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Lungenkrebsscreening ist in Deutschland nicht in Sicht

Ein von der European Society of Radiology (ESR) und der European Respiratory Society (ERS) kürzlich herausgegebenes Whitepaper bekräftigt die potenziell lebensrettende Auswirkung der Detektion von Lungenkrebs im Frühstadium mithilfe eines Low-Dose-CT-Lungenscreenings bei starken Rauchern. In Deutschland wird das präventive Lungenscreening nach wie vor kontrovers diskutiert. Seine Umsetzung scheitert vor allem an einer fehlenden Gesetzgebung und auch deshalb, weil kleinere Studien in Europa zum Teil das Gegenteil der amerikanischen NLST-Studie zu beweisen scheinen, wie Prof. Dr. Stefan Diederich, Chefarzt des Instituts für Radiologie am Marien Hospital Düsseldorf, zu berichten weiß.

Prof. Dr. Stefan Diederich, Chefarzt des Instituts für Radiologie am Marien...
Prof. Dr. Stefan Diederich, Chefarzt des Instituts für Radiologie am Marien Hospital Düsseldorf.

„320 Screenings retten einen Patienten“

Laut Whitepaper von ESR und ERS sind die Zahlen eindeutig: Präventive Lungenscreenings bei aktiven Rauchern retten Leben. „Weltweit gibt es zahlreiche Empfehlungen, solche Lungenscreenings durchzuführen“, berichtet Diederich. Deutschland spricht keine solche Empfehlung aus. „Das Problem ist, dass alle positiven Zahlen von einer einzigen Studie herrühren, nämlich dem amerikanischen ‚National Lung Screening Trial‘. Die Empfehlungen für das Screening der Lunge stammen alle aus Ländern, die keine Röntgenverordnung haben, wie es in Deutschland der Fall ist.“ Laut dieser dürfen asymptomatische Menschen nicht geröntgt werden, was es schwierig macht, eine Zwischenstufe zwischen offiziellem Screeningprogramm wie bei der Mammographie und der symptomorientierten Bildgebung einzuziehen. „Unsere Gesetzgebungs- und Kontrollinstitutionen akzeptieren eine individuelle Früherkennung bislang nicht als Indikation. An dieser Situation wird auch das Whitepaper erst einmal nichts ändern“, so Diederich.

Bremsende Faktoren

„Zwar ist auch in Deutschland die theoretische Erkenntnis vorhanden, dass ein präventives Screening unter klar beschriebenen Bedingungen sinnvoll sein könnte, aber für die praktische Umsetzung fehlt die Freigabe des Bundesumweltministeriums, das als Gesetzgeber hier zuständig wäre“, so Diederich. Schon vor Jahren haben die Deutsche Röntgengesellschaft und die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie entsprechende Statements für Lungenkrebsscreenings publiziert. Viele Organisationen befürworten ein Konzept , bei dem Hochrisikoraucher eingeladen werden oder sich anmelden können und das dann vernünftig wissenschaftlich-epidemiologisch begleitet wird, um zu schauen, ob in Deutschland ähnliche Ergebnisse zu erzielen sind.

„Hier stehen wir vor dem Problem der Kostenübernahme“, erklärt der Radiologe, „die Ministerien waren der Auffassung, dass die Krankenkassen die Kosten der CT-Untersuchungen übernehmen sollten, diese sahen sich aber nicht in der Lage, die entsprechenden Mittel selbst zur Verfügung zu stellen.“ Zwar saßen bei Beratungsgesprächen die Vertreter der Spitzenverbände der privaten und gesetzlichen Krankenkassen mit am Tisch, doch sind sie den einzelnen Krankenkassen gegenüber nicht weisungsbefugt. Im Klartext: Die Krankenkassen müssen nicht umsetzen, was an diesem Tisch besprochen wird“, klärt Diederich auf.

