Interview • Bis ins Mark
Morbus incognitus: Knochenmark
Erkrankungen des Knochenmarks sind vielfältig, können in der Bildgebung jedoch sehr ähnlich aussehen. Prof. Dr. Rainer Erlemann, ehemaliger Chefarzt des Instituts für Radiologie der HELIOS St. Johannes Klinik, Duisburg, gibt Auskunft über die diagnostische Vorgehensweise bei der Befundung des Knochenmarks in der MRT.
Interview: Karoline Laarmann
Prof. Dr. Erlemann, in welchem Zusammenhang stößt der Radiologe auf eine ihm unbekannte Krankheit im Knochenmark?
In den meisten Fällen stellen sie Zufallsbefunde dar, da bei klinischem Verdacht auf eine Knochenmarkerkrankung eine Knochenmarkpunktion durchgeführt wird, die auch heute noch der Goldstandard bei diesen Erkrankungen darstellt. Radiologisch können Knochenmarkerkrankungen fast ausschließlich in der Magnetresonanztomographie nachgewiesen werden. Durch das konventionelle Röntgen wird vom intraossären Anteil des Knochens lediglich die Spongiosa abgebildet. Bei der Computertomographie werden die Spongiosa und im Bereich der Diaphysen der Markraum abgebildet. Beide Verfahren sind deshalb im Nachweis von Knochenmarkerkrankungen insensitiv. Bei der MRT dagegen wird vom intraossären Anteil das Knochenmark abgebildet, während sich die Spongiosa fast nicht darstellt. In der Praxis wird man auf Knochenmarkerkrankungen eher als weiter abklärungsbedürftigen Zufallsbefund stoßen.
In Krankenhäusern mit spezialisierten hämatologischen Abteilungen wird die MRT bei einigen Fragestellungen eingesetzt, um eine Verdachtsdiagnose zu erhärten oder zu verwerfen. Davon betroffen sind Patienten mit laborchemischen Hinweisen auf ein multiples Myelom und negativer Knochenstanze. Bei dieser Erkrankung wird die MRT bei gesicherter Diagnose auch zum Staging eingesetzt. Zudem werden Patienten mit einem MGUS (monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz) mittels MRT untersucht, um mögliche Herde eines multiplen Myeloms zu finden. Denn 10 Prozent der Patienten entwickeln innerhalb von zehn Jahren ein multiples Myelom. Da eine Knochenmetastasierung primär immer im Knochenmark stattfindet, ist die Suche nach ossären Metastasen eigentlich eine Knochenmarkbildgebung.
Welches sind die am häufigsten auftretenden Knochenmarkerkrankungen, die jeder Radiologe kennen sollte?
Die Diagnose von fokalen und multifokalen Knochenläsionen gehört zum Standardrepertoire des Radiologen. Aber jeder Radiologe sollte auch die typischen Bilder einer diffusen Knochenmarkerkrankung kennen. Liegt diese vor, kann es sich um eine diffuse Metastasierung, ein multiples Myelom, eine Leukämie oder eine andere seltenere hämatoblastische Erkrankung handeln.
Eigentlich ist es eine Blickdiagnose, wenn man weiß, wonach man schauen muss. Die zwei wichtigsten Regeln, die auf eine pathologische Veränderung hinweisen, lauten: Erstens, in den T1w Bildern jenseits des Kindesalters ist die Signalintensität des Knochenmarks eines Wirbels höher als in der benachbarten Bandscheibe und zweitens, in Epiphysen und Apohysen ist spätestens sechs Monate nach Auftreten der Epiphysen- und Apophysenkerne immer nur Fettmark vorhanden. Die letzte Regel ist die verlässlichste, um bei Kindern in der Bildgebung eine Leukämie zu diagnostizieren.
Wie manifestieren sich diese Erkrankungen im Bild?
In der MRT zeigen die verschiedenen Knochenmarkerkrankungen eine fast identische Morphologie. Das Bild einer diffusen Knochenmarkinfiltration einer Leukämie unterscheidet sich nicht signifikant von einem gleichartigen Zustand bei einem multiplen Myelom. Daneben können gutartige Knochenmarkerkrankungen, wie chronische (angeborene) Anämien auch das Bild einer neoplastischen Knochenmarkerkrankung imitieren. Auch können eine extreme sportliche Belastung, die Gabe von GCSF oder Erythropoetin u.a. das Bild einer neoplastischen Knochenerkrankung vortäuschen. Ein weiteres Problem in der Diagnosestellung ist, dass das Knochenmark in der MRT sehr inhomogen aussehen kann, wodurch der Radiologe auf den ersten Blick an eine Metastasierung denken kann. In dem Vortrag wird auch vorgestellt, wie man sich vor dieser Fehldiagnose schützen kann.
Gibt es weiterführende Bildgebungsverfahren, die man zusätzlich in Betracht ziehen kann?
Neoplastische Prozesse können so schnell ablaufen, dass der ortsständige Knochen nicht ausreichend genug abgebaut wird, um als Läsion in der CT dargestellt zu werden
Rainer Erlemann
In einigen Fällen kann bei einem in der MRT unklaren solitären Befund die CT weiterhelfen, wenn man an der unklaren Stelle eine Osteolyse nachweisen kann. Zeigt die CT keinen Befund, bedeutet dies aber nicht, dass kein maligner Befund vorliegt. Denn neoplastische Prozesse können so schnell ablaufen, dass der ortsständige Knochen nicht ausreichend genug abgebaut wird, um als Läsion in der CT dargestellt zu werden. In seltenen Fällen kann eine PET zusätzliche Informationen liefern.
Gibt es einen abschließenden Tipp, den Sie den Kollegen mit auf den Weg geben können?
Ja, und zwar: Nehmen Sie die Fragen „Ist das Knochenmark des Wirbels im T1w Bild signalintensiver als die benachbarte Bandscheibe?“ und „Ist in den Epiphyen und Apophysen nur Fettmark vorhanden?“ in Ihren Diagnosestandard auf und Sie werden Knochenmarkerkrankungen diagnostizieren können. Allerdings werden Sie nicht in der Lage sein, eine spezifische Diagnose stellen zu können.
Veranstaltungshinweis
Raum: Gold-Saal
Freitag, 09.11.2018, 16:15 Uhr
Morbus incognitus: Knochenmark
Rainer Erlemann, Dinslaken
Session 9: Muskuloskelettale Radiologie I
Profil:
Prof. Dr. Rainer Erlemann leitete 25 Jahre lang das Institut für Radiologie der HELIOS St. Johannes Klinik in Duisburg-Hamborn, bevor er 2017 in den ärztlichen Ruhestand trat. Jetzt ist er als geschäftsführender Gesellschafter der Röntgendiagnostischen Fortbildung Neuss tätig. Erlemann hat bisher mehr als 600 Fortbildungsvorträge und wissenschaftliche Vorträge gehalten. Er wurde u.a. mit dem Felix-Wachsmann-Preis der DRG, dem Preis der Association pour l’Etude et la Recherche en Radiologie und mehrmals mit dem Editor’s Recognition Award der Fachzeitschrift „Radiology“ ausgezeichnet.
10.11.2018