MTRA
Denken wie Sherlock Holmes
Der Interventionelle Radiologe Prof. Dr. med. Lothar Heuser ist zwar emeritiert, dennoch hat sich der Initiator des RadiologieKongressRuhr in Sachen Nachwuchsförderung nicht zur Ruhe gesetzt. In diesem Jahr hatte er Vorträge für Medizinstudenten in das Programm des RKR aufnehmen lassen.
„Wir wollen uns in diesem Jahr explizit an Studenten wenden. Wir werden bald nicht nur einen Mangel an Landärzten, sondern auch in verschiedenen Fachrichtungen zu spüren bekommen, unter anderem in der Radiologie. Daher ist es so wichtig, dass wir die Studenten und Ärzte in den ersten Weiterbildungsjahren für die Radiologie begeistern“, erklärt Heuser. So empfahl er schon im vergangenen Jahr seinen Studenten Vorträge auf dem RKR, die er für lehrreich und sinnvoll für die junge Mediziner hielt. Das neue Programm zur Nachwuchsförderung ist also eine logische Weiterentwicklung.
Warum konventionelles Röntgenbild lehren?
Die Schnittbilddiagnostik ist schon seit vielen Jahren auf dem Vormarsch, aber leider ist die CT auch mit einer hohen Strahlenexposition verbunden. Zum Vergleich: Ein Röntgenbild der Lunge und eine CT der Lunge haben einen Strahlenunterschied von 1:100. Zum Vergleich: „Ein Transatlantikflug exponiert etwa so viel Strahlung wie 200 Thoraxröntgenaufnahmen“, so Heuser, „und ein weiterer Grund, der im direkten Vergleich für das Röntgenbild spricht, ist der Kostenfaktor. Nach wie vor ist das konventionelle Röntgenbild, die Thoraxaufnahme – neben der Skelettdiagnostik – die Modalität Nummer 1. Mit dieser Methode umzugehen, erfordert allerdings auch Training. „Laut einer Studie übersehen Experten bis zu 40 Prozent wesentliche Befunde in der Röntgenaufnahme. Man muss also die Bilder mit einer gewissen Systematik analysieren und ‘scannen‘.“
Bei den Schnittbildverfahren ist die Anatomie sehr genau zu erkennen – scheibchenweise in Längs- oder Querschnitten. „Wer sich mit Anatomie auskennt, dem entgeht so schnell nichts auf diesen Bildern“, weiß der Experte. Doch bei konventionellen Aufnahmen – und insbesondere bei der Aufnahme des Thorax – projiziert sich ein dreidimensionaler Körper auf eine zweidimensionale Ebene. „Hier kommt es zu einer Vielzahl von Strukturüberlagerungen, die der behandelnde Arzt erstmal erkennen und entwirren muss. Dass wird heutzutage nicht mehr ausreichend trainiert, weil sich alle auf die Schnittbilder stürzen.“ Es gibt aber eine Vielzahl von Mustern, die man beim konventionellen Röntgenbild erlernen kann, „und erst wenn man sie kennt, erkennt man sie auch“, so Heuser.
Herzinsuffizienz
„Um eine vollständige Analyse durchzuführen, brauchen wir immer zwei senkrecht zueinanderstehende Ebenen im Röntgenbild. Das gilt für den Knochenbruch genauso wie für die Thoraxaufnahme“, erklärt Heuser weiter. Durch die Strukturüberlagerungen ist auf dem Thoraxübersichtsbild das Herz als ein großer, weißer Schatten zu sehen – es sind keine weiteren Strukturen zu erkennen. „Wir sind also bei der Analyse dieses Bildes auf die Randkonturen angewiesen und müssen genau wissen, wo etwas mehr oder etwas weniger konturiert sein darf. Das muss trainiert werden“, erklärt der Radiologe.
Der Radiologe führt drei Dinge auf, die die Hämodynamik auf dem Röntgenbild des Thorax beeinflussen: die Herzleistung, die Lungenstruktur – zum Beispiel die Überblähung der Lunge, Lungenemphysem – und reflektorische Mechanismen. „Das Röntgenbild muss als im Zusammenspiel dieser Faktoren betrachtet werden.“
Um zum Beispiel eine Herzinsuffizienz diagnostizieren zu können, müssen die Lungengefäße genau betrachtet werden. Diese reagieren in ihrer Weite und ihrem Verteilungsmuster in Relation zur zugrundeliegenden Erkrankung. Ein Beispiel: Fließt zu viel Blut durch die Lungengefäße, werden sie dicker. Steigt der Druck in den Lungengefäßen an, erweitern sich nur die zentralen Lungengefäße, weil sie elastisch sind. Die periphären Lungengefäße haben muskuläre Wandelemente und erweitern sich nicht auf Druck. „Dies muss man im Röntgenbild genau analysieren und deuten können“, so der Radiologe. Bei der Herzinsuffizienz liegt ein Rückstau des Blutes vor, insbesondere vor dem linken Herzen. Das führt dazu, dass Wasser in die Lunge und in die Pleura Räume abgepresst wird. „Selbst wenn wir die Flüssigkeitsansammlung im Röntgenbild nicht sehen, sehen wir, wie die Gefäße darauf reagieren – sie werden nämlich enger, weil der Gasaustausch behindert wird“, weiß Heuser. Für ihn ist es wichtig, seinen Studenten beizubringen, dass sie aufbauend auf den anatomischen, physiologischen und pathophysiologischen Kenntnissen, die sie im Studium erworben haben, anfangen, wie Sherlock Holmes zu kombinieren und zu denken. „Ärzte müssen die Vielfalt der Möglichkeiten so weit eingrenzen, dass sie die richtige Diagnose stellen können. Ich möchte weg davon, dass bei einem Notfall-Patienten sofort komplizierte radiologische Untersuchungen angeordnet werden, bevor das Denken beginnt.
Und dazu sind die konventionellen Bilder besser geeignet“, sagt der erfahrene Radiologe.
PROFIL:
Prof. Dr. Lothar Heuser leitete bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2012 das Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Bochum-Langendreer und ist damit erster radiologischer Lehrstuhlinhaber im Rahmen des Bochumer Modells. Prof. Heuser war an der Entwicklung der Perfusions-CT und der Gründung des „Radiologie Kongress Ruhr“ im Jahre 2007 maßgeblich beteiligt.
02.12.2014