News • Neuer Ansatz
Nierenschädigungen therapieren, bevor Symptome auftreten
Mit einem neu entwickelten Behandlungskonzept verringern Mediziner des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) Komplikationen nach schweren Operationen.
Trotz enormer medizinischer Fortschritte führt eine komplexe Operation zum Beispiel im Bauchraum auch heute noch bei 13 bis 50 Prozent aller Patienten zu einer akuten Nierenschädigung. Ursächlich hierfür können ein verändertes Flüssigkeitsmanagement, hohe Blutverluste oder die Gabe bestimmter Medikamente sein. Insbesondere Patienten mit Begleiterkrankungen wie z.B. Diabetes mellitus sind betroffen.
Die Folgen der akuten Nierenschädigung reichen von einem längeren Krankenhausaufenthalt bis zu einer anhaltenden Einschränkung der Nierenfunktion. In seltenen Fällen kann eine dauerhafte Nierenersatztherapie, die sogenannte Dialyse, notwendig sein. Die Problematik: Wenn nach einer Operation klinische Zeichen für eine Nierenschädigung vorliegen, ist für die Behandlung bereits wertvolle Zeit verstrichen. Mediziner des UKR untersuchten daher in einer klinischen Studie, ob einer drohenden Nierenschädigung entgegengewirkt werden kann, noch bevor sich klinische Anzeichen dafür finden lassen.
Früher Nachweis ermöglicht vorzeitige Therapie
„Wir haben nun erstmals belegt, dass man Häufigkeit und Schwere von Nierenfunktionsstörungen nach einer komplexen Operation im Bauchraum signifikant reduzieren kann, wenn wir diese bereits therapieren, bevor sich die Nierenfunktion tatsächlich verschlechtert“, so die Autoren der Studie Dr. Ivan Göcze, Leitender Oberarzt der Operativen Intensivstation der Klinik und Poliklinik für Chirurgie, und PD Dr. Tobias Bergler, Leitender Oberarzt der Abteilung für Nephrologie. Derzeit können konkrete klinische Hinweise auf Nierenfunktionsstörungen erst 24 bis 48 Stunden nach der Operation nachgewiesen werden.
Der von den Regensburger Medizinern entwickelte Ansatz setzt einen Schritt früher an. Durch den innovativen Einsatz von Urin-Biomarkern lässt sich das Risiko für eine Nierenschädigung bestimmen, noch bevor sich klinische Hinweise hierfür ausbilden. Eine drohende Nierenschädigung kann so bereits vier Stunden nach der Operation mit hoher Sicherheit erkannt und damit auch vorzeitig therapiert werden. Die Ergebnisse dieser klinischen Interventionsstudie wurden kürzlich in „Annals of Surgery“, dem bedeutendsten chirurgischen Journal weltweit, publiziert.
Weniger Erkrankungen bei vorzeitiger Therapie
In die Studie wurden Patienten des Universitätsklinikums Regensburg eingebunden, bei denen komplexe Operationen im Bauchraum notwendig waren und die gleichzeitig einen weiteren Risikofaktor für die Entwicklung einer postoperativen Nierenschädigung aufwiesen. Nach der Operation wurden die Patienten auf der Intensivstation aufgenommen und von den Medizinern auf das Vorhandensein sogenannter Zellzyklusarrest-Biomarker im Urin getestet. „Erhöhte Werte der Proteine TIMP-2 und IGFBP7 zeigen, dass sich die Nierenzellen nach der Operation unter Stress befinden“, erklärt Professor Dr. Thomas Bein, Leiter der Operativen Intensivstation der Klinik und Poliklinik für Chirurgie. So konnte bei Patienten mit erhöhten Werten bereits knapp vier Stunden nach der Operation mit der sogenannten nierenprotektiven Therapie begonnen werden. Diese besteht unter anderem aus der Optimierung des Flüssigkeitshaushaltes, einer konsequenten Überwachung des Blutdruckes, um eine adäquate Nierendurchblutung zu gewährleisten, und der Neubewertung der Gabe potentiell nierenschädigender Medikamente.
Dieses innovative Therapiekonzept reduzierte in über 20 Prozent der Fälle das Auftreten einer akuten Nierenschädigung. Bei über 60 Prozent der so behandelten Patienten verlief die akute Nierenschädigung weniger schwer. Die Patienten konnten die Intensivstation früher als bislang wieder verlassen. „Diese Studie zeigt, dass durch die frühzeitige Nierenprotektion bei Patienten mit positivem Ergebnis des Biomarkertests der zelluläre Stress der Niere als Vorstufe der akuten Nierenschädigung größtenteils umkehrbar ist“, erklärt Professor Dr. Bernhard Banas, Leiter der Abteilung für Nephrologie.
Studienergebnisse könnten zu neuen Behandlungsstandards führen
Der neuartige Urin-Biomarker-Test wurde ursprünglich in den USA entwickelt und 2014 im Rahmen einer klinischen Studie im Universitätsklinikum Regensburg erprobt. Die Forscher fanden damals heraus, dass der Test bei Patienten nach komplexen Operationen vorzeitig Rückschlüsse auf eine drohende Schädigung der Niere liefert . Diese Erkenntnisse führten jetzt im Rahmen der klinischen Interventionsstudie erstmals zu einer Veränderung der bisherigen Therapie. „Perspektivisch können die Ergebnisse dieser Studie dazu führen, dass der Urinmarker-Test bei Risikopatienten nach komplexen abdominellen Operationen zum Standard wird“, gibt Professor Dr. Hans Jürgen Schlitt, Direktor der Klinik für Chirurgie, einen Ausblick. „In der gegenwärtigen Medizin ist die Früherkennung einer drohenden Schädigung ein essentieller Bestandteil einer erfolgreicher Therapie“, ergänzt Professor Dr. Bernhard M. Graf, Direktor der Klinik für Anästhesiologie. Im UKR wird der Test in naher Zukunft in Kombination mit einem elektronischen Frühwarnsystem standardmäßig in der Intensiv-Therapie chirurgischer Patienten eingeführt.
Quelle: Universitätsklinikum Regensburg
21.09.2017