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Lungenultraschall: Chance für einen unterschätzten Helfer
COVID-19 als Chance für den Ultraschall: Die Pandemie könnte Gelegenheit bieten, mit ein paar Mythen zur Sonografie aufzuräumen und helfen, diese häufig unterschätzte Modalität stärker in Kliniken und Praxen zu etablieren. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Ultraschall-Gesellschaften DEGUM, ÖGUM und SGUM sprachen Sonografie-Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz darüber, wie der Ultraschall bei COVID-19-Lungenentzündungen seine Stärken ausspielt – und wie es nach der Pandemie weitergehen könnte.
Bericht: Wolfgang Behrends
Eigentlich bringt die Sonografie für das Pandemie-Setting beste Voraussetzungen mit: Sie ist schnell, hochauflösend, mobil und kommt ohne Strahlenbelastung für die Patienten aus. Mithilfe von Schutzhüllen an den Geräten lässt sich das Kontaminierungsrisiko geringhalten. Zudem liefert die Technik viele COVID-relevante Informationen: So lässt sich beispielsweise der Zustand der Lunge und damit das Fortschreiten der Erkrankung gut einschätzen, erläutert Prof. Dr. Josef Menzel: „Wenn bereits unmittelbar an der Brustwand Infiltrate zu sehen sind, ist eine engmaschige Überwachung des Patienten angezeigt“, so der Direktor der Medizinischen Klinik II im Klinikum Ingolstadt und Neupräsident der DEGUM.
Die Scheu davor, Ultraschallbildgebung trotz dieser Vorzüge bei COVID-Patienten einzusetzen, ist vermutlich anerzogen, vermutet Menzel: „Früher hieß: Luft ist der Feind des Ultraschalls.“ Folglich zögen viele Diagnostiker die Sonografie der Lunge gar nicht erst in Betracht. „Hier ist es Zeit für einen Paradigmenwechsel, denn auch lufthaltige Organe lassen sich mit Ultraschall gut untersuchen.“
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Vorteil Verlaufskontrolle
Besonders bei schweren COVID-Verläufen kann der Ultraschall punkten, bekräftigt Prof. Dr. Dirk-André Clevert, Oberarzt am Institut für Klinische Radiologie und Interdisziplinären Ultraschall-Zentrum des Klinikums der Universität München-Großhadern. Bei Patienten mit Verdacht auf COVID wird zwar primär ein CT gefahren, doch ist bei schweren Verläufen der Transport zum CT oft nicht mehr möglich. „Hier können wir auf den Ultraschall zurückgreifen. Dieser zeigt beispielsweise, ob sich Konsolidierungen in der Lunge zurückbilden und lässt damit frühzeitig Rückschlüsse zu, ob sich ein Patient auf dem Weg der Besserung befindet oder ob die intensivmedizinische Betreuung verstärkt werden muss.“
Wichtig ist es, um die Stärken und Schwächen der bildgebenden Modalitäten zu wissen, gibt Clevert zu bedenken: „Alles, was in der Peripherie der Lunge passiert, ist prädestiniert für Ultraschall. Im Körperinneren – etwa bei einem zentral gelegenen Lungentumor – sind Verfahren wie die CT besser geeignet. Die bislang geringe Etablierung des Ultraschalls an deutschen Kliniken könnte sich dank dieser Erkenntnisse durch die aktuelle Corona-Krise nachhaltig verbessern.
Mit Standardisierung schnell durch das „Risikogebiet“
Um die Vorteile des Lungenultraschalls vielen Untersuchern zugänglich zu machen, hat PD Dr. Konrad Friedrich Stock vom Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München zusammen mit Kollegen Wege zur Standardisierung der Technik erarbeitet. „Unser Ziel war dabei die Hilfe zur Selbsthilfe“, so der Experte. So flossen Erkenntnisse, die weltweit im Umgang mit COVID-Patienten gewonnen wurden, in das Protokoll zur standardisierten Untersuchung ein. Zentraler Baustein ist die Unterteilung in Untersuchungsareale, die systematisch auf COVID-typische Befunde wie Fragmentierungen, Konsolidierungen oder charakteristische Veränderungen der B-Linien (z.B. „Kometenschweif-Artefakte“) abgearbeitet werden.
