.2022

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