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Leitfähiges Hydrogel könnte Hirngewebe ersetzen
Hydrogele werden aufgrund ihrer gewebeähnlichen mechanischen Eigenschaften immer mehr im biomedizinischen Bereich eingesetzt.
Ein bekanntes Beispiel sind weiche Kontaktlinsen. Diese gelartigen Polymere bestehen zu 90 Prozent aus Wasser, sind elastisch und besonders biokompatibel. Hydrogele, die zusätzlich auch noch elektrisch leitfähig sind, erlauben weitere Einsatzmöglichkeiten, zum Beispiel bei der Weitergabe von elektrischen Signalen im Körper oder als Sensoren. Ein interdisziplinäres Forschungsteam des Graduiertenkollegs (GRK) 2154 „Materials for Brain“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) hat nun eine Methode entwickelt, mit der sich Hydrogele mit einer sehr guten elektrischen Leitfähigkeit herstellen lassen. Das Besondere an ihrer Methode: Die mechanischen Eigenschaften der Hydrogele bleiben dabei weitestgehend erhalten. So könnten sie sich zum Beispiel besonders gut als Material für medizinische funktionale Implantate eignen, die bei bestimmten Gehirnerkrankungen eingesetzt werden. Ihre Ergebnisse erschienen in der Fachzeitschrift Nano Letters.
„Die Elastizität von Hydrogelen lässt sich an die unterschiedlichen Gewebearten im Körper anpassen, auch an die Konsistenz von Gehirngewebe. Deshalb sind sie für uns besonders als Implantatmaterial interessant“, erklärt Materialwissenschaftlerin Margarethe Hauck, Doktorandin im GRK 2154 und eine der Erstautorinnen der Studie. Der interdisziplinäre Zusammenschluss aus Materialwissenschaft und Medizin erforscht unter anderem die Entwicklung von neuen Materialien für Implantate, zum Beispiel zur Wirkstofffreisetzung bei Gehirnerkrankungen wie Epilepsie, Tumoren oder Aneurysmen. Mit leitfähigen Hydrogelen könnte die Freisetzung von Wirkstoffen gesteuert werden, um bestimmte Erkrankungen lokal noch gezielter behandeln zu können.
Um elektrisch leitfähige Hydrogele herzustellen, werden herkömmlichen Hydrogelen in der Regel stromleitende Nanomaterialien aus Metallen oder Kohlenstoff beigemischt, wie beispielsweise Goldnanodrähte, Graphen oder Kohlenstoffnanoröhren. Für eine gute Leitfähigkeit ist oft eine hohe Konzentration der Nanomaterialien nötig. Das verändert jedoch die ursprünglichen mechanischen Eigenschaften der Hydrogele wie ihre Elastizität – und damit auch ihre Wechselwirkung mit den umgebenden Zellen. „Zellen reagieren besonders sensibel auf die Beschaffenheit ihrer Umgebung. Sie fühlen sich am wohlsten mit Materialien, die in ihren Eigenschaften ihrer natürlichen Umgebung im Körper möglichst genau entsprechen“, erklärt Christine Arndt, Doktorandin am Institut für Materialwissenschaft der CAU und ebenfalls Erstautorin der Studie.
In engem Austausch verschiedener Arbeitsgruppen konnte das Forschungsteam jetzt ein Hydrogel entwickeln, das beide Anforderungen optimal vereint und sowohl elektrisch leitfähig ist als auch seine ursprüngliche Elastizität behält. Für die nötige Leitfähigkeit nutzten sie Graphen, das auch bei anderen Herstellungsansätzen bereits zum Einsatz kam. „Graphen hat herausragende elektrische und mechanische Eigenschaften und ist zudem besonders leicht“, betont Nachwuchsgruppenleiter Dr. Fabian Schütt die Vorteile des ultradünnen Materials, das nur aus einer Lage von Kohlenstoffatomen besteht. Der Unterschied in ihrem neuen Verfahren liegt in der verwendeten Menge an Graphen. „Wir kommen mit deutlich weniger Graphen aus als vorherige Studien, so dass die zentralen Eigenschaften des Hydrogels bei uns nicht beeinflusst werden“, fasst Schütt die von ihm initiierte Studie zusammen.
Dazu beschichteten die Wissenschaftler eine feine Gerüststruktur aus keramischen Mikropartikeln dünn mit Graphenflocken. Anschließend fügten sie das Hydrogel Polyacrylamid hinzu, das sich um das Gerüst schloss, und ätzten das Gerüst selbst weg. Die dünne Graphenbeschichtung blieb davon unbeeinflusst im Hydrogel zurück. So ziehen sich nun mit Graphen beschichtete Mikrokanäle wie ein künstliches Nervensystem durch das gesamte Hydrogel.
Spezielle 3D-Aufnahmen des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG) verdeutlichen die hohe elektronische Leitfähigkeit dieses Kanalsystems: „Dank der zahlreichen Verbindungen zwischen den einzelnen Graphenkanälen finden elektrische Signale immer einen Weg durch das Material und machen es wenig fehleranfällig“, sagt Dr. Berit Zeller-Plumhoff, Leiterin der Abteilung Bildgebung und Datenwissenschaften am HZG und assoziiertes Mitglied im GRK. Mithilfe hochintensiver Röntgenstrahlung hat die Mathematikerin die Bilder an einer vom HZG betriebenen Messlinie am Speicherring PETRA III des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) in kurzer Zeit erstellt. Das dreidimensionale Netzwerk hat noch einen weiteren Vorteil: Es ist dehnbar und kann sich so relativ flexibel an seine Umgebung anpassen.
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Künftig sind verschiedene weitere Einsatzmöglichkeiten des neuen leitfähigen Hydrogels denkbar: Margarethe Hauck will perspektivisch ein Hydrogel entwickeln, das auf geringe Temperaturänderungen reagiert und darüber Wirkstoffe im Gehirn gesteuert freisetzen könnte. Christine Arndt forscht daran, wie sich elektrisch leitfähige Hydrogele als biohybride Roboter einsetzen lassen. Die Kraft, die Zellen auf ihre Umgebung ausüben, könnte hier verwendet werden, um miniaturisierte robotische Systeme anzutreiben.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
19.03.2021