Wichtigster Aspekt ist die Verringerung der Behandlungszeit, betont Stock, denn: „Bei der Untersuchung eines COVID-Patienten betritt man effektiv Risikogebiet. Schnelles und konzentriertes Arbeiten ist daher ein absolutes Muss.“ Da die Forschung zu SARS-CoV-2 laufend neue Erkenntnisse liefert, werden diese im Rahmen einer Multicenter-Studie auch laufend evaluiert und die im Protokoll behandelten Kriterien bei Bedarf aktualisiert. „Davon werden wir vor allem bei weiteren Infektionswellen profitieren.“
Das „bildgebende Stethoskop der Zukunft“
Den Blick über Ländergrenzen hinaus öffnete Prof. Dr. Gebhard Mathis, der als Leiter des Arbeitskreises Notfallsonographie die österreichische Gesellschaft ÖGUM repräsentiert. „Im Vergleich zu Italien oder Spanien ist Österreich bislang gut davongekommen.“ Hier spiele der frühzeitige und konsequente Kurs der Bundesregierung eine wesentliche Rolle. Auf diagnostischer Seite habe aber auch der Ultraschall zur Eindämmung der Pandemie beigetragen: „Bei etwa 90 Prozent der an COVID-19 Gestorbenen konnten entzündliche Veränderungen an der Lunge festgestellt werden. Aus Meta-Analysen ist schon lange bekannt, dass solche Lungenentzündungen im Ultraschall mit hoher Treffsicherheit diagnostiziert werden können – in der Zuverlässigkeit etwa gleichauf mit der CT, und besser als mittels Röntgenthorax.“ Durch Lungenultraschall, so das Resümee des Experten, lasse sich der Schweregrad einer COVID-19-Infektion in der Notaufnahme schnell und zuverlässig einschätzen. Dank mobiler Geräte punktet die Sonografie auch bei der bettseitigen Verlaufskontrolle. „Tragbare Ultraschallgeräte werden das bildgebende Stethoskop der Zukunft sein“, so Mathis.
Schnelle Differenzierung ist gefragt
Die Schweizer Perspektive lieferte anschließend Dr. Rudolf Horn. Der Co-Chefarzt am Spital Val Müstair und Kursleiter in der Schweizerischen Gesellschaft SGUM machte auf einige Besonderheiten in seinem Land aufmerksam: „Wir beobachten, dass Bergregionen wie Tessin, Wallis oder Graubünden viel mehr COVID-Patienten aufweisen als die Ballungszentren.“ Für die Lungendiagnostik spiele Ultraschall zwar eine wichtige Rolle, die Verbreitung in den Kliniken sei jedoch sehr unterschiedlich – während einige Abteilungen sehr viele Ultraschall-Untersuchungen durchführten, nutzten andere fast ausschließlich die CT-Bildgebung zur Diagnostik. Besser etabliert sei die Modalität bei den Hausärzten, die Ultraschall zur Diagnostik von Lungenerkrankungen häufig nutzten. Gerade in abgelegenen Regionen, in denen die nächste Klinik mehrere Bergpässe und Fahrstunden entfernt liegt, sei diese Modalität ein unentbehrliches Hilfsmittel. „Wenn der Hausarzt die Möglichkeit hat, die Lunge zu schallen, können viele unnötige Einweisungen in Kliniken vermieden werden“, bekräftigt auch Prof. Mathis.
„Gerade während einer Pandemie muss schnell differenziert werden“, sagte Dr. Horn. „Differentialdiagnosen mit den üblichen Methoden können bis zu 3 Stunden dauern – mit Ultraschall kann dieser Zeitraum auf 23 Minuten reduziert werden.“ So könne beispielsweise die Beobachtung der B-Linie zügig Aufschluss darüber geben, ob eine COVID-Infektion, eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) oder eine Herzinsuffizienz vorliegen – alle drei äußern sich in der Notaufnahme durch ähnliche Symptomatik.
„Als virale Erkrankung ist COVID-19 ubiquitär“, fasst Prof. Menzel abschließend zusammen. „Zielorgan ist zwar die Lunge, aber es kann auch der ganze Körper betroffen sein – Nerven, Gefäße, die Blutgerinnung.“ Daraus ergebe sich, gerade zu Beginn der Erkrankung, ein sehr unklares klinisches Bild – der Bedarf an schneller und zuverlässiger Diagnostik sei entsprechend hoch.
16.06.2020