Muss der Radiologe ein guter Psychologe sein?

Wer als Mediziner etwas mit Menschen machen möchte, der entscheidet sich nicht unbedingt für das technik- und bildlastige Fach „Radiologie“. Dabei besteht das Berufsbild aus sehr viel mehr als nur aus Bildaufnahmen. Der Radiologe wird zunehmend zum therapeutischen und betreuenden Arzt.

Prof. Dr. Michael Forsting
Prof. Dr. Michael Forsting
Photo: Muss der Radiologe ein guter Psychologe sein?

Aber verfügt er auch über die notwendigen psychologischen Kompetenzen, um mit den Patienten richtig umzugehen, oder herrscht hier Nachholbedarf? Der diesjährige österreichische Kongresspräsident und der ehemalige Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft beziehen Stellung.

PRO
Prof. Dr. Johannes Lammer, bis vor Kurzem Leiter der Abteilung für Kardiovaskuläre und Interventionelle Radiologie und stellvertretender Klinikdirektor der Wiener Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin:

„Auf die Frage ‚Muss der Radiologe auch psychologisch geschult sein?‘ antworte ich: in mehrfacher Hinsicht, ja! Denn unser Fach ist zunehmend auch in klinische Tätigkeiten involviert, speziell in der Onkologie. Der aufgeklärte Patient von heute möchte nicht selten auch vom Radiologen eine Auskunft über die Ergebnisse seines Befunds bekommen. An eine solche Situation muss man mit entsprechendem Einfühlungsvermögen herangehen. Gute Nachrichten sind immer leicht zu überbringen, schlechte Nachrichten dagegen schwer. Da gilt es, einen heiklen Balanceakt zwischen wahrheitsgetreuer Aufklärung und Einfühlung in den Patienten zu bestreiten.

Mag sein, dass der eine ein Naturtalent in der empathischen Gesprächsführung ist, aber andere brauchen vielleicht ein Rüstzeug in die Hand, das ihnen Orientierung bietet. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass eine erfolgreiche Patientenkommunikation mit der Zeit schon irgendwie von selbst kommt, sondern sie strukturiert angehen und fördern. Deshalb gehört ein Pflichtkurs in Psychologie meiner Meinung nach unbedingt in das medizinische Curriculum.

In meiner Subspezialität, der interventionellen Radiologie, haben wir ständig mit Patienten zu tun. Wir klären sie am Tag vor der Behandlung über den Eingriff auf, wir kommunizieren währenddessen mit ihnen und am Tag danach erkundigen wir uns, wie es ihnen geht. Dabei macht ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient häufig den halben therapeutischen Erfolg aus. Wir dürfen nicht vergessen, dass der Placebo-Effekt auch in der Schulmedizin wesentlich zur Heilung beiträgt. Deshalb ist die richtige Vermittlung der Therapie durch ein empathisches Auftreten gegenüber dem Patienten von maximaler Wichtigkeit.“

CONTRA

Prof. Dr. Michael Forsting, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie des Universitätsklinikums Essen:

„Nein, der Radiologe braucht keine gesonderte psychologische Schulung, um mit Patienten umgehen zu können. Wer zwölf Semester Medizin studiert und danach eine fünfjährige Facharztausbildung durchlaufen hat, ist für den Umgang mit Patienten bestens gerüstet. Leider ist es in Deutschland zur schlechten Angewohnheit geworden, eine besonders kritische Haltung gegenüber den Hochschulen an den Tag zu legen. Tatsächlich ist es aber so, dass unser Nachwuchs extrem gut vorbereitet wird und so eine Arztausbildung nicht im luftleeren Raum geschieht, sondern am Krankenbett.

Auch in der Radiologie gibt es keinen Berufsalltag ohne guten Kontakt zu den Patienten. Wir sind ja keine Bilderfabrik. Natürlich sprechen wir nicht mit jedem Patienten, aber das ist auch nicht notwendig. Wenn jemand den kleinen Finger geröntgt bekommt, muss ich ihm nicht sagen: ‚Alles ist gut.‘
Ich möchte behaupten, dass es in der Medizin deutlich mehr empathische Persönlichkeiten gibt als in anderen Berufen, wo man nicht so vielen Menschen in so vielen Grenzsituationen begegnet. Natürlich gehen Radiologen mit unterschiedlichen Motivationen in diesen Beruf. So mag es den einen oder anderen Kollegen geben, der sich lieber mit Technik beschäftigt. Aber die interventionellen Radiologen, die ich kenne, sind grandiose Ärzte, die sich sehr viel Zeit für ihre Patienten nehmen.
Das Problem ist eher ein strukturelles. Wenn man aufwendige Interventionen statt Routinediagnostik am CT plant, ist dafür eine andere Organisation der Arbeitsabläufe nötig, dann braucht es ein Sprechzimmer, in dem man in Ruhe mit den Patienten reden kann. Ohne diese Voraussetzungen geht es nicht.
 

29.05.2014

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