Der Gesetzgeber muss eingreifen

Die einzige Möglichkeit, dieses Dilemma zu lösen, wäre, eine Vereinbarung zu treffen zwischen dem Gesetzgeber, der klären müsste, unter welchen Bedingungen symptomfreie Raucher mit hohem Krebsrisiko untersucht werden dürften, den Krankenkassen, die die Kostenübernahme klären, und den Fachgesellschaften, die die Durchführung und die Qualität sicherstellen müssen. „Denn Qualität ist bei einem solchen Vorhaben obligat, sonst kommen wir schnell in dieselbe Situation wie beim Mammographiescreening, für das es zunächst auch keine gesetzliche Regelung gab. Als Folge gingen die Patientinnen in jede Praxis, in der ein Mammographiegerät zur Verfügung stand. Ein ‚Grauscreening‘ ohne jegliche Qualitätskontrolle gilt es unbedingt zu vermeiden.“

Kommt nicht bald eine Einigung zustande, könnte jedoch genau das passieren. Der Patient ist heute aufgeklärt, hat ein wachsendes Interesse an der eigenen Gesundheit und informiert sich im Internet. „Früherkennungsuntersuchungen mit CT sind zwar auch für Selbstzahler nicht zulässig, aber gerade bei aktiven Rauchern lässt sich leicht eine Fragestellung konstruieren, die CT- oder Röntgenuntersuchungen ermöglicht“, befürchtet Diederich.

Europäische Studien sind zu wenig aussagekräftig

Kritiker bemängeln, dass nur eine einzige Studie aus den USA existiert, die dem präventiven Lungenscreening einen lebensrettenden Erfolg bescheinigt. Und diese Studie wurde zu den in den USA herrschenden Bedingungen durchgeführt. „Man darf also getrost davon ausgehen, dass die Bedingungen dort sehr gut waren, sowohl was die Qualität der Durchführung und der Befundung der CT-Untersuchungen als auch die Behandlung anbelangt. Ob sich das in der Breite in Europa ebenso sicherstellen lässt, ist fraglich“, sagt Diederich.

Nichtsdestotrotz gibt es in Europa viele kleinere Studien zum Thema. So führen Holland und Belgien mit der NELSON-Studie, die 2016 erste Ergebnisse liefern wird, Deutschland mit der LUSI-Studie und Italien und Dänemark eigene Erhebungen durch. „Das Problem ist nur, dass die Studien nicht groß genug sind, obwohl bereits randomisiert und mit einem Kontrollarm versehen. Sie haben nicht die benötigte statistische Aussagekraft, weil zu wenig Teilnehmer in die Studien auf Länderebene eingebunden waren. Und länderübergreifend lassen sich die Studien aufgrund fehlender identischer Studienprotokolle nur schwer zusammenbringen“, so Diederich.

Von allen diesen kritischen Punkten abgesehen deuten die Studien in Europa zusätzlich auf andere Ergebnisse: „Die Zahlen aus den unterschiedlichen Studien, auch wenn sie statistisch nicht signifikant sind, zeigen bei einigen kleineren einen gegenteiligen Trend wie die NLST-Studie. Die Sterberate stieg mit dem Screening an, statt zu sinken“, mahnt der Facharzt für Radiologie und fügt abschließend hinzu: „Aus dieser Perspektive betrachtet ist nachvollziehbar, dass ein so großes und kostenintensives Projekt auf Basis einer einzigen erfolgreichen Studie aus den USA und nicht kohärenter Ergebnisse zum Lungenscreening in Europa erst einmal nicht initiiert werden wird.“


PROFIL:
Prof. Dr. Stefan Diederich ist Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Marien Hospital Düsseldorf. Gleichzeitig ist der Träger des Langendorff- und des Eugenie-und-Felix-Wachsmann-Preises und zahlreicher weiterer Auszeichnungen, Gutachter für zahlreiche wissenschaftliche Zeitschriften und hat zahlreiche Funktionen in namhaften Fachgesellschaften inne.

Veranstaltungshinweis:
Raum: Europa-Saal
Samstag, 3. Oktober 2015, 14:00–14:20 Uhr
Screening: Derzeitiger Kenntnisstand
S. Diederich, Düsseldorf/Deutschland
HS 7 – Bronchialkarzinom

25.09.2015